Der Streit um das Konzil
Joseph Ratzinger 1966 zur liturgischen Erneuerung
31. 1. 2009
Joseph Ratzinger bei seinem Vortrag
Der Katholizismus nach dem Konzil
Zur Situation der liturgischen Erneuerung
Prof. Joseph Ratzinger am 14. Juli 1966
Das am meisten in die Augen fallende Ergebnis des Konzils ist die liturgische Erneuerung. Aber gerade sie, die so sehnlich herbeigewünscht und so freudig begrüßt worden ist, wurde weithin zu einem Zeichen des Widerspruchs. Gewiß: Wer sich ernstlich auf die Wirklichkeit des christlichen Gottesdienstes einläßt, kann nicht bezweifeln, daß hier Wichtiges und Großes geschehen ist. Er wird die beiden Einwände als vordergründig und unangemessen zurückweisen müssen, die gegen zwei Grundelemente der liturgischen Erneuerung immer wieder zu hören sind. Gegen die Wendung zur Volkssprache wird gesagt, daß dem Mysterium die Verborgenheit in der ihm eigenen Sprache angemessen sei, wie alle Religionen sie kennten, in denen sich immer wieder das Heilige auf solche Art unter dem Schleier des Geheimnisses verberge - überdies sei diese Sprache als die einigende Sprache der ganzen Kirche das Band, das die Kontinente verbinde und das uns nicht nur quer über den Erdkreis hin sichtbar als Glieder der katholischen Einheit bezeuge und diese Einheit zum sprachlichen Erlebnis werden lasse, sondern auch der Faden, der uns nach rückwärts verknüpfe mit dem christlichen Beten aller Zeiten, uns hineinstelle in die unübersehbare Vielheit derer, die vor uns und nach uns auf gleiche Weise Gott lobpreisen in ein und der gleichen Stimme.
Der zweite Einwand richtet sich gegen die Wendung zur Gemeinschaft, er beschwört das heilige Schweigen, das wiederum dem Geheimnis angemessener sei als das laute Wort, er beschwört die Stille, in der Gott vernehmlich rede und die dem einzelnen erlaube, wirklich in die Begegnung mit seinem Herrn einzutreten, zu der ihm das ununterbrochene Reglement einer Meßfeier in Gemeinschaft mit Singen und Beten, Aufstehen, Sitzen und Knien keine Zeit mehr gewähre: Liturgie fange an, sich im selbstgenügsamen Betrieb zu erschöpfen, und die äußere Verrichtung trete an die Stelle des Eigentlichen, der Begegnung mit dem Herrn. Damit verbindet sich mehr am Rande der eigentlichen theologischen Erwägungen leicht ein drittes: Das Reglement des gemeinsamen Gottesdienstes bedeute zugleich eine Art von Bilderstürmerei gegenüber dem künstlerischen Reichtum, in dem die Vergangenheit dem Lob Gottes in der Messe Formen von unvergänglicher Schöne gab, die nun durch Massendeklamationen ersetzt würden, deren ästhetische Würdelosigkeit weder der Größe der Sache angemessen sei, um die es geht, noch auch dazu angetan, dem Menschen den Zugang dazu zu eröffnen, sondern viel eher dazu, ihn zu verschließen.
Noch referiert der gerade vom Konzil zurückgekehrte Peritus die Einwände im wesentlichen, um sie zu wiederlegen, dabei folgt er in seiner Wiederlegung weitgehend der Hauptlinie des damaligen Verständnisses. aber wie sich weiter unten zeigen wird, beginnt er bereits darüber nachzudenken, was an diesen Einwänden vielleicht doch ernstzunehmen wäre.
Der Eröffnungsgottesdienst
Demjenigen, der sich nicht dem Fanatismus eines unabänderlichen Programms verschrieben hat, sondern der bereit ist, zu fragen, wie es denn wirklich sei, wird sich sehr schnell zeigen, daß sich in den besprochenen Einwänden Argumente sehr verschiedenen Ranges mischen und daß gerade in diesem Ineinander sich das Dilemma unseres augenblicklichen Zustandes ausdrückt. Zunächst ist es nicht schwer, zu zeigen, daß das Argument vom Mysterium nicht zählt, ja, daß es ebenso wie der Rückzug in die Stille individueller Frömmigkeit, die von der Gemeinschaft nicht gestört werden will, auf einer grundlegenden Verkennung dessen beruht, was christlicher Gottesdienst vom Wesen her ist. Ihn mit den Kategorien der Religionsgeschichte zu messen und deren Empfindungen hier auf entsprechende Weise wiederfinden und sicherstellen zu wollen, heißt gerade an seinem Eigentlichsten vorbeigehen.
