Motu Proprio: Summorum Pontificum

Hauptnavigation


Zusatzinfo

Einführung des Novus Ordo

Ansprache von Papst Paul VI. zur Generalaudienz am 19. 11. 1969

22. 11. 2009

Diese Rede wurde in der englischen Ausgabe des Osservatore Romano vom 27. November 1969 veröffentlicht. Unsere Übersetzung folgt der Wiedergabe im Dokumentationsbereich von EWTN. Wir haben unsere kommentierenden Anmerkungen am Ende des Dokuments zusammengefasst.

Liebe Söhne und Töchter,

  1. Wir wollen eure Aufmerksamkeit auf ein Ereignis lenken, das der Lateinischen Katholischen Kirche unmittelbar bevorsteht: Die Einführung der Liturgie nach dem Neuen Ordo der hl. Messe. Diese Liturgie wird in den italienischen Diözesen vom 1. Adventssonntag an verpflichtend, er fällt in diesem Jahr auf den 30. November. Die hl. Messe wird künftig in einer Weise gefeiert, die sich deutlich von dem unterscheidet, woran wir in den letzten 400 Jahren seit Papst Pius V. und dem Konzil von Trient gewöhnt waren.
  2. Diese Veränderung ist etwas ganz erstaunliches und außergewöhnliches, denn die hl. Messe gilt als der traditionelle und unveränderliche Ausdruck unseres Gottesdienstes und unserer Rechtgläubigkeit. Wir stellen uns die Frage: Wie konnte es zu einer solchen Änderung kommen? Wie wird sie sich auf diejenigen auswirken, die die hl. Messe besuchen? Auf diese Fragen und auf andere, die aus dieser Neuerung entstehen, werden sie Antworten erhalten, diese Antworten werden in allen Kirchen verkündet werden. Sie werden überall und in allen kirchlichen Veröffentlichungen und in allen Schulen, wo die christliche Lehre gelehrt wird, vielfältig wiederholt werden. Wir ermahnen euch, aufmerksam zuzuhören – dann werdet ihr ein deutlicheres und tieferes Verständnis der staunenswerten und wunderbaren Bedeutung der hl. Messe erhalten.
  3. In dieser kurzen und einfachen Ansprache versuchen Wir, euch nur die ersten Schwierigkeiten zu erleichtern, die diese Veränderung mit sich bringt. Wir gehen dazu auf die ersten drei Fragen ein, die einem dabei unmittelbar in den Sinn kommen.
  4. Wie kann eine solche Veränderung möglich sein? Antwort: sie beruht auf dem Willen des ökumenischen Konzils, das vor nicht allzulanger Zeit stattgefunden hat. Das Konzil hat bestimmt: „Der Meß-Ordo soll so überarbeitet werden, daß der eigentliche Sinn der einzelnen Teile und ihr wechselseitiger Zusammenhang deutlicher hervortreten und die fromme und tätige Teilnahme der Gläubigen erleichtert werde.
  5. Deshalb sollen die Riten unter treulicher Wahrung ihrer Substanz einfacher werden. Was im Lauf der Zeit verdoppelt oder weniger glücklich eingefügt wurde, soll wegfallen. Einiges dagegen, was durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, soll, soweit es angebracht oder nötig erscheint, nach der altehrwürdigen Norm der Väter wiederhergestellt werden.“ (SC 50)
  6. Die Reform, die jetzt in Kraft treten wird, ist also die Erfüllung eines autoritativen Auftrags der Kirche. Sie ist ein Akt des Gehorsams. Sie ist ein Akt des Zusammenhalts der Kirche mit sich selbst. Sie ist ein weiterer Entwicklungsschritt ihrer authentischen Tradition. Sie ist ein Zeugnis von Treue und Lebenskraft, dem wir alle ohne zu zögern Zustimmung schulden.
  7. Sie ist kein willkürlicher Akt. Sie ist auch kein zeitlich begrenzter Versuch, an dem man sich beteiligen kann oder auch nicht. Sie ist kein improvisierter Akt von Diletanten. Sie ist Gesetz. Sie wurde von kompetenten Experten der heiligen Liturgie ausgearbeitet und sie wurde lange Zeit erörtert und bedacht. Wir müssen es uns angelegen sein lassen, sie freudigen Herzens anzunehmen und exakt, einheitlichen Sinnes und sorgfältig in die Praxis umzusetzen.
  8. Diese Reform setzt den Unsicherheiten, den Debatten und den willkürlichen Mißbräuchen ein Ende. Sie ruft uns zurück zu der Einheitlichkeit der Riten und der Empfindungen, wie sie der katholischen Kirche zu eigen sind, der Erbin und Fortführerin jener ersten christlichen Gemeinde, die „ein Herz und eine Seele war“ (APG 4:32). Die Einmütigkeit des Betens der Kirche ist die Stärke ihrer Einheit und ihres Katholisch-Seins. Die bevorstehende Veränderung darf diese Einmütigkeit nicht zerbrechen oder stören. Sie soll sie befestigen und sie mit einem neuen, einem jugendlichen Geist erfüllen.
