Sacrosanctum Concilium
- Details
- 29. September 2013
Am 29. September 1963, auf den Tag genau vor 50 Jahren, begann in Rom die zweite Sitzungsperiode des 2. Vatikanischen Konzils. Sie verdient auch insoweit besonderes Interesse, als zu ihrem Abschluss am 4. Dezember als erstes größeres Konzilsdokument überhaupt die Liturgiekonstitution „Sacrosanctum Concilium“ verabschiedet wurde – also jenes Dokument, das seither die Gestalt der Kirche am einschneidendsten und auch am verhängnissvollsten verändert hat. Mit dem Zustandekommen und dem Inhalt dieses Dokumentes und seiner Wirkungsgeschichte wird sich summorum-pontificum.de in den kommenden Wochen mehrfach beschäftigen.
Dabei muß man freilich berücksichtigen, daß die Diskussionen in der Konzilsaula über die Liturgie bereits in der ersten Sitzungsperiode ziemlich genau ein Jahr vorher stattgefunden hatten. Diese erste Periode war in der öffentlichen Wahrnehmung hauptsächlich von den Machtkämpfen der eher traditionsorientierten vatikanischen Vorbereitungskommissionen und den progressiv gestimmten Fraktionen des Weltepiskopats geprägt. Das Thema Liturgie fand außerhalb der Kirche eher begrenzte Aufmerksamkeit. Mit Ausnahme einer bezeichnenden Episode freilich. Die einzige unter „progressiver“ Federführung vobereitete Abstimmungsvorlage (in der Konzilssprache nannte man diese „Schemata“) war die zur Liturgie, bei deren Zustandekommen der Sekretär der Vorbereitungskommission Annibale Bugnini eine entscheidende Rolle gespielt hatte. So waren es hier also in erster Linie traditionsorientierte Kuriale, die Widerspruch anmeldeten, und in diesem Zusammenhang ereignete sich jener denkwürdige Vorfall, bei dem dem Präfekten des hl. Offiziums das Mikrofon abgedreht wurde. Ralph M. Wiltgen beschreibt das in seiner Geschichte des 2. Vatikanums „Der Rhein fließt in den Tiber“ auf beklemmende Weise:
Am 30. Oktober, dem Tag nach seinem zweiundsiebzigsten Geburtstag, richtete Kardinal Ottaviani einen Protest gegen die drastischen für die Messe vorgeschlagenen Änderungen an das Konzil: "Haben wir vor, Verwunderung oder vielleicht sogar Ärgernis unter dem christlichen Volk zu erregen, indem wir Änderungen einführen in einem so ehrwürdigen Ritus, der so viele Jahrhunderte Billigung fand und nunmehr so vertraut ist? Der Ritus der heiligen Messe sollte nicht behandelt werden, als wäre er ein Gewand, das nach der Laune einer jeden Generation zu modernisieren wäre." Da er wegen seiner teilweisen Blindheit ohne Textvorlage sprach, überschritt er die zehnminütige Redezeit, die alle einzuhalten ersucht worden waren. Kardinal Tisserant, der Doyen der Konzilspräsidenten, zeigte seine Uhr zu Kardinal Alfrink hinüber, der an diesem Vormittag den Vorsitz führte. Als Kardinal Ottaviani fünfzehn Minuten erreichte, läutete Kardinal Afrink die Warnglocke. Doch der Redner war von seinem Thema so in Anspruch genommen, daß er die Glocke nicht bemerkte oder sie absichtlich ignorierte. Auf ein Zeichen von Kardinal Alfrink schaltete ein Techniker das Mikrophon ab. Nachdem Kardinal Ottaviani sich von dieser Tatsache durch Klopfen auf das Gerät vergewissert hatte, stolperte er gedemütigt zu seinem Sitz zurück. Der mächtigste Kardinal der Römischen Kurie war zum Schweigen gebracht und die Konzilsväter klatschten vor Freude.
Ähnliche Szenen samt hämischem Beifall haben sich im Lauf der Sitzungsperioden mehrfach wiederholt – auch das sollte man vor Augen haben, wenn heute der Geist der Brüderlichkeit und der tiefempfundenen Einheit, der auf dem Konzil geherrscht habe, beschworen wird. Und speziell diese Szene muß davor warnen, den in der Konstitution über die Liturgie enthaltenen konservativ klingenden Kompromissformeln übermäßig viel Bedeutung zuzumessen. In der Konzilsala gab es vonm ersten Tag an einen Geist der Rebellion, der es schwer macht, dort nur den Willen zur Wahrung von Kontinuität und Erbe am Werk zu sehen. Es ist wahr: Die Konzilsdokumente enthalten Kompromissformeln, um die traditionsbewusste Minderheit einzubinden – als Minderheit. Und auch die Mehrheit war sich über die Tragweite dessen, dem sie ihre Zustimmung gab, oft nicht voll im Klaren. Aber die Gruppen, die die Kirche von Grund auf verändern wollten, wussten genau, was sie taten.
Doch zurück zur Liturgiekonstitution. Da das Schema zur Liturgie in der von Bugninis Kommission vorbereiteten Fassung – im Gegensatz zu den vier anderen Vorentwürfen – auf die Zustimmung einer großen Mehrheit der in der Konzilsaula versammelten Bischöfe rechnen konnte, wurde beschlossen, es als erstes „verabschiedungsreif“ zu machen. Es ging mit diversen Änderungs- und Ergänzungswünschen, die größtenteils in Richtung „Fortschritt“ zielten, an die Vorbereitungskommission zurück, die dann im Frühjahr und Sommer 1963 „zwischen den Sitzungsperioden“ an der Endfassung arbeitete, so daß die Konzilsväter bei ihrem Zusammentreten im Herbst 1963 ein praktisch fertiges Dokument vorfanden.
In der nächsten Folge werde ich versuchen, einige Einblicke in die Hoffnungen und Erwartungen zu geben, von denen sich die Beratungen zur Liturgiekonstitution leiten ließen.