Christlicher Gottesdienst ist seinem Wesen nach Verkündigung der frohen Botschaft Gottes an die anwesende Gemeinde, antwortendes Aufnehmen dieser Verkündigung durch die Gemeinde, gemeinsame Rede der Kirche zu Gott, die übrigens mit der Verkündigung ineinandergreift: Die Verkündigung dessen, was Christus im Abendmahlsaal für uns getan, ist zugleich Lobpreisung Gottes, der durch Christus so an uns handeln wollte; sie ist Gedächtnis der Heilstaten Gottes, durch das wir uns gedenkend einordnen in das Geschehene, aber als Gedächtnis, das wir begehen, zugleich ein Ruf zu Gott, daß er das damals Begonnene erfüllen und zu Ende führen möge: Bekenntnis des Glaubens und der Hoffnung, Dank und Bitte, Verkündigung und Gebet in einem. Deswegen ist die Liturgie, rein von ihrer sprachlichen Struktur her, gebaut im Zueinander von ich und ihr, das sich immer wieder verschmilzt in das gemeine Wir der ganzen Kirche, die durch Christus vor Gottes Antlitz tritt. In einer so gestalteten Liturgie hat die Sprache nicht den Sinn des Verbergens, sondern den Sinn des Offenbarens, nicht den Sinn des Verschweigens in die Stille des isolierten Einzelgebetes hinein, sondern des Zueinanderführens ins einige Wir der Kinder Gottes, die zusammen sagen: Vater unser.
Bei der Heinrichsprozession:
Noch gibt es unzählbar viele Nonnen
Es war deshalb ein Schritt von entscheidender Bedeutung, daß die Liturgiereform das Wort wieder entritualisiert und ihm seine Bedeutung als Wort zurückgegeben hat. Es kommt uns heute erst allmählich wieder zu Bewußtsein, welche Sinnentleerung es doch im letzten gewesen ist, wenn der Priester vor dem Evangelium die Worte sprach, Gott möge ihm Herz und Lippen reinigen, so wie er die Lippen des Propheten Isaias mit glühenden Kohlen reinigte, damit er das Wort Gottes würdig und angemessen zu verkündigen vermöge, obwohl er doch genau wußte, daß er dieses Wort Gottes anschließend genauso vor sich hinflüstern würde wie dies Gebet selber auch, und nicht daran dachte, es zu verkündigen. Oder wenn er Dominus vobiscum sagte, obwohl dieses „Ihr", auf das sich sein Gruß richtete, gar nicht existierte. Wort war zu Ritus entleert, und Liturgiereform hat hier nichts anderes getan, als daß sie den Anspruch des Wortes und so freilich den Anspruch des darin gefaßten Gottesdienstes der Kirche wieder zur Geltung brachte.
Wenn Friedrich Heer kürzlich einmal geäußert hat, die lateinische Liturgie müsse erhalten bleiben und der Katholik müsse überall, und sei es einmal auf dem Mars oder auf dem Mond sie vorfinden können, so wie er seinen Seneca und seinen Homer überall finden wolle, so heißt das, die Liturgie ins Museum der Vergangenheit einreihen, in die ästhetische Neutralisierung abdrängen und von vornherein voraussetzen, daß sie in ihrer ursprünglich gemeinten Bedeutung heute gar nicht mehr gemeint sein kann. In diesem Sinn beruht das Skandalöse der Liturgiereform darin, daß sie durchaus naiv genug ist, Liturgie noch immer so zu meinen, wie sie eigentlich gemeint war: nämlich sie ernst zu nehmen als das, was sie ist. Insofern wird man behaupten dürfen, daß heute niemand überzeugender Notwendigkeit und Recht der Liturgiereform beweise als ihre Gegner, denn was sie verteidigen, ist ein Mißverständnis der Liturgie, und was sie beweisen, ist folglich dies, daß die bisherige Form der Liturgie Gefahr lief, das Mißverständnis als das Eigentliche erscheinen zu lassen. Wer dies sieht, wird zugleich zugeben, daß zur Liturgiereform bis zu einem gewissen Grad der Skandal und das Mißverständnis, das Unbehagen gehört. Er wird erkennen, daß man die Liturgiereform nicht daran messen kann, ob sie die Zahl der Kirchenbesucher vermehrt hat, sondern einzig und allein daran, ob sie dem Grundwesen des christlichen Gottesdienstes als solchem entspricht.
