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Wieviel Pluralismus verträgt die Wahrheit?

Porträtphoto des Erzbischofs im DominikanerhabitDer neue Vizepräsident von Ecclesia Dei, Erzbischof Augustin DiNoia, hat dem National Catholic Reporter ein langes Interview gegeben und sich dabei in einer für die Verhältnisse an der Kurie ganz ungewöhnlich offenen Weise geäußert. Einige seine Positionen sind recht ermutigend – andere lassen schmerzhaft deutlich werden, daß der Vatikan immer noch keinen überzeugenden Weg gefunden hat, die postulierte Kontinuität von Leben und Lehre der Kirche vor und nach dem Konzil gegenüber dem in großem Maßstab behaupteten und gelebten Bruch zu verteidigen. Wieder andere erscheinen durchaus bedenklich und lassen befürchten, daß in Zukunft in der Kirche fast jede Lehre und jede Überzeugung möglich sein kann - sofern sich ihre Vertreter nur der Mühe unterziehen, ihre Ansichten irgendwie auf das Wirken des Heiligen Geistes auf dem und um das letzte Konzil zurückzuführen. Wer dagegen daran zweifelt, daß dieses Konzil von jedem Irrtum frei gewesen sei: Anathema sit!

Die offene Redeweise des Erzbischofs hat den Nebeneffekt, daß einige Sätze unvollständig geblieben oder von der Redaktion unzureichend redigiert worden sind - einiges bleibt unverständlich. Ergänzungen der Redaktion oder des Übersetzers stehen in eckigen Klammern, Anmerkungen sind eingerückt. Die Übersetzung ist ungekürzt. Hier finden Sie den Originaltext.

Erzbischof DiNoia, Ecclesia Dei und die Piusbruderschaft

Aus dem National Catholic Register vom 1. 7. 2012. Interview von Rom-Korrespondent Edward Pentin

Was ist der Stand der Gespräche des Vatikans mit der FSSPX?

Um ehrlich zu sein: ich weiß es nicht. Ich habe eine steile Lernkurve hinsichtlich der Probleme, die innerhalb dieses Dialogs aufgetreten sind. Als ich hierhin kam, studierte ich die Geschichte der Reform und befasste mich näher mit dem Konzil, und dabei habe ich eine Menge über die Einwände gelernt, die aus dieser Welt kommen. Ich habe Bücher von Romano Amerio und Roberto de Mattei über das [Zweite Vatikanische] Konzil gelesen, und natürlich habe ich auch das Konzil selbst jahrelang studiert, und von daher habe ich einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen ich mit ihnen über ihre Probleme sprechen kann.

Ein anderes Element, das für mich auch biographisch von großer Bedeutung ist, besteht darin, daß ich bevor ich nach Rom kam mein gesamtes Ordensleben in Dominikanerprioraten größtenteils in Washington und in New Haven verbracht habe. Dort wurde, wenn man das so sagen darf, die Hermeneutik der Kontinuität und Reform gelebt. Ich habe das Konzil niemals als einen Bruch wahrgenommen. Das ist schon interessant: Erst als ich begann, die traditionalistische Literatur und Interpretation zu lesen, fing ich an zu verstehen, daß es da in gewisser Weise reale Probleme gibt. Aber wenn man aufhört, daran zu glauben, daß der Heilige Geist die Kirche vor dem Irrtum bewahrt, dann kappt man seine Ankerketten.

Was immer die Interpretation von rechts oder links sein mag, was immer die Absichten der Autoren der Konzilsdokumente waren: Konzilien können nicht in Irrtum verfallen. Alle ihre Dokumente haben Bestand. Schisma ist keine Antwort. Ich kann vieles nachvollziehen, was die Bruderschaft beschäftigt – aber die Lösung kann nicht darin bestehen, sich von der Kirche zu trennen.

Wenn das so ist – warum glauben Sie, haben sich einige Katholiken dafür entschieden, bei einer „eingefrorenen" Traditon stehen zu bleiben, statt in voller Gemeinschaft zu bleiben?

Ich weiß es wirklich nicht, ich kann nur spekulieren. Um sagen zu können, warum Menschen Traditionalisten sind, müßte ich sagen: Das hängt von den Erfahrungen ab, die sie gemacht haben. Ein Faktor dabei war die Liturgiereform – das war für viele Menschen eine schreckliche Umwälzung und Erschütterung. Viele dieser Menschen fühlen sich verlassen, als ob die Kirche davon gesegelt wäre und sie am Kai zurückgelassen hätte. Jedenfalls sind die Gründe sehr komplex und unterscheiden sich bei den verschiedenen Spielarten des Traditionalismus und nach den Ländern, Kulturen und dem Zusammenhang, in dem sie entstanden sind.

Ein anderes Problem besteht darin, daß man eine einfache Tatsache der Kirchengeschichte nicht mit in Betracht zieht: Nicht alle theologischen Meinungsverschiedenheiten haben kirchentrennenden Character. Die Jesuiten und Dominikaner hatten im 16. Jahrhundert eine tiefgehende Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Theologie des Gnadenwirkens [die „controversia de auxiliis"]. Letzten Endes verbot der Papst ihnen, sich gegenseitig – wie sie es getan hatten – der Häresie zu bezichtigen. Er sagte: „Ihr könnt bei euren jeweiligen theologischen Ansichten bleibe", und weigerte sich, eine doktrinäre Entscheidung zu fällen, die der einen oder der anderen Seite Recht gegeben hätte. Das ist wirklich ein sehr interessantes Beispiel, weil es zeigt, daß der Katholizismus weit genug ist, um ein erhebliches Maß von theologischer Unterschiedlichkeit und Diskussion zu umfassen. In manchen Fällen wird die Kirche auch handeln, aber nur wenn sie sieht, daß Menschen der Häresie verfallen und sich dadurch von der Gemeinschaft trennen.

Das ist ein schwieriges Thema. Bei sehr speziellen Fragen, deren Beantwortung ohnehin nur durch mehr oder weniger glückliche Extrapolation gesicherter Lehraussagen möglich ist – so wie etwa bei der Theorie vom „limbus puerorum" - mag das angehen. Aber wo ist die Grenze, wenn es wie z.B. um Kernbereiche der Lehre wie die Realpräsenz oder das Verständnis vom Opfertod Christi geht? Auch hier werden derzeit ja unter Wegschauen der Autoritäten die widersprüchlichsten Ansichten vertreten, nicht nur in Universitätsseminaren, sondern auch in der Gemeindepredigt. Wieviel Pluralismus verträgt die Wahrheit?

Sie haben in der Vergangenheit eng mit Papst Benedikt XVI. zusammen gearbeitet. Wie wichtig ist ihm diese Aussöhnung?

Der Papst hofft auf die Aussöhnung – das ist seine Aufgabe. Das Petrusamt hat vor allem die Aufgabe, die Einheit der Kirche zu wahren. Unabhängig davon, welche persönlichen Interessen er haben mag, teilt er diese Sorge mit Papst Johannes Paul II. Wie Sie wissen, war er von Anfang an mit dieser Angelegenheit befasst.

Der Papst ist bereit, ihnen [der FSSPX] sehr weit entgegen zu kommen, aber er wird nicht nachgeben hinsichtlich der Frage, daß die Lehre des Zweiten Vatikanums tatsächlich eine Reihe von authentischen Aussagen des Lehramtes darstellt.

Die Piusbruderschaft behauptet, daß das Zweite Vatikanum keine unfehlbaren und unwiderruflichen Lehren verkündet habe. Wenn das so ist , warum ist es dann so wichtig, daß sie ihm zustimmen?

Es gibt darin auch genug, was dogmatischer Art ist. Um ein Beispiel zu nennen: Die Sakramentalität der Bischofsweihe, ist eine Weiterentwicklung der Lehre vom Bischofsamt und hat damit bindenden Charakter.

Traditionell wurden bindende Aussagen als Canones formuliert, die mit Anathemas bewehrt waren. Das ist beim zweiten Vatikanum nicht so, aber seine Aussagen kommen zweifellos vom ordentlichen Lehramt und entwickeln dieses weiter. Es enthält lehramtliche Aussagen. Aber versuchte es, Dinge zu klären, die in Trient oder beim I. Vatikanum hinsichtlich der Hl. Schrift und der Tradition offen geblieben waren?

Und genau dieser Verzicht auf Canones und Anathemas erweist sich im Rückblick auf die große Schwäche dieses Konzils, die früher oder später dazu führen wird, daß seine Dokumente ebenso der Vergessenheit anheimfallen werden, wie viele Dokumente früherer Konzilien auch: Wie soll etwas „lehramtliche Aussage", dessen Sprache über weite Strecken so wolkig und unscharf ist, dessen Aussagen vielfach bis zur Widersprüchlichkeit kompromisslerisch sind, daß seit 50 Jahren keine Einigung darüber erzielt werden kann, was sie denn tatsächlich bedeuten?

Zwar ist anzuerkennen, daß der KKK von 1997 in vielen Fällen als eine eindeutigere und zumeist auch besser mit der Tradition vereinbare Deutung des Konzils gelesen werden kann, so daß die Zahl der „echten" Zweifelsfälle deutlich verringert ist. Aber da gegen die dort gebotene Lesart vielfach und in der Regel ohne jede Reaktion der zuständigen Stellen geradezu programmatisch verstoßen wird, muß der lehramtliche Stellenwert dieses Werkes unsicher bleiben. Auch hier also die Frage: Wieviel Pluralismus verträgt die Wahrheit?

An mehreren Stellen gibt es Weiterentwicklungen der Lehre. Und die Bruderschaft nimmt natürlich an, daß die gesamte Lehre zur Religionsfreiheit eine Abkehr von der Tradition darstellt. Aber einige sehr kluge Leute haben versucht, darzustellen, daß es sich dabei um eine widerspruchsfreie Weiterentwicklung handelte.

Was ich damit ausdrücken wollte, ist, daß sie lediglich einräumen müssen, daß das Konzil nichts gesagt hat, das im Widerspruch zur Tradition [englisch mit großem „T"] steht, und daß jeder Text oder jeder Teil eines Textes, über den kontrovers diskutiert wird, im gesamten Kontext des Konzils und im Licht der Tradition gelesen werden soll. Ich denke, dazu sollten trotz der Problem, die sie haben, in der Lage sein.

Was sagen Sie zu dem Argument, daß die Konzilsdokumente, wenn sie weder unfehlbar noch unveränderbar sind, auch nicht verpflichtend sein können?

Sie als nicht verpflichtend hinzustellen ist sophistisch. Das Konzil enthält ganze Bereiche des ordentlichen Lehramts, das „de fide divina" [im höchsten Grade verbindlich] ist.

Nun enthält die pastorale Konstitution „Über die Kirche in der Welt von heute" (Gaudium et Spes) Anmerkungen über das Wesen der Kultur, die, pauschal gesprochen, heute von jedermann als überoptimistisch betrachtet werden. Nun, das ist nicht „de fide divina". Das ist nicht präzise, es ist sehr unpräzise. Aber das Konzil enthält zahlreiche Aussagen des ordentlichen Lehramts. Als ich für die amerikanische Bischofskonferenz arbeitete und über, sagen wir einmal „Veritatis Splendor" sprach, fragten mich die Leute „Ist das unfehlbar?" - und ich antwortete dann „Die wichtigere Frage ist doch: Ist es wahr?".

Was ich damit sagen wollte: Die Sache mit der „Unfehlbarkeit" wird überbewertet. Aus diesem Grund haben sich auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dazu entschieden, nichts mehr als unfehlbar zu definieren, denn man sieht, was dabei herauskommt: Die Leute sagen, „Ich muß nur das glauben, was als unfehlbar definiert ist." Nun, das ist sehr wenig, und aus diesem Grund gibt es eine Unterscheidung zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Lehramt. Das außerordentliche Lehramt drückt das aus, was die Kirche ausdrücklich definiert – und dabei geht es fast immer um die Regelung von Meinungsverschiedenheiten, die vermutlich definiert worden sind (?). Die Kirche hätte vielleicht nie erklärt, daß Maria die Mutter Gottes war, wenn Nestorius das nicht bestritten hätte. Aber vom ordentlichen Lehramt her gibt es eine Unmenge von Dingen, die wir als „de fide divina" glauben, ohne daß sie jemals [mit explizitem Anspruch auf Unfehlbarkeit] definiert worden wären. Und deshalb spricht man vom ordentlichen Lehramt und versucht, sich damit von dem reduktionistischen Ansatz wegzukommen, der meint, man müsse nur das glauben, was als unfehlbar definiert worden ist. Nein, Das Konzil hat bindende Lehren verkündet. Die Konzilsväter sprechen als Bischöfe der Kirche in Gemeinschaft mit dem Papst, und deshalb ist das Konzil so bedeutend.

In diesen Absätzen wird die Schwäche der Argumentation vielleicht am deutlichsten sichtbar: Ist nach dem 2. Vatikanum nicht buchstäblich jede definierte Glaubensaussage der Kirche von wohlbestallten Theologieprofessoren und oft genug auch von Bischöfen in Frage gestellt worden, so daß, wenn der Verweis auf Nestorius irgendeinen Sinn haben soll, mehr als genug Grund bestanden hätte, nicht etwa das bereits Definierte erneut zu definieren – aber die Tatsache der Definition in Erinnerung zu rufen und gegenüber denen, die die gemeinsame Basis verlassen haben und auch nicht dorthin zurückkehren wollen, die gleiche Konsequenz an den Tag zu legen wie gegenüber Erzbischof Lefebvre?

Woran erkennt man den Unterschied zwischen den „Anmerkungen" der Konzilsväter zur säkularen Kultur, die heute jedermann als „überoptimistisch" betrachtet – und was folglich nicht zum „ordentlichen Lehramt" zählt – und dem, was die einen für „überoptimistisch" oder „zu wenig der Tradition entsprechend" betrachten, während andere es im Rang noch über definierte Dogmen erheben wollen? Und wie verträgt sich dieses Einräumen „überoptimistischer" - d.h. heute als historisch falsifiziert geltender – Anmerkungen mit der oben geforderten Anerkennung, daß das Konzil nichts gesagt habe, das im Widerspruch zur Tradition stehe? Steht die überaus optimistische Grundhaltung von Gaudium et spes gegenüber der Welt nicht im Widerspruch zur traditionellen Haltung der Kirche gegenüber dem „Reich des Fürsten dieser Welt"? Liegt in dieser feinsinnigen Unterscheidung zwischen „Anmerkungen" und „Lehre" hier nicht genau die „Sophisterei" in der Luft, die der Erzbischof an anderer Stelle zurecht zurückweist? Der folgende Absatz bestärkt den Verdacht:

Andererseits hat Kardinal Ratzinger hervorgehoben, daß man das Konzil nicht als eine Art „Superdogma" betrachten dürfe.

Er sagt damit, es habe nicht beabsichtigt, irgendwelche Lehren als unfehlbar zu definieren. Aber er sagt nicht, daß es nicht einen großen Teil Aussagen des ordentlichen Lehramtes enthalte. Nehmen Sie die dogmatischen Konstitutionen, die heißen „Dogmatische" Konstitutionen – Über die Göttliche Offenbarung (Dei Verbum) und Lumen Gentium, diese beiden ganz gewiss, aber andere ebenfalls.

Auf diese bemerkenswert unpräzise Aussage gab es leider keine Nachfrage des Journalisten.

Was könnte die Piusbruderschaft im Falle einer Rekonziliation Positives in die Kirche einbringen?

Die Traditionalisten, die jetzt innerhalb der Kirche tätig sind, wie etwa die Petrusbruderschaft, leisten das, worauf der Papst immer wieder besteht: In der feierlichen Würde, in der sie die Liturgie feiern, insbesondere in der Liturgie, sind sie Zeugen des fortdauernden Lebens der liturgischen Tradition aus der Zeit vor dem Konzil, wie es auch in Summorum Pontificum zum Ausdruck kommt. Das Wesentliche ist: Sie können nicht behaupten, der Novus Ordo sei ungültig. Aber ihrer Zelebration nach dem Missale von 1962 bleibt attraktiv und nährt den Glauben, selbst bei denen, die diesen Ritus nicht von früher her kennen. Das ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt.

Ich habe versucht, dafür eine Analogie zu finden. Die amerikanische Verfassung kann zum Beispiel auf zwei sehr verschiedene Weisen gelesen werden. Wenn die Historiker sie lesen, interessiert sie dabei der historische Kontext: Bei den Verfassungsvätern, ihren Absichten, ihrem geistigen Hintergrund und all dem, was die Verfassung historisch betrifft. Diese historische Forschung kann auch viel Licht auf ihre Deutung und Bedeutung werfen.

Andererseits: Wenn der Oberste Gerichtshof die Verfassung heranzieht, wenn er sie als ein institutionell lebendiges Dokument liest, auf dem die Institutionen eines Landes beruhen, liest er sie auf eine andere Weise. Dabei (kommt es nicht darauf an), was die Verfassungsväter dachten, oder die Experten, auf die sie sich stützten – das entspricht den Bischöfen, und die Experten entsprechen den Periti des Konzils.

Von all dem sind solche Dokumente (wie die Konzilstexte oder eine Verfassung) unabhängig. Ich sage oft, es kommt nicht darauf an, was die Konzilsväter beabsichtigten, sondern darauf, wie man das heute anwendet. Das ist ein lebendes Dokument.

Auch wenn der Text des Interviews hier einige Unklarheiten enthält, ist doch deutlich erkennbar, daß insbesondere der letzte Absatz genau so gemeint ist, wie er hier steht. Das mag der angelsächsischen Rechtstradition entsprechen, die in England ja sogar ganz ohne geschriebene Verfassung auskommt, aber bestimmt nicht dem auf dem römischen Recht beruhenden Rechtsverständnis des Kontinents und auch der Kirche, für die die Absicht des Gesetzgebers von ganz entscheidender Bedeutung dafür ist, was „heute" anwendbar ist und was nicht.

Ja, aber das Problem liegt darin, wie es angewandt worden ist.

Es ist für Theologen und Leute, die Verantwortung tragen, höchst wichtig, zu erkennen, daß das Konzil in überaus destruktiver und gegen die Kontinuität gerichteter Weise interpretiert worden ist. Ich lese gerade ein Buch von Louis Bouyer von 1968 – The Decomposition of Catholicism. Dann ist da Xavier Rynne [i.e. Francis Murphy C.SSR.], der mit seinen Artikeln in The New Yorker das Verständnis der westlichen Welt vom Konzil bestimmte. Der Papst hat über diese Dinge immer wieder mit großer Klarheit geschrieben, aber ohne großen Erfolg). Sie sehen, die Traditionalisten wenden sich teilweise durchaus zu recht gegen die befremdlichen Interpretationen des Konzils durch die Progressisten.

Was können sie noch Positives leisten?

Wenn Sie von der Kirche wieder in die volle Einheit aufgenommen werden, werden sie eine Art lebende Zeugen der Kontinuität darstellen. Sie können dann ganz beruhigt, wieder innerhalb der Kirche stehen und der Beleg dafür sein, daß die Kontinuität der Kirche vor und der nach dem Konzil eine Realität ist.

Diese Beschwörung der Zeugenrolle für die Kontinuität, die oben schon bei der Petrusbruderschaft zu hören war, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die größte davon: Was ist das für eine prekäre Kontinuität, wenn Leben und Lehre der Kirche vor dem Konzil davon gekennzeichnet waren, daß es auf die meisten Grundsatzfragen verbindliche Antworten gab, während nun nicht nur im Ritus, sondern auch in der Lehre die widersprüchlichsten Meinungen anscheinend gleichberechtigt nebeneinander stehen? Wird den traditionsorientierten Katholiken damit nicht die Rolle eines Feigenblattes zugemutet, das die Blöße der von der Mehrheit aufgegegebenen Kontinuität verdeckt? Oder übernehmen sie die Rolle eines Bewahrers, der im Hintergrund die Überlieferung für bessere Zeiten am Leben hält, sich aber tunlichst nicht störend in die Geschäfte der Gegenwart einmischt?

Aber das geht nur, wenn sie die Bedingungen des Vatikan annehmen?

Dazu gehört noch mehr. Es geht nicht nur um ein Kommando: „Bei Rot stehen, bei Grün gehen", denn Mitgliedschaft und volle Einheit erfordert den Glauben daran, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt und daß die Einheit mit dem Stuhl Petri einen Teil der Realität der vollen Einheit darstellt. Das ist nicht etwas äußerliches.

Wenn sie (der Rekonziliation) zustimmen, gehört dazu die Erfüllung der Erfordernisse einer vollen Katholizität, nicht einfach nur (die Anerkennung dessen), was der Papst sagt oder was ich sage. Sie müssen zustimmen: Ja, ich glaube daran, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt". Dann kann ich sagen: Gut, dann seid ihr katholisch.

Aber welche Bedeutung hat diese Aussage, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt, wenn innerhalb dieser Kirche Auffassungen kursieren und von Hirten propagiert werden, die sich gegenseitig widersprechen? Wird mit dieser Aussage das letzte Konzil, jedes Konzil, nicht genau zu genau dem Superdogma, das es nach Auskunft von seinerzeit Kardinal Ratzinger nicht sein soll? Und was macht man mit einem „Superdogma", das sich in vielerlei Hinsicht selbst relativiert oder gar widerspricht – z.B. in der „nota explicativa" zu „Lumen Gentium"?

Die Priesterbruderschaft wurde von Leuten geprägt, die oft von „Irrtum" sprechen. „Irrtum" ist in der katholischen Tradition ein unscharfer Begriff. Es gibt viele verschiedene ebenen des Irrtums. Manchmal bedeutet es, daß jemand der Häresie verfallen ist, manchmal nur, daß ein Urteil vorschnell ist.

Ihre neue Stellung ist die eines Vizepräsidentin von Ecclesia Dei, aber es ist nicht klar, wem Sie darin folgen.

Es gab schon einmal für einige Zeit einen Vizepräsidenten, Msgr. Camillo Perl. Aber man hat mir eine Position zugewiesen, die etwa drei Jahre nicht besetzt war. Ich weiß nicht genau, wann Msgr. Perl in Pension gegangen ist.

Von einigen wird nun gesagt, daß Sie diese Position erhalten haben um daran mitzuwirken, eine kanonische Struktur für den Fall zu entwickeln, daß die FSSPX rekonziliiert wird. Beruht das auf der umfangreichen Arbeit, die sie bei der Schaffung des Anglikanischen Ordinariats geleistet haben?

Das weiß ich nicht. Der Papst hat mir nicht gesagt, warum er mich ausgewählt hat. Ich war von Anfang an beim Ordinariat dabei. Ich war als Untersekretär der Glaubenskongregation an den Gesprächen, die zur Bildung des Ordinariats führten, beteiligt, aber ich bin kein Kirchenrechtler. Bei der Ausarbeitung der Verfassung habe ich nicht direkt mitgewirkt, aber ich habe einige Erfahrungen, vielleicht in Sachen Dialog.

Die Anglikaner, die mit dem Wunsch nach voller Einheit nach Rom kamen, haben mich oft besucht. Da habe ich wohl irgend ein Talent, das sie anzieht. [lacht].

In welchem Ausmaß spielt die von einigen Traditionalisten behauptete Schwächung des Dogmas „extra Ecclesiam nulla salus" eine größere Rolle für das anliegende Problem? Steht das heutige Verständnis des Dogmas im Widerspruch zur früheren Lehre?

Ich weiß nicht, ob man dafür das Konzil verantwortlich machen kann, soweit es um die theologische Tendenz geht, die die Möglichkeit der Erlösung für Nicht-Christen herausstellt. Denn das hat die Kirche stets geglaubt und nie verneint. Rahner hatte hier mit seinen „anonymen Christen" eine unheilvolle Wirkung. Aber das Konzil ändert in dieser Sache nichts an der Lehre der Kirche.

Aber trotzdem wird genau das behauptet?

Das ist ein gutes Beispiel der beiden Dinge, über die wir gesprochen haben: Die Gefahr, das Konzil so zu lesen, wie es von Rahner gelesen wird, und nicht im Licht der ganzen Tradition.

Es heißt auch, daß von Erlösung kaum noch geredet wird.

Ralph Martin sieht das ebenso. Wir stecken in einer Krise, weil die Kirche von der Vorstellung infiziert ist, daß wir uns keine Sorgen machen und keine Angst haben müssen, oder daß wir den Auftrag zur Verkündigung Christi nicht ernst genug nehmen. Aber das kommt nicht vom Zweiten Vatikanum – das ist einfach schlechte Theologie. Deshalb war Dominus Jesus ein Teil der Antwort auf all diese Religionstheologie. Zweifellos hat die Notwendigkeit des „extra Ecclesiam nulla salus“ eine lange Geschichte. Aber dabei ging es um Häretiker, nicht um Ungläubige. Diese Formel gilt dem Problem der Häresie. Sie hat ihre Geschichte.

Das Konzil sagte, daß es Elemente der Gnade in anderen Religionen gibt, und ich denke nicht, daß man davon abrücken sollte. Ich habe diese Elemente gesehen, ich kenne sie – ich habe Lutheraner und Anglikaner getroffen, die Heilige sind.

Hier scheint nun einiges durcheinander zu gehen, und das nicht nur sprachlich. Das „extra Ecclesiam nulla salus" gilt also nur den Häretikern, die sich von der Kirche getrennt haben, aber nicht den Ungläubigen