  9. Die zweite Frage ist: wie sehen die Veränderungen im einzelnen aus?
  10. Ihr werdet selbst sehen, daß es viele neue Vorgaben für die Feier der hl. Messe gibt. Sie werden vor allem in der Anfangszeit eine beträchtliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordern. Doch die persönliche Frömmigkeit und der Gemeinschaftssinn werden es Euch leicht und angenehm werden lassen, die neuen Vorschriften zu beachten. Aber haltet das folgende deutlich im Bewußtsein: Nichts an der Substanz der traditionellen hl. Messe ist verändert worden. Vielleicht lassen sich Einige von dem Eindruck, den manche besondere Zeremonien oder Rubriken auf sie machen, zu der Annahme verleiten, daß darin eine Veränderung oder Verkleinerung von unveränderlichen Glaubenswahrheiten liegt und bekräftigt wird. Sie könnten zu der Ansicht kommen, daß der Gleichklang zwischen der Weise des Gebetes, der lex orandi, und der Weise des Glaubens, der lex credendi, dadurch beeinträchtigt worden ist.
  11. Das ist definitiv nicht der Fall. Vor allem deshalb nicht, weil der Ordo und die darauf bezüglichen Rubriken für sich keine dogmatische Definition darstellen. Ihr theologischer Stellenwert mag je nach dem liturgischen Kontext, in dem sie stehen, unterschiedlich sein. Sie sind Zeichen und Ausdruck eines spirituellen Vorgangs, eines lebendigen und erfahrbaren Vorgangs, hinter dem das unaussprechliche Geheimnis der göttlichen Gegenwart steht, das nicht immer in ein- und derselben Weise ausgedrückt wird. Nur der theologische Scharfsinn kann diesen Vorgang analysieren und in Lehraussagen ausdrücken, die unserer Vernunft entsprechen. Die Messe des neuen Ordo ist und bleibt die gleiche Messe, die wir immer hatten. Wenn sich etwas geändert hat, dann das, daß ihre Selbstindentität in einiger Hinsicht noch klarer zum Ausdruck gebracht wird.
  12. Die Einheit des Herrenmahls und des Opfers am Kreuze in ihrer Darstellung und Erneuerung in der hl. Messe wird nach dem neuen Ordo ebenso unverletzlich bekräftigt und gefeiert, wie das nach dem alten Ordo der Fall war. Die hl. Messe ist und bleibt das Gedächtnis von Christi letztem Abendmahl. Bei diesem Mahl verwandelte der Herr das Brot und den Wein in Seinen Leib und Sein Blut und setzte das Opfer des neuen Bundes ein. Er wollte, daß dieses Opfer als ein und dasselbe durch die Vollmacht Seines Priestertums erneuert werde, das er den Aposteln übertrug. Nur die Art und Weise der Darbringung ist verschieden, sie ist unblutig und sakramental, und sie erfolgt im ewigen Gedenken an Ihn, bis Er wieder kommt. (De la Taille, Mysterium Fidei, Eluc. IX).
  13. In der neuen Ordnung werdet ihr feststellen, daß die Beziehung zwischen der Liturgie des Wortes und der Liturgie der Eucharistie im engeren Sinne deutlicher ausgedrückt wird, nämlich so, daß die letztere zur praktischen Antwort auf die erstere wird (vergl. Bouyer). Ihr werdet feststellen, in welchem Ausmaß die Versammlung der Gläubigen aufgerufen ist, an der Feier des eucharistischen Opfers teilzunehmen und wie sie in der hl. Messe in Tat und Bewußtsein wirklich „Kirche“ sind. Ihr werdet noch weitere wunderbare Züge entdecken. Aber glaubt nicht, daß diese Dinge die Absicht haben, ihr wahres und traditionelles Wesen zu verändern.
  14. Versucht stattdessen wahrzunehmen, wie die Kirche bestrebt ist, ihrer liturgischen Botschaft mit dieser neuen und erweiterten liturgischen Sprache größere Wirksamkeit zu verleihen; wie sehr sie bestrebt ist, allen ihren Gläubigen und dem ganzen Leib des Gottesvolkes ihre Botschaft in einer direkteren und pastoraleren Weise näherzubringen.
  15. In gleicher Weise antworten Wir auf die dritte Frage: Was werden die Erträge dieser Erneuerung sein? Die Erträge, die wir erwarten oder besser erhoffen, sind, daß die Gläubigen an den liturgischen Geheimnissen mit größerem Verständnis teilhaben, in einer Weise, die praktischer ist, die mehr Freude vermittelt, die mehr zu ihrer Heiligung beiträgt. Das heißt, sie werden das Wort Gottes hören, das durch die Jahrhunderte lebt und in unseren Seelen widerhallt, und sie werden ebenso teilhaben an der geheimnisvollen Wirklichkeit des sakramentalen und versöhnenden Opfers Christi.
  16. Daher lasst uns nicht von der „neuen Messe“ reden. Lasst uns lieber von der „neuen Ära“ im Leben der Kirche sprechen.

