Bedeutung von „Summorum Pontificum“
„Die Schätze des liturgischen Erbes sind für alle da“
7. 5. 2009
Antonio Cardinal Cañizares Llovera

Kardinal Cañizares Llovera
Vorwort
Von der Veröffentlichung dieses Buches (auf Italienisch) bis zur Übersetzung ins Spanische hat es nur wenige Monate gedauert. Aber inzwischen haben sich einige bedeutende Dinge ereignet, die dazu geführt haben, das Klima um dieses Thema erheblich zu verändern. Das gilt insbesondere für die Kontroverse, die sich nach der Aufhebung der Exkommunikation der vier Bischöfe entwickelt hat, die vor 20 Jahren von Erzbischof Lefebvre geweiht worden waren. Mit dieser Geste entgegenkommender Barmherzigkeit will der Heilige Vater deren volle Wiedereingliederung in die Kirche unterstützen und durch Taten zeigen, daß die Kirche sich nicht von ihrer Tradition lossagt. Sie hat jedoch dazu geführt, daß die „traditionelle Messe“ mit einem disziplinären Problem und, schlimmer noch, mit einem politischen Problem verbunden worden ist.
Daher besteht die Gefahr einer Verkennung der tieferen Bedeutung des Motu Proprio vom 7. Juli 2007, das als eine Geste außergewöhnlichen kirchlichen „common sense“ die volle Gültigkeit eines Ritus anerkannte, der die Kirche des Westens seit Jahrhunderten spirituell genährt hat. Zweifellos war (zur Zeit des Konzils) eine Vertiefung und eine Erneuerung der der Liturgie notwendig. Aber das ist in vielen Fällen nicht wirklich erfolgreich gelungen. Der erste Teil der Konstitution „Sacrosanctum Concilium“ ist nicht wirklich in Geist und Herz der Gläubigen eingedrungen. Es gab Veränderungen in der Form, eine Re-Form, aber keine wahrhafte Erneuerung, wie sie von den Vätern des Konzils verlangt worden war. Manchmal wurden Veränderungen alleine der Veränderung willen vorgenommen, um sich von einer ganz und gar als schlecht und veraltet empfundenen Vergangenheit abzusetzen, und man begriff die Reform als Bruch und nicht als organische Weiterentwicklung der Tradition. Das führte von Anfang an zu Reaktionen und Widerständen, die in manchen Fällen zu Einstellungen und Haltungen extremer Art führten – sogar zu Akten, die kanonische Strafen mit sich brachten. Man muß jedoch das disziplinare Problem, das aus dem Ungehorsam einer Gruppe entstanden ist, von den lehrmäßigen und liturgischen Problemen unterscheiden.

Msgr Nicola Bux
Wenn wir wirklich daran glauben, daß die Eucharistie „die Quelle und der Gipfel des christlichen Lebens“ ist – wie uns das zweite Vatikanische Konzil erinnert – dann können wir nicht zulassen, daß sie in unwürdiger Form gefeiert wird. Für viele bedeutete die Annahme der konziliaren Reformen, die Messe in der einen oder anderen Form zu „entsakralisieren“. Wie viele Priester wurden als „reaktionär“ oder „antikonziliar“ beschimpft, weil sie fromm oder feierlich zelebrierten oder einfach nur den Rubriken folgten! Es ist höchste Zeit, sich von diesen falschen Entgegensetzungen zu befreien.
So, wie die Reform umgesetzt wurde, erschien sie hauptsächlich als völliger Wandel, als ob man eine Kluft zwischen einem „vor“ und einem „nach dem Konzil“ schaffen wollte – und dabei wurde „vorkonziliar“ als Schimpfwort gebraucht. Dabei kam es auch zu der Erscheinung, die der Papst in seinem jüngsten Brief an die Bischöfe vom 10. M;ärz dieses Jahres angesprochen hat: „Manchmal hat man den Eindruck, daß unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe benötigt, der gegenüber keinerlei Toleranz angebracht ist und die man mit ungebremstem Haß verfolgen kann.“ Jahrelang galt das in weitem Umfang für die Priester und Gläubigen, die an der seit Jahrhunderten überlieferten Form der hl. Messe festhielten und die oft, wie der damalige Kardinal Ratzinger es ausdrückte, „wie Aussätzige“ behandelt wurden.