Hier wird der Unterschied zur heutigen Haltung Joseph Ratzingers vielleicht am deutlichsten sichtbar: Wo er 1966 noch den Gemeinschaftscharakter der Liturgie vor alles andere stellt (und nebenbei bemerkt nur vom Abendmahlssaal, aber nicht vom Kalvarienberg spricht), hat er seitdem längst erkannt und deutlich ausgesprochen, daß Gemeinschaft nur da entsteht, wo der Einzelne sich voll zu Christus hin öffnet und in das Mysterium seines Erlösungswerkes hineinbegibt.
Straßentheater im Jugendprogramm:
1968 ist nicht mehr weit
So werden wir sagen: Liturgie hat nicht den Sinn, uns schaudernd und ahnungsvoll mit dem Gefühl des Heiligen zu erfüllen, sondern uns mit dem schneidenden Schwert des Wortes Gottes zu konfrontieren; sie hat nicht den Sinn, uns den festlich-schönen Rahmen zu liefern für stille Einkehr und Besinnung, sondern uns einzufügen in das Wir der Kinder Gottes und damit auch in die Kenose Gottes, der ins Gewöhnliche abgestiegen ist, so daß schon Paulus von der Gemeinde zu Korinth sagen mußte: „Schaut doch auf eure Berufung hin, Brüder: nicht viele Weise nach Menschenmaßstäben, nicht viele Mächtige und nicht viele Vornehme sind unter euch" (1 Kor 1, 26). Und im selben Brief hat Paulus gegenüber den ekstatischen Glossolalen, die verzückt in der Sprache des Geheimnisses sprachen, mit unerbittlicher Nüchternheit festgestellt: „Bei der liturgischen Feier will ich lieber fünf verständliche Worte sagen, mit denen ich auch anderen Weisung gebe, als zehntausend unverständliche Geheimnisworte" (1 Kor 14, 19).
In Rom hat man im vierten Jahrhundert auf diese Texte hin die unverständlich gewordene griechische Liturgie ins Lateinische übertragen, d. h. wieder volkssprachlich zugänglich gemacht. Der bekannte Liturgiehistoriker Th. Klauser sagt dazu: „Daß die fremdartigen Laute, welche die Charismatiker in Korinth als Liturgen öfters von sich gaben, Äußerungen ihres ekstatischen Zustandes waren, wußte man im vierten Jahrhundert im nüchternen Rom nicht mehr. Wenn Paulus Einwendungen gegen die 'Zungenrede' der charismatischen Liturgen machte, mußte er nach Meinung der römischen Liturgen dieser Zeit wohl ihr Reden in einer unverständlichen Fremdsprache gemeint haben. Vermutlich hätte der heilige Paulus eine solche Auslegung seiner Äußerungen auch keineswegs beanstandet. Ob Zungenrede oder Fremdsprache - die eine paßte in seine Vorstellung von Liturgie ebensowenig wie die andere" (Kleine abendländische Liturgiegeschichte [1965] 27).
Wenn auf diese Weise die Liturgiereform des Konzils nicht nur berechtigt, sondern notwendig erscheint, so heißt das freilich noch lange nicht, daß alle praktischen Verwirklichungen es ebenso sind. Wenn man sieht, um wieviel reibungsloser die liturgische Erneuerung sich in Ländern vollzieht, die nicht auf die ruhmreiche Vorgeschichte einer langen liturgischen Bewegung zurückblicken können, wird man wohl nicht zu Unrecht vermuten, daß in der doppelten Wurzel der liturgischen Bewegung, aus der die Frucht des Konzils herausgewachsen ist, doch auch einiges von den Problemen steckt, die uns heute zu schaffen machen.
