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Kann die Kirche V-II überleben?

Bild: Wikimedia commonsFranz Norbert Otterbeck hat am gestrigen Dienstag auf Kath.net einige Anmerkungen zur „Pastoralen Klugheit des letzten Konzils“ veröffentlicht. Im großen Ganzen können wir uns dem durchaus anschließen und empfehlen den Beitrag gerne zur vollständigen Lektüre. Die Diskussion über die „eigentliche Bedeutung“ des 2. Vatikanums hat unter dem gegenwärtigen Pontifikat wieder neue Bedeutung erlangt. Da ist es schon erhellend, wenn Otterbeck zur „Deutungsgeschichte“ dieser Kirchenversammlung ausführt:

Die bewusste pastorale Klugheit des letzten Konzils wurde von der herrschenden Meinung erstaunlich frech ins Gegenteil verkehrt. Was deutsche, österreichische, schweizer und andere Theologiestudenten der letzten rund 50, bald 60 Jahre vom Konzil mitbekamen, das sind vorwiegend die konfessionspolitischen Parolen im Stil der "Einführungen", die Rahner/Vorgrimler ihrem Konzilskompendium zu jedem Text voranstellten. Der Begriff von Kirche, den 'Lumen gentium' zentral lehrt, wurde schon früh nicht mehr expliziert, speziell nicht in der tendenziell törichten "Pastoral" der deutschen Bischöfe seit 1968 ("Königstein"). Man darf inzwischen von einem fast völligen Fehlschlag der Konzilsrezeption in weiten Teilen der ehemals abendländisch geprägten Regionen der Weltkirche sprechen. Sakramente werden ins Nichts gespendet oder gar nicht. Gebet und Liturgie verkommen zu selbstreferenzieller Selbstbeschäftigung. Priesterausbildung ist paralysiert, Mission wird offen abgesagt.“

So ist das wohl – jede Sitzung des deutschen Synodalen Weges und viele Aussagen und Handlungen des gegenwärtigen Papstes können diesen vernichtenden Befund nur bestätigen. Doch die Diagnose, so richtig sie sein mag, ist für sich noch keine Therapie. Wie kommen wir denn wieder runter von dieser verkehrten Rezeption und verhängnisvollen Praxis, die die Kirche – zumindest wenn es nach den Architekten des Synodalen Weges ginge – bis an den Rand der Selbstauflösung führt? Und kann man wirklich von „pastoraler Klugheit“ sprechen, wenn das Konzil bzw. seine Dokumente es in der pastoralen Realität erlaubten, gerade das Gegenteil von dem durchzusetzen, was die große Mehrheit der Konzilsväter – denn das glauben wir auch – wirklich wollte. Das waren in den 70er und 80er Jahren nicht alles nur Flachköpfe und Dummerjahns, die auf die Taschenspielertricks der Vorgrimmler und Rahner hereinfielen und sich Dokument für Dokument und Absatz für Absatz vormachen ließen, dort stünde etwas, das gar nicht geschrieben und gemeint war.

Da muß auch mit diesen Dokumenten selbst und mit dem Geist aus dem heraus und mit der Sprache, in der sie verfaßt waren, etwas nicht in Ordnung gewesen sein, wenn diese Dokumente so die Umdeutung ermöglicht und zum Mißbrauch geradezu eingeladen haben. Hier geht es weiter Ohne hier in die Tiefe gehen zu können, sollen doch zwei Hinweise zumindest andeuten, was wesentliche Ursachen dieser „Unordnung“ gewesen sein dürften – und daß die Mehrheit der Konzilsväter nicht völlig unschuldig daran war, daß diese Unordnung sich in den Dokumenten einnisten und ausbreiten konnte.

Eine Ursache ist zweifellos die Sprache, in der die Dokumente abgefasst wurden. Zwar hat oder hatte die Kirche eine theologische Fachsprache mit weitgehend eindeutiger Begrifflichkeit. Aber diese Sprache erschien den Konzilsvätern als zu wenig zeitgemäß, zu wenig an den Bedürfnissen des modernen Menschen ausgerichtet. Deshalb waren sie auch so schnell dabei, die von der Vorbereitungskommission ausgearbeiteten Entwürfe abzulehnen: Sie wollten „pastoral“ sein, sich unmittelbar an die „Menschen von heute“ wenden – und verfielen dabei in einen Jargon der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, der in seiner unpräzisen Gefühligkeit schon damals zu Mißverständnissen und Mißdeutungen einlud und heute kaum noch richtig zu interpretieren ist, weil die vor 60 Jahren kursierenden Schlag- und Signalwörter inzwischen vielfach Bedeutungsverschiebungen unterworfen waren.

