Bereichsnavigation Themen:

Betretenes Schweigen...

Porträtphoto des Kardinals... war die Reaktion auf Ausführungen von Kardinal Walter Kasper zum 2. Vatikanischen Konzil, mit denen der Prälat bereits im April auf den Seiten des Osservatore Romano aus dem allgemeinen Jubelchor über die große Kirchenversammlung des vergangenen Jahrhunderts ausbrach. Deshalb haben wir auch jetzt erst davon erfahren - und deshalb halten wir es auch jetzt noch für aktuell, darüber zu berichten, selbst wenn wir noch keine Übersetzung in eine Sprache gefunden haben, die uns näher liegt als die italienische Fassung des OR.

In seinem unter dem Titel: „Ein Konzil, das immer noch auf dem Weg ist“ erschienen Artikel geht Kardinal Kasper zunächst vom Zukunftsoptimismus der 60er Jahre aus, um dann die persönliche Einschätzung hinzuzufügen:

Was ich wahrnehme, ist nicht der erwartete große Neuanfang und nicht der neue Frühling, sondern eine Kirche in winterlichem Anblick, die deutliche Krisensymptome zeigt.“

Der Kardinal weiß auch einen Grund dafür zu bennen: Den Kompromisscharakter der Konzilsdokumente, die so formuliert worden seien, daß sowohl die Vertreter eines „Aggiornamento“ als auch die Anhänger der Tradition ihnen zustimmen konnten.

Der Nachfolger Johannes XXIII., Papst Paul VI., war grundsätzlich auf der Seite der (dem Aggiornamento zugeneigten) Mehrheit, aber er versuchte auch, die Minderheit einzubinden, und entsprechend der alten Konzilstradition, so weit wie möglich einen Konsens für eine möglichst breite Zustimmung zu erreichen. Das gelang ihm auch, aber zu einem Preis: An vielen Stellen mussten Kompromissformeln gefunden werden, bei denen manchmal die Mehrheitspositionen unmittelbar neben denen der Minderheit stehen, die erstere eingrenzen sollten. Von daher enthalten die Texte des Konzils ein enormes Konfliktpotential, weil sie die Tür zu einer selektiven Rezeption in der einen oder der anderen Richtung öffnen. Welche sollte den Kurs des Konzils und seiner Wegbestimmung für die Katholische Kirche des immer noch jungen 20. Jahrhunderts werden? Das gutgläubige Vertrauen  Johannes XXIII. oder ein Weg zurück in eine sterile Haltung der Verteidigung?“

Die Präferenz des Kardinals wird in diesen Formulierungen offensichtlich - aber er schließt auch nicht die Augen vor der Realität. Er notiert den Überschwang der ersten Reaktionen, die weit über eine „Erneuerung“ hinausgriffen und zu ganz neuen Ufern aufbrechen wollten - etwa mit Karl Rahners jeden Maßstab hinter sich lassender Interpretation des Konzils als „der Anfang eines Anfangs“. Oder noch mehr mit Hans Küngs bewußtem Verwerfen aller Anknüpfungspunkte an die Tradition, die als Kompromisse in die Dokumente aufgenommen worden waren,  und der

...einen Sprung über zweitausend Jahre Kirchengeschichte zurück machte und - von der hl. Schrift ausgehend - die Lehre der Kirche noch einmal völlig neu entwerfen wollte.

Die Reaktion darauf ließ nicht lange auf sich warten. Es war nicht nur Erzbischof Lefebvre und die von ihm gegründete Piusbruderschaft, sondern auch Theologen, die während des Konzils zu den „Progressiven“ gezählt worden waren wie Jaques Maritain, Louis Bouyer oder Henri de Lubac. Anders als Lefebvre kritisierten sie allerdings nicht das Konzil selbst, sondern seine Aufnahme. Und tatsächlich kam es in den beiden ersten Jahrzehnten zu einem Exodus zahlreicher Prierster und Ordensleute, in vielen Regionen  gab es einen Niedergang des religiösen Lebens und es bildeten sich Protestbewegungen von Priestern, Ordensleuten und Laien. Papst Paul VI. sprach vom „Rauch Satans“, der durch einen Spalt in den Tempel Gottes eingedrungen sei.

Auch heute noch halten einige Kritiker das 2. Vatikanische Konzil für eine der großen Katastrophen der Kirchengeschichte und das größte Unglück der Gegenwart. Aber es ist freilich kurzschlüssig, all das, was nach dem Konzil geschehen ist, auf das Konzil als Ursache zurückzuführen. Die Kritiker übersehen die langfristigen Entwicklungen, die schon vor dem Konzil wirkten und mit den sozialen Unruhen im Gefolge der Jugend- und Studentenproteste von 1968 eine bedeutende Beschleunigung erfuhren. Nach 1968 sind dann die emanzipatorischen Tendenzen auch im kirchlichen Raum wirksam geworden. Während des Konzils waren die Progressiven die wahren Konservativen, die die alten Traditionen der Kirche erneuern wollten. Danach erhielt der Begriff „progressiv“ eine neue Bedeutung, die sich nicht mehr an den ältesten Traditionen orientierte, sondern an den „Zeichen der Zeit“ und die das Evangelium entsprechend den veränderten gesellschaftlichen Umständen interpretieren wollte.“

Das sind bemerkenswerte Überlegungen. Sie werden auch nicht dadurch entwertet, daß Kardinal Kasper im folgenden nicht nur mehrere in seinen Augen positive Auswirkungen des Konzils anspricht - solche gibt es ja zweifellos - sondern zu diesen Positiva alles in allem auch die Liturgiereform zählt. Dazu führt er aus:

Diese Reform wurde von der großen Mehrheit mit Dankbarkeit aufgenommen, sie rief aber auch Kritik hervor, teils aus theologischen Gründen, teils auch deshalb, weil einige Heimweh nach der Sakralität und der Ästhetik des bis dahin gebräuchlichen Ritus empfanden.“

Dabei räumt er ein, daß gerade in der Litugie die Reformen noch über den Auftrag des Konzils hinausgingen:

...da doch das Konzil noch am Lateinischen als Norm für die Liturgie festhielt und von der Zelebration zum Volk hin gar nicht die Rede war.“

Was für ein Kontrast zu der vor keiner Entstellung zurückschreckenden Konzils-Schönrednerei, mit der man uns sonst überall zudröhnt! Der ganze Artikel, den man als Nicht-Italiener hier auch mit Unterstützung von Google-Translate angehen kann, ist durchgängig lesenswert und skizziert eine Haltung, von der aus ein sinnvolles Reden über das 2. Vartikanum im Geist der Kirche möglich sein müsste.

Umso irritierender, daß der Kardinal jetzt im Rahmen des Kölner Eucharistischen Kongresses die seit einiger Zeit gebetsmühlenhaft präsentierte Darstellung wiederholte, die Beschlüsse des zweiten Vatikanums seien „genauso verbindlich“ wie die seiner Vorgänger. Welche Sätze aus welchen Beschlüssen in welcher Interpretation? - hochwürdigster Herr Kardinal. Und warum hat das 2. Vatikanum als erstes Konzil seit unvordenklichen Zeiten (nämlich seit der Synode von Elvira 306) darauf verzichtet, das was es lehren oder zurückweisen will, in Canones zu fassen, deren Formulierung nach bestem Bemühen gegen Zweideutigkeiten, Missverständnisse und Entstellungen abgesichert ist?

Zusätzliche Informationen