Bis hierhin folgt das Plaidoyer für die liturgischen Reformen durchaus den Denkschemata der Zeit. Hätte Joseph Ratzinger diesen Teil seiner Rede hier beendet, wäre ihm der Beifall der ganzen Versammlung sicher gewesen. Doch er denkt und redet weiter, und so zeichnet sich bereits an dieser frühen Stelle ab, daß es nicht Entwicklung und Veränderung als solche sind, die den Widerspruch Joseph Ratzingers hervorrufen, sondern die Willkür, das Machertum und die Gewaltsamkeit, mit denen diese Veränderungen ins Werk gesetzt werden. Erneuerung, ja sogar Modernisierung finden - 1966 - Joseph Ratzingers vollen Beifall – aber nur, wenn sie organisch aus der gesamten Entwicklung ableitbar sind, und nicht, wenn sie sich als Bruch zu vorhergehenden Entwicklungen darstellen.
Liturgische Bewegung ist bei uns einerseits eine Frucht der Jugendbewegung, andererseits - eng damit verknüpft - eine Frucht theologischer Erneuerung. Aber von beiden Seiten her gibt es auch gewisse Einseitigkeiten. Von der theologischen Seite her gibt es einen gewissen Archaismus, dessen Ziel es ist, die klassische Gestalt der römischen Liturgie vor den mittelalterlichen und karolingischen Überwucherungen wiederherzustellen. Als Maßstab liturgischer Erneuerung fungiert dann nicht die Frage: Wie soll es sein, sondern die Frage: Wie war es damals? Dazu aber ist zu sagen: Obwohl das Damals uns unerläßliche Hilfen gibt, um das Heute zu bewältigen, ist es doch nicht einfach der Maßstab, den man der Reform zugrunde legen kann. Zu wissen, wie Gregor der Große es gehalten hat, ist wertvoll, aber kein zwingender Grund, daß es heute wieder so sein müsse. Mit diesem Archaimus aber hatte man sich doch vielfach den Sinn für das Legitime, das auch in späteren Entwicklungen liegt, verbaut und den Geschmack einer Periode dogmatisiert, der ehrwürdig ist, aber so wenig alleinseligmachend wie irgendein anderer Geschmack auch.
Der Hauptgottesdienst auf dem Platz vor dem Dom
Es sind Kleinigkeiten, aber doch solche symptomatischen Charakters, wenn man das Orate fratres auch weiterhin nur murmelnd zum liturgischen Dienst sagt, weil es nicht zum Grundbestand der alten Liturgie gehört und schon bei seiner Einführung nur an den liturgischen Dienst gerichtet war; wenn man das Stufengebet weiterhin leise und lateinisch spricht, weil es gleichfalls erst in einer Zeit entstanden ist, in der sich die Messe schon in den Kreis der Kleriker und Ministranten zurückgezogen hatte. Als ob nicht eine Bußliturgie der Gemeinde an der Schwelle des Heiligtums sinnvoll, und zwar für die ganze Gemeinde sinnvoll wäre! Manchmal kann man freilich auf diese Weise das Gegenteil hervorbringen, und das führt zu der anderen Wurzel der liturgischen Bewegung hin. Wer sich erinnert, mit welchem Aufwand an Unerbittlichkeit noch vor wenigen Jahren der Choral als die einzig legitime Form von Musik der Kirche dogmatisiert wurde, mit welcher Entrüstung man allem Orchestertand den Platz im Heiligtum verwies (schließlich stammt er erst aus der Barockzeit, dabei ist es schlimm genug, wenn etwas karolingisch ist, statt römisch zu sein!), und wer nun sieht, wie in plötzlich ausgebrochener Jazz-Begeisterung ganz andere Orchester als ehedem Einzug ins Gotteshaus halten, wird sich schwertun, alles, was als Ausdruck liturgischer Bewegung mit größtem Anspruch auf ihn zukommt, gleichermaßen ernst und gewichtig zu nehmen. Der bloße Archaismus hilft nicht und die bloße Modernisierung noch weniger.