Hinter diesem Sprachwechsel stand das Mißverständnis, die Konzilsväter müßten sich den Gläubigen direkt oder den Medien als Zwischeninstanz verständlich machen – und das weitere Mißverständnis, die Medien wären überhaupt an einer Information des Publikums im Sinne der Kirche interessiert. Beides ging an der Realität vorbei: Niemand konnte erwarten, daß die „normalen Gläubigen“ sich jemals mit der Lektüre vielhundertseitiger Konzilsbände befassen würden, und noch weniger bestand Anlaß zu der Erwartung, die säkularen Medien wären zu einer konstruktiven Information im Sinne der Kirche bereit oder auch nur befähigt. Es war schon immer die Aufgabe der „Hirten“ – also der Gemeindepriester und der sie anleitenden Bischöfe – dem frommen Volk die Lehre der Kirche in einer der jeweiligen Situation entsprechenden Weise zu vermitteln. Das zentral von Rom aus für die ganze Welt zu bewerkstelligen sollte sich inzwischen als groteskes Mißverständnis herausgestellt haben – wobei die nun als Heilmittel empfohlene Synodalität kaum weniger mit Mißverständnissen und Fehlkonzeptionen belastet ist.

Die „pastorale Illusion“ des Konzils hatte sich bereits in der Eröffnungsrede von Papst Johannes XXIII. vom Oktober 1962 abgezeichnet, die in einigen Abschnitten den Vorsatz bekundet, die Lehre der Kirche unverändert zu bewahren und zu verkünden, und in anderen Abschnitten davon auszugehen scheint, als ob das unter den (damals) gegenwärtigen Bedingungen nachgerade ein Spaziergang durch eine für diese Lehre durchaus aufnahmewillige Umwelt wäre. Wenn der Papst damals über die „Unglückspropheten“ spottete, die in der Gesellschaft nur Tendenzen zu „Untergang und Unheil“ erkennen könnten, war das durchaus keine persönliche Fehlleistung, sondern Ausdruck eines in Kirche und Gesellschaft verbreiteten Zeitgeistes, der vom Willen und den Fähigkeiten der Menschen die Lösung aller irdischen und überirdischen Probleme erwartete. Schließlich hatte gerade einen Monat zuvor (am 12. September 1962) US-Präsident Kennedy vor 40 000 Zuhörern im Stadion der Rice-University den Entschluss verkündet, noch in diesem Jahrzehnt einen „Menschen auf den Mond“ zu schicken.

Doch zurück in die Konzilsaula. Auch frühere Konzilien verfielen in ihren Beschlüssen gelegentlich in Zeitgeistjargon und Theologensprech. Aber sie scheinen sich dieser Gefahr bewußt gewesen zu sein und faßten ihre Kernaussagen noch einmal in sogenannten Anathemas zusammen, in denen sie mit größter Präzision und mit erstaunlich wenig Worten ausführten, was gemeint war, welche falschen Ansichten sie verurteilen und welche richtigen sie verkünden, welche Entscheidung sie ein für allemal festlegen und welche Streitfragen sie offen halten wollten. Der Optimismus der 60er verhinderte, solche Klarstellungen in die Konzilstexte aufzunehmen, und wo sie später dann doch erfolgten – wie ansatzweise in den Erklärungen „Ordinatio Sacerdotalis“ 1994 oder „Dominus Jesus“ (2000) – verhinderten die inzwischen eingetretene Verluderung der Disziplin und die besonders in Deutschland vorangetriebene „Emanzipation“ der Universitätstheologie vom Glauben und Lehramt der Kirche das Wirksamwerden. Die Erwähnung des Lehramtes erfordert natürlich die Präzisierung, daß die nachkonziliaren Päpste fast in allen konkreten Fällen davor zurückschreckten, die von ihnen als richtig erkannte und verkündete Interpretation durch die ihnen zu Gebote stehenden disziplinierenden Maßnahmen auch durchzusetzen.