Die spanische Ausgabe
Heute verändert sich dank dem Motu Proprio die Lage tiefgreifend. Und das geschieht großenteils deshalb, weil die Absicht des Papstes eben nicht nur darin bestand, den Anhängern von Bischof Lefebvre entgegen zu kommen oder sich darauf beschränkte, auf die berechtigten Wünsche derer einzugehen, die aus verschiedenen Gründen am liturgischen Erbe des römischen Ritus hängen. Darüberhinaus und ganz besonders ging es ihm darum, den liturgischen Reichtum der Kirche allen Gläubigen zugänglich zu machen und es so zu ermöglichen, daß auch die, die sie bisher nicht kannten, diese Schätze des liturgischen Erbes der Kirche zu entdecken. Wie oft beruht die Haltung derer, die dieses Erbe verachten, auf nichts anderem als auf Unkenntnis! Daher war das Motu Proprio ganz unabhängig von irgendwelchen bestehenden Konflikten sinnvoll: Selbst wenn es keinen einzigen „Traditionalisten“ gäbe, um ihm „entgegen zu kommen“, wäre diese „Entdeckung“ Grund und Rechtfertigung genug für die Entscheidung des Papstes.
Es ist auch behauptet worden, daß diese Entscheidung einen „Angriff auf das Konzil“ darstelle, aber das zeigt nur eine Unkenntnis der Intentionen des Konzils, dessen Absicht genau darin bestand, allen Gläubigen die Möglichkeit zu geben, den vielfältigen liturgischen Reichtum der Kirche kennen und schätzen zu lernen: „Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil schließlich, daß die heilige Mutter Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt. Es ist ihr Wille, daß diese Riten in Zukunft erhalten und in jeder Weise gefördert werden.“ (SC 4)
An diesen Entscheidungen gibt es nichts Revolutionäres, die Kirche ist immer so verfahren, und wo sie gelegentlich davon abgewichen ist, führte das zu tragischen Konsequenzen. Sie achtete nicht nur stets die Riten des Ostens, auch im Westen haben Diözesen wie Mailand, Lyon, Köln Braga und verschiedene Ordensgemeinschaften ihre jeweiligen Riten friedlich durch die Jahrhunderte hindurch bewahrt. Das beste Beispiel für die gegenwärtige Situation ist zweifellos die Erzdiözese von Toledo. Dort hat Kardinal Cisneros sich (im 16. Jh.) mit aller Kraft dafür eingesetzt, den vom Aussterben bedrohten Mozarabischen Ritus als „außerordentlichen“ zu erhalten. Er ließ nicht nur ein Missale und ein Brevier drucken, er bestimmte auch eigens eine Kapelle in seiner Kathedrale für die Feier dieses Ritus, die dort bis auf den heutigen Tag erfolgt.

Die italienische Ausgabe
Solche Verschiedenheiten bedeuteten nie und können nie bedeuten, daß es Unterschiede in der Lehre gäbe – sie weisen im Gegenteil auf eine tiefe inhaltliche Übereinstimmung hin. Es ist notwendig, daß auch hinsichtlich der gegenwärtig gebräuchlichen Riten diese Übereinstimmung erreicht wird. Die gegenwärtige Aufgabe, das zeigt uns dieses Buch von Don Nicola Bux, besteht darin, die theologische Identität der Liturgie der verschiedenen Riten, wie sie über die Jahrhunderte gefeiert wurden, mit der neuen Liturgie der Reform aufzuzeigen – oder sie da, wo sie undeutlich geworden ist, wieder zu gewinnen.
Dieses Buch enthält viele Fakten, Überlegungen und Ideen, und ich kann nur einige der darin behandelten Themen besonders hervorheben:
Der erste ist der Name, mit dem wir die hl. Messe (der alten Form) bezeichnen sollten. Der Autor schlägt vor, sie in orientalischer Weise als „die Liturgie des Heiligen Gregor des Großen“ zu bezeichnen. Das ist sicher besser, als sie einfach „gregorianisch“ zu nennen, da dies zu einer doppelten Zweideutigkeit führen kann (die man freilich durch die Bezeichnung als „damaso-gregorianisch“ vermeiden könnte). Es ist in jedem Fall praktischer als „traditionelle Messe“, wo das Adjektiv immer in der Gefahr steht, einen Anklangen von Kontroversen oder von Folklore zu transportieren. Es ist auch besser, als von „außerordentlicher Form“ zu sprechen – das geht zu sehr von einer administrativen Einteilung aus. „Usus antiquor“ hat den Nachteil, lediglich eine chronologische Einordnung vorzunehmen, „überlieferter Gebrauch“ (usus receptus) klingt zu technisch. Auch „Missale Pius‘ V.“ oder „Missale Johannes‘ XXIII.“ sind in der Bedeutung zu eng. Der einzige Nachteil von „Liturgie des hl. Gregor“ besteht darin, daß es im byzantinischen Ritus bereits eine „Liturgie des hl. Gregor, Papstes von Rom“ gibt: Die Liturgie der vorverwandelten Gaben in der Fastenzeit.
Zum Zweiten. Die Tatsache, daß der Usus „außerordentlich“ ist, kann nicht bedeuten, daß er nur für Priester und Gläubige da ist, die der alten Form anhängen. Wie Fr Bux anregt, wäre es sehr gut, wenn Priester, die gewöhnlich in der „ordentlichen“ Form zelebrieren, gelegentlich auch die „außerordentliche“ Form verwendeten. Dieser Schatz ist das Erbe aller, und jeder sollte auf die eine oder andere Weise Zugang dazu haben. Daher erscheint seine Verwendung besonders angemessen dann, wenn das alte Missale einen besonderen Reichtum enthält, vor allem, wenn der andere Kalender dazu keine speziellen Vorkehrungen trifft: Beispielsweise für die Vorfastenzeit, für die Quatembertage oder für die Vigil von Pfingsten. Das mag auch für einige besondere Gemeinschaften zutreffen, für Ordensgemeinschaften ebenso wie Laienvereinigungen. Feiern in der „außerordentlichen“ Form wären auch eine große Bereicherung für die Gottesdienste der Karwoche, zumindest einige von ihnen, da die Riten des Heiligen Triduums Zeremonien und Gebete erhalten haben, die bis in die ältesten Zeiten der Kirche zurückgehen.

Kardinal Cañizares 2007 beim ICKHP
Ein weiterer hervorhebenswerter Punkt besteht darin, daß die Absicht von Papst Benedikt XVI. weniger darin besteht, Neuigkeiten einzuführen oder einen Politikwechsel herbeizuführen, sondern das zu konkretisieren, was Johannes Paul II. bereits mit Initiativen wie Quattuor abhinc annos, mit der Konsultation des Kardinalskomitees (über den Weiterbestand des alten Ritus), dem Motu Proprio Ecclesia Dei und der Einsetzung der gleichnamigen Kommission begonnen hatte; hierhin gehört auch seine Ansprache an die Gottesdienstkongregation von 2003.
Es ist auch notwendig, die ökumenische Dimension dieser Entwicklungen in Betracht zu ziehen: Die Kritik am überlieferten Ritus der Römischen Tradition trifft auch die anderen Traditionen und vor allem die Orthodoxen Brüder. Fast alle Angriffe gegen die Wiedereinführung des alten Missales treffen genau die Punkte, die wir mit den Ostkirchen gemeinsam haben. Das findet seine Bestätigung auch in der positiven Reaktion des kürzlich verstorbenen Moskauer Patriarchen auf die Veröffentlichung des Motu Proprio.
Nicht die unwesentlichste Leistung dieses Buches besteht darin, daß es uns dabei hilft, die verschiedenen Aspekte unserer gegenwärtigen Lage besser zu begreifen. Unsere Generation steht liturgisch vor großen Herausforderungen. Es geht darum, die ganze Kirche dabei zu unterstützen, das zu befolgen, was die Konstitution Sacrosanctum Concilium des 2. Vatikanums und der Katechismus der Katholischen Kirche über die Liturgie gesagt haben. Es gilt, dem zu folgen, was der Hl. Vater als Kardinal Joseph Ratzinger über die Liturgie geschrieben hat, insbesondere in seinem wunderbaren Buch „Der Geist der Liturgie“. Wir können uns daran bereichern, wie der Heilige Vater – unterstützt vom Amt für die liturgischen Feiern unter Leitung von Msgr. Guido Marini, dem auch der Autor dieses Buches als Berater angehört – die Liturgie feiert. Diese päpstlichen Liturgien sind beispielhaft für die ganze katholische Welt.
Als Letztes möchte ich anmerken, daß es von größter Bedeutung ist, all dieses in den Seminaren als integralen Teil der Priesterausbildung gründlich darzustellen. Es geht darum, theoretische und praktische Kenntnisse des liturgischen Reichtums zu vermitteln, nicht nur des römischen Ritus, sondern so weit das möglich ist auch der verschiedenen Riten des Ostens und des Westens, so daß eine neue Priestergeneration ohne dieses Vorurteil des Widerspruchs (zwischen alt und neu) entsteht.
Es steht zu hoffen, daß dieses wertvolle Buch von Nicola Bux dazu beiträgt, die Absichten des Heiligen Vaters besser zu verstehen und den Reichtum des überlieferten Erbes zu entdecken und gleichzeitig unser Handeln zu erleuchten. Wir wollen den Herrn bitten, uns erkennen zu lassen, wie wir „die Zeichen der Zeit“, wie Paul VI. sagte, deuten sollen.
+ Antonio Cardinal Canizares
Präfekt der Heiligen Kongregation für den Gottesdienst und die Ordnung der Sakramente
Erzbischof und apostolischer Administrator von Toledo
8. April 2009
Der folgende Text ist eine Übersetzung des Vorwortes von Kardinal Cañizares zur spanischen Ausgabe des Buches von Msgr Nicola Bux, Die Reformen Benedikts XVI., im italienischen Original erschienen November 2008 bei Piemme Edizioni. Hier finden sie den spanischen Originaltext; unsere Übersetzung folgt der englischen Übersetzung auf TNLM.