Dem, der der Meinung ist, daß der Gottesdienst vor allem für Gott geschehe, wird auch die Rolle etwas verdächtig vorkommen, die das Wort „gestalten" inzwischen in liturgischen Kreisen gewonnen hat. Wer könnte sich wohl vorstellen, wie die Apostel Probegottesdienste feiern, um herauszufinden, welche Form die liturgisch und missionarisch wirksamste sein werde? Man hat leider nicht selten das Gefühl, daß die Aufmerksamkeit der Gestaltenden viel mehr der liturgischen Form zugewandt ist als demjenigen, dem sie gilt. Dann merkt man die Absicht und ist verstimmt. Ein Weniger an Bewußtheit wäre ein Mehr an Gottesdienst. Und wer könnte bestreiten; daß wir auf diese Weise schon mitten in der Ausbildung eines neuen Ritualismus erfindungsreicher Gestaltungen sind, die erneut und beinah mehr als die gewohnten, oft kaum noch als solche empfundenen Riten die Sache selbst verdecken?
Wer könnte des weiteren leugnen, daß es Übersteigerungen und Einseitigkeiten gibt, die ärgerlich und unangemessen sind? Muß eigentlich wirklich jede Messe versus populum zelebriert werden? Ist es eigentlich so wichtig, dem Priester ins Gesicht schauen zu können oder ist es nicht oft recht heilsam, daran zu denken, daß er Mitchrist mit den anderen ist und so allen Grund hat, sich gemeinsam mit ihnen zu Gott hin zu wenden und so mit allen zu sagen „Vater unser"? Der Tabernakel ist von den Hochaltären entfernt - dafür gibt es gute Gründe, aber es kann einen ein Unbehagen beschleichen, wenn man sieht, wie nun an seine Stelle der Priestersitz tritt und sich damit ein Klerikalismus in der Liturgie abzeichnet, der ernster sein kann als derjenige der Vergangenheit. Hatte jene liturgische Entwicklung, die den zentralen Sitz des Priesters abbaute und im Tabernakel den Herrn selbst zum Vorsitzenden der Liturgie machte, nicht doch auch ihren guten Sinn, den wir heute erst allmählich wieder von neuem einzusehen beginnen? War der Abbau des Priestersitzes und der Aufbau des Tabernakels nicht doch auch ein Zeichen der wachsenden Einsicht dafür gewesen, daß das christliche Gotteshaus um Christus polarisiert ist und daß die christliche Liturgie nur einen Vorsitzenden kennt, nämlich ihn?
Beim Hauptgottesdienst
Damit sollen nicht jene Einsichten bestritten werden, die den Vorrang der aktiven liturgischen Feier vor der Anbetung mit klaren biblischen Gründen herausgestellt haben, aber eine Gefahr unserer Form soll signalisiert werden, die mir unübersehbar scheint. Des weiteren: daß es heute den radikalen Ruf nach Einfachheit gibt, der allen ästhetischen Glanz beiseite schieben will, um die ursprüngliche Macht des Wortes und der Wirklichkeit neu zu erfahren, die hier auf uns zutreten, hat sein Recht, ja, seine Notwendigkeit: Die Kirche muß hier immer wieder neu in die Einfachheit der Ursprünge zurückgehen, um hinter allen Gestaltungen das Eigentliche zu erfahren und zu vermitteln. Aber zugleich darf dann doch nicht vergessen werden, daß das Abendmahl des Herrn halten vom Wesen her ein Fest begehen heißt und daß zum Fest auch die festliche Schönheit gehört: Der praeclarus calix reicht bis in die Stunde des Abendmahls zurück, und wenn die ganze Liturgie sich müht, praeclarus calix zu sein, kostbar leuchtendes Gefäß, in dem der Glanz des Ewigen uns schaubar und höher wird, braucht sie sich da von keinem Purismus und Archaismus hindern zu lassen. Vielleicht kann solche Schönheit selbstloserer Dienst sein als die Gestaltungsfreudigkeit, die sich in immer neuen liturgischen Ideen gefällt.
Auch hier, selbst bei der Verteidigung der Schönheit und Erhabenheit, greift der Joseph Ratzinger von 1966 lediglich auf den festlichen Charakter des Abendmahles zurück und nicht wie später auf die kosmische Dimension jeder Messfeier, die den Altarraum zum himmlischen Jerusalem hin öffnet. Die Zeit war für Gedanken an Erhabenheit nicht günstig.
Und endlich: Die Sprache der Liturgie muß verständlich sein, das ist unwiderruflich wahr und Grundgesetz der Liturgie. Aber als die Kirche aus ihrem semitischen Mutterboden fortging, hat sie ein paar Worte mitgenommen, die seither allen Christen gehören: das Amen, das Alleluia, das Hosanna und zuerst auch noch das Maranatha. Als Rom die griechische Sprache aufgab, tat es ähnlich: Man behielt das Kyrie eleison, das Hagios o Theos bei, und in der feierlichen Papstmesse wurde auch weiterhin (und wird bis heute) das Evangelium lateinisch und griechisch gelesen. Muß es nicht ein wenig schmerzlich berühren, wenn das Kyrie, der dünne Faden, der uns in den Jahrhunderten der Trennung verbunden hat mit den Kirchen des Ostens, nun weggenommen wird? Und übrigens: Wenn wir die Entscheidung Roms, das von der griechischen zur lateinischen Liturgie überging, uneingeschränkt für richtig halten, so werden wir doch auch nicht übersehen können, daß diese Entscheidung mit der Anfang der Trennung zwischen Ost und West gewesen ist, die weitgehend ein sprachliches und liturgisches Problem war. Die Sprache hat ein viel größeres Gewicht, als wir gewöhnlich bedenken. Das will heißen, daß in der Stunde, in der die Kirche sich abermals zu einer neuen Etappe ihres Weges durch die Geschichte aufmacht, die Übersetzung der Liturgie Gebot ist, aber nicht zum Bildersturm ausarten darf. Es gibt ein Gesetz der Kontinuität, das nicht ungestraft übertreten wird.
Und das alles zusammen heißt, daß zur Liturgiereform ein hohes Maß an innerkirchlicher Toleranz erforderlich ist, die den nüchternen Namen für die christliche Liebe in diesem Bereich darstellt. Daß es daran oft nicht wenig fehlt, ist wohl die eigentliche Krise der liturgischen Erneuerung bei uns. Das Einander-Ertragen, von dem Paulus spricht; die Weiträumigkeit der Liebe, von der bei Augustin die Rede ist - sie allein können den Raum schaffen, in dem christlicher Gottesdienst zu wahrer Erneuerung zu reifen vermag. Denn der eigentlichste Gottesdienst der Christen ist die Liebe.
Die vollständige Rede ist abgedruckt in „Auf Dein Wort hin“ – Dokumentation zum Deutschen Katholikentag 1966 in Bamberg, herausgegeben vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Paderborn 1966, S. 245 - 264. Der hier wiedergegebene Teil findet sich auf S. 248 - 254. Aus diesem Band entnehmen wir auch die Bilder.
Gerade ein halbes Jahr nach dem feierlichen Abschluß des Konzils hielt Prof. Ratzinger auf dem Bamberger Katholikentag eine große Rede zum „Katholizismus nach dem Konzil“. In dieser Rede setzte er so kritische Akzente, daß der Beifall äußerst verhalten ausfiel und der damalige Münchener Kardinal Döpfner sich öffentlich befremdet zeigte. Seitdem gilt es in der deutschen Kirche als unschicklich, Erwartungen an das Konzil und seine Texte auf der einen Seite mit den tatsächlichen Entwicklungen auf der anderen Seite zu vergleichen.
Wir zitieren aus der Rede den Abschnitt „Zur Situation der liturgischen Erneuerung“. Der Teil ist in sich ungekürzt, wir haben jedoch zusätzliche Absätze eingefügt, um die Lesbarkeit am Bildschirm zu verbessern. Einige Anmerkungen unsererseits sind in der üblichen Weise gekennzeichnet.
Die „liturgische Erneuerung“, von der Joseph Ratzinger hier spricht, ist logischerweise noch nicht der „Novus Ordo“ - dessen Gestalt wurde für Nichteingeweihte erst mit dem Probegottedienst vor der Bischofssynode im Oktober 1967 greifbar. Es ist wahrscheinlich aber auch nicht der Stand von 1965, der zwar verkündet, aber nie in einem eigenen Missale festgehalten worden war. Wahrscheinlich bezieht er sich ganz allgemein auf die liturgischen Wirren, die Ende der 50er Jahre immer mehr Pfarreien erfassten und mit der Verabschiedung von Sacrosanctum Concilium im Dezember 1663 geradezu endemisch geworden waren.