Mit unserem Apostolischen Segen.


Kommentar

Das ist wirklich ein bemerkenswertes Dokument. Wir beschränken unseren Kommentar auf wenige Hauptpunkte, bei denen wir die Bezugspunkte in der Papstrede jeweils nach der Originalnummerierung in Klammern mit angeben.

Der neue Ordo bringt keine neue Theologie

Unverkennbar ist der erklärte Wille des Papstes, die Ritusreform voll in die Tradition der Kirche und ihrer Lehre einzubinden. Während er bekräftigt, daß die formalen Unterschiede sehr weit gehen(1, 10), besteht er darauf, daß es in der Substanz der Lehre keinerlei Veränderung (10) gegeben habe. Er weist sogar ausdrücklich darauf hin (11), daß der Ordo und die Rubriken keine dogmatische Definition darstellen - die Lehre bleibt unverändert. Das bezieht sich natürlich auch auf die Opfertheologie (12). Damit setzt der Papst alle Theologen und Liturgiker ins Unrecht, die aus dem Neuen Ordo bzw. der Institutio Generalis eine Veränderung der Lehre herauslesen wollen und nicht müde werden, von „tiefgehenden ekklesiologischen Unterschieden“ zu reden, die es angeblich verbieten, heute noch die Messe nach dem alten Ritus zu feiern.