Dieser Verfall der Autorität des Lehramtes findet seinen bisherigen Höhepunkt in den erratischen und widersprüchlichen Aussagen von Franziskus zu den verschiedensten Gegenständen und praktisch vor allem in dem aktuellen Kräfteringen zwischen dem deutschen Episkopat und dem Vatikan. Die sonst viel beschworene „Lehre des Konzils“ spielt dabei für beide Seiten keine große Rolle. Die Mehrheit der deutschen Bischöfe hat sich auch davon längst emanzipiert, und was wann und wo in Rom gelten soll, weiß auch niemand; Willkür regiert. 57 Jahre nach der Promulgation des letzten Konzilsdokuments „Gaudium et Spes“ im Dezember 1965 ist die Situation reichlich verfahren.

Wie kommt man wieder heraus? Mit einer pauschalen „Annulierung“ der Dokumente ist nicht zu rechnen, sie wäre auch aus den verschiedensten Gründen kaum wünschenswert. Aber auch die von einem sehr ernüchterten ehemaligen Konzilsperitus Ratzinger bereits 1975 nach historischen Präzedenzen ausgebreitete Idee, bestimmte Konzilien oder ihre Beschlüsse einfach dem „Vergessen“ anheim zu geben, ist auf das 2. Vatikanum nicht anwendbar. Bei mittelalterlichen Kirchenräten, die sich mit der nordafrikanischen Piraterie im Mittelmeer befaßten (Lateran III ) oder den Juden das Tragen eines spitzen Hutes verordneten (Lateran IV), mag das angehen – aber so viel Zeit haben wir nicht. So führt wohl kein Weg an der ebenso schmerzhaften wie langwierigen Aufgabe vorbei, die Dokumente von Vatikan II des ihnen unberechtigter Weise zugeschriebenen quasi-dogmatischen Charakters zu entkleiden und Punkt für Punkt darauf durchzugehen, was in der Tradition begründet ist, was eine „organische“ und produktive Entfaltung der Tradition darstellt (ja, auch solche Elemente gibt es), was sich zu Unrecht auf die Tradition beruft und was lediglich Zeitgeistblähungen geschuldet ist. Die Ergebnisse dieses Prozesses wären dann in einer Form, die ebenso präzise ist wie die früheren Anathemas, gegen Mißverständnisse und Mißbrauch abzusichern und in feierlicher Weise zu promulgieren. Versuchen, die solcherart zurückgewiesenen Irrtümer wieder in Umlauf zu bringen, wäre entschieden entgegenzutreten.

Schon beim Erstellen einer solchen Wunschliste wird sichtbar, daß es sich dabei auf unabsehbare Zeit um eine Aufzählung unerfüllbarer Wünsche handelt. Es fehlt im Vatikan, im Episkopat und zumindest in Deutschland auch in der Theologie sowohl der Wille dazu, als auch die Qualifikation. Man hat sich im Chaos wohnlich eingerichtet, und was heißt hier „Heil der Seelen“, wenn es noch nicht einmal wissenschaftlich erwiesen ist, daß es so etwas wie eine Seele überhaupt gibt und diese nach dem Tode des Körpers weiterleben könnte? Es fehlt an Manpower und an Forschungsstätten, und sollte sich wenigstens einmal Problembewußtsein zeigen, wird es entschlossen abgetrieben: Er hat DAS KONZIL geleugnet! Das Institut vom Guten Hirten hat sich zwar bei seiner Gründung die skizzierte Aufgabe in die Satzung geschrieben – aber das war im Jahr 2006 und liegt gefühlt noch weiter zurück als die Konzile im Lateran.

Mit wohlfeilen Appellen ist der Sache nicht beizukommen. Nicht mit den gegenwärtigen vatikanischen Würdenträgern, und auch nicht mit der Sorte Bischöfe, Priester und Theologen, die seit Jahrzehnten den Kurs der Kirche bestimmen. Es wird also noch schlimmer kommen müssen, bevor es besser werden kann. Viel schlimmer. Die gute Nachricht ist: Zumindest daran arbeitet der deutsche Episkopat mit Nachdruck und findet in Rom bereitwillige Duldung.

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