Aus dem Hirtenbrief Papst Benedikts an die Katholiken Irlands
„Ich möchte Euch nun auch einige konkrete Initiativen zum Umgang mit der Situation vorschlagen“
20. 3. 2010
Den Blick auf das Kreuz richten
1. Liebe Schwestern und Brüder, mit großer Sorge schreibe ich euch als Hirt der weltweiten Kirche. Wie Euch haben auch mich die Informationen über den Missbrauch an Kindern und Schutzbefohlenen durch Mitglieder der Kirche Irlands, besonders durch Priester und Ordensleute, sehr beunruhigt. Ich kann die Bestürzung und das Gefühl des Vertrauensbruchs nur teilen, das so viele von euch beim Erfahren dieser sündhaften und kriminellen Taten und der Art der Autoritäten der Kirche, damit umzugehen, erfahren haben.
4. In den vergangenen Dekaden hatte die Kirche in Eurem Land jedoch neue und schwere Herausforderungen für den Glauben durch die rasche Transformation und Säkularisierung der irischen Gesellschaft zu bestehen. Der schnelllebige soziale Wandel hat oft genug das traditionelle Festhalten der Menschen an den katholischen Lehren und Werten beeinträchtigt. Viel zu oft wurden die sakramentalen und andächtigen Gebräuche vernachlässigt, die den Glauben erhalten und ihm erlauben, zu wachsen, wie etwa die regelmäßige Beichte, das tägliche Gebet und jährliche Einkehrtage. Bedeutsam war während dieser Zeit ebenfalls die Tendenz vieler Priester und Ordensleute, Weisen des Denkens und der Einschätzung säkularer Realitäten ohne ausreichenden Bezug zum Evangelium zu übernehmen. Das Programm der Erneuerung, dass das Zweite Vatikanische Konzil vorgelegt hat, wurde häufig falsch gelesen; im Licht des tiefen sozialen Wandels war es schwer, die richtigen Weisen der Umsetzung zu finden.
10. An die Priester und Ordensleute in Irland
Wir alle leiden als Folge der Sünden unserer Mitbrüder, die das heilige Vertrauen missbraucht haben oder versagt haben, gerecht und verantwortungsvoll mit den Missbrauchsvorwürfen umzugehen. In der Wut und der Empörung die das alles nicht nur unter den Gläubigen sondern auch unter Euch und in den Ordensgemeinschaften hervorgerufen hat, fühlen sich viele von Euch mutlos oder sogar verlassen. Mir ist ebenfalls bewusst, dass in den Augen vieler Ihr durch die Nähe zu den Tätern einen Makel tragt und als irgendwie verantwortlich für die Verbrechen anderer gesehen werdet. In dieser schmerzlichen Zeit möchte ich Eure Hingabe an das Priestertum und das Apostolat würdigen und Euch einladen, Euren Glauben in Christus zu festigen, Eure Liebe zu seiner Kirche und Euer Vertrauen in die Verheißung des Evangeliums auf Erlösung, Vergebung und innere Erneuerung. Auf diese Weise werdet ihr aufzeigen, dass da, wo die Sünde mächtig wurde, die Gnade übergroß wurde (Römerbrief 5:20).
Ich weiß, dass viele von Euch von der Art und Weise, wie diese Dinge von Euren Oberen behandelt wurden, enttäuscht, verwirrt und verärgert sind. Trotzdem ist es wesentlich, dass Ihr eng mit den Autoritäten kooperiert und helft, dass die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise wirklich dem Evangelium gemäß, gerecht und effektiv sind. Vor allem aber bitte ich Euch, immer mehr Männer und Frauen des Gebets zu werden, die mutig dem Weg der Bekehrung, Reinigung und Versöhnung gehen. Auf diese Weise wird die Kirche in Irland neues Leben und neue Dynamik aus Eurem Zeugnis für Gottes erlösende Kraft, die in Eurem Leben sichtbar wird, schöpfen.
14. Ich möchte Euch nun auch einige konkrete Initiativen zum Umgang mit der Situation vorschlagen.
Am Ende meines Treffens mit den irischen Bischöfen habe ich darum gebeten, dass diese Fastenzeit reserviert wird für das Gebet um das Ausgießen der Barmherzigkeit Gottes und der Geistesgaben der Heiligkeit und Stärke über der Kirche in Eurem Land. Ich lade Euch alle ein, die Freitagsbuße für die Dauer eines Jahres bis Ostern 2011 dieser Intention zu widmen. Ich bitte Euch, Euer Fasten, Euer Gebet, Eure Schriftlesung und Eure Werke der Nächstenliebe dem zu widmen, damit Ihr so die Gnade der Heilung und der Erneuerung für die Kirche in Irland erlangt. Ich ermutige Euch, aufs Neue das Sakrament der Versöhnung für Euch zu entdecken und häufiger die verwandelnde Kraft seiner Gnade zu nutzen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte ebenfalls der eucharistischen Anbetung zuteil werden; in jedem Bistum soll es Kirchen oder Kapellen geben, die speziell diesem Zweck gewidmet sind. Ich fordere Pfarreien, Seminarien, Ordenshäuser und Klöster dazu auf, Zeiten eucharistischer Anbetung zu organisieren, so dass sich alle beteiligen können. Durch intensives Gebet vor dem anwesenden Herrn könnt Ihr Wiedergutmachung leisten für die Sünde des Missbrauchs, die so viel Schaden angerichtet hat. Gleichzeitig könnt Ihr so die Gnade neuer Stärke erflehen und einen tieferen Sinn des Auftrags aller Bischöfe, Priester, Ordensleute und Gläubigen.
Ich bin zuversichtlich, dass dieses Unterfangen zu einer Neugeburt der Kirche in Irland führen in der Fülle von Gottes Wahrheit führen wird, denn es ist die Wahrheit, die uns frei macht (Johannesevangelium 8:32). Darüber hinaus, nachdem ich darüber beraten und gebetet habe, habe ich vor, eine Apostolische Visitation einiger Bistümer Irlands abzuhalten, ebenso von Seminarien und Ordensgemeinschaften. Absprachen für diese Visitation, die der Ortskirche auf ihrem Weg der Erneuerung helfen soll, werden in Absprache mit den zuständigen Büros der römischen Kurie und der irischen Bischofskonferenz getroffen. Die Einzelheiten werden zu gegebener Zeit bekannt gegeben. Ich schlage ebenfalls eine gemeinsame Mission in ganz Irland für alle Bischöfe, Priester und Ordensleute vor. Es ist meine Hoffnung, dass durch das Nutzen der Expertise erfahrener Prediger und Exerzitienbegleiter von Irland und andernorts und durch das erneute Studium der Dokumente des Konzils, der liturgischen Riten von Weihe und Profess und der neueren päpstlichen Lehren, Ihr zu einem tieferen Verständnis für Eure jeweilige Berufung kommt, um so die Wurzeln Eures Glaubens in Jesus Christus wieder zu entdecken und aus dem Quell des lebendigen Wassers zu trinken, den er Euch durch seine Kirche bietet.
In diesem Jahr des Priesters empfehle ich Euch ganz besonders den heiligen Jean-Marie Vianney, der ein reiches Verständnis des Mysteriums des Priestertums hatte. Er schrieb: „der Priester hält den Schlüssel zu den Schätzen des Himmels: er ist es, der die Tür öffnet: er ist der Statthalter des guten Herrn; der Verwalter seiner Güter.“ Der Pfarrer von Ars verstand sehr gut, wie gesegnet eine Gemeinschaft ist, wenn ihr von einem guten und heiligen Priester gedient wird: „ein guter Hirte, ein Hüter nach Gottes Herzen, ist der größte Schatz, den Gott einer Gemeinde schenken kann und eines der wertvollsten Geschenke göttlicher Gnade.“ Durch die Fürsprache des heiligen Jean-Marie Vianney möge das Priestertum in Irland neu belebt werden und möge die ganze Kirche in Irland wachsen in Wertschätzung für das große Geschenk des priesterlichen Dienstes.
Hier der vollständige Text des Dokuments in einer deutschen Arbeitsübersetzung bei Radio Vatikan.
In seinem Hirtenbrief vom 20. März an die Kirche Irlands greift der Papst inhaltlich weit über den skandalösen Anlass der vielfältigen Missbräuche hinaus. Entschiedener als je zuvor nimmt er auch die Verhältnisse in Gesellschaft und insbesondere in der Kirche in den Blick, die dazu führten, daß die Mißbräuche sich so enorm ausbreiteten und die Hirten unfähig waren, dem zu begegnen.
Der vollständige Text des Dokuments findet sich in einer deutschen Arbeitsübersetzung bei Radio Vatikan. Wir haben aus dem langen Dokument die Abschnitte ausgewählt, die sich insbesondere diesen allgemeinen Rahmenbedingungen widmen und Wege zu ihrer Verbesserung vorzeichnen. An ihnen wird sich künftig jedes Planen und Handeln in den Ortskirchen messen lassen müssen.