Daß Papst Paul diesen Punkt so sehr betont, hat natürlich seinen Grund: Er wußte sehr wohl, daß zahlreiche Theologen auf eine Umdeutung der Theologie des Messopfers hinarbeiteten und hatte diesen Bestrebungen bereits in der Schlussphase des 2. Vatikanischen Konzils mit seiner Enzyklika Mysterium Fidei klaren Widerspruch entgegengestellt.

Der neue Ordo ist die verpflichtende und einheitliche Liturgie der Lateinischen Kirche

In einer Weise, für die es kein historisches Vorbild gibt, erklärt hier Papst Paul VI. den neuen Ordo für die einzige zugelassene Form der Liturgie, die von allen im Gehorsam anzunehmen sei (6, 7). Er beruft sich damit auf den Auftrag des Konzils (4, 5), den er im nun vorliegenden Messbuch autoritativ und kompetent umgesetzt (7) sieht. Josef Ratzinger hat als Bischof und Kardinal in seinen Publikationen mehrfach Zweifel daran geäußert, ob dieses Vorgehen gerechtfertigt war. Am deutlichsten vielleicht im Jahr 2000 in „Der Geist der Liturgie“, wo er auf S. 143 schreibt:

Zitat: „Nach dem II. Vaticanum entstand der Eindruck, der Papst könne eigentlich alles in Sachen Liturgie, vor allem wenn er im Auftrag eines ökumenischen Konzils handle … Tatsächlich hat aber das I. Vaticanum den Papst keineswegs als absoluten Monarchen definiert, sondern ganz im Gegenteil als Garanten des Gehorsams gegenüber dem ergangenen Wort: Seine Vollmacht ist an die Überlieferung des Glaubens gebunden – das gilt gerade auch im Bereich der Liturgie“.

Das Motiv des Papstes für diese extrem zentralistische und autoritäre Vorgehensweise war natürlich das Bestreben, dem in allen Bereichen der Kirche verbreiteten liturgischen Wildwuchs ein Ende zu setzen. Das führt zum nächsten und vorläufig letzten Punkt des Kommentars:

„Diese Reform setzt den Unsicherheiten, den Debatten und den willkürlichen Mißbräuchen ein Ende“

Die Zeit hat gezeigt, daß der Papst sich mit dieser in Abschnitt (8) ausgesprochenen Hoffnung geirrt hat. Die seit 1955 fast jährlich erfolgenden mehr oder weniger einschneidenden Änderungen der Liturgie hatte Klerus und Gläubige daran gewöhnt, die römischen Bestimmungen als zeitlich begrenzte Versuche und als Optionen anzusehen, mit denen man nach eigener Vorstellung verfahren konnte - auch wenn das jetzt ausdrücklich anders bestimmt (7) wurde. Die Verfälscher der Reform wie ihr für den deutschen Sprachraum maßgeblicher Interpret Emil Lengeling bezeichneten den neuen Ordo in klarem Widerspruch zum Willen des Papstes als „einen Schritt auf dem Weg der liturgischen Reform“ (Lengeling, Die neue Ordnung der Eucharistiefeier, Münster 1970, S. 13) dem also weitere Schritte zu folgen hätten. Sie gaben sich alle Mühe, das neue Missale im Sinne vielfältiger Brüche mit der traditionellen Lehre zu interpretieren und waren damit oft erfolgreich. Während die willkürlichen Experimente mit der Liturgie seit den 80er Jahren zurückgedrängt werden konnten, waren die Unsicherheiten über den Inhalt dessen, was bei der „sonntäglichen Feier der Eucharistie“ inhaltlich und wesentlich geschehe, wohl noch nie in der Geschichte der Kirche so groß wie gegenwärtig.

Die oft mit bischöflicher Rückendeckung agierenden professoralen Verfälscher der Reform waren allerdings jahrzehntelang erfolgreich darin, innerkirchliche Debatten über ihr Treiben zu verhindern. Erst der Erlass von Summorum Pontificum durch Papst Benedikt XVI. im Jahr 2007 vermochte, erste Breschen in dieses Schweigekartell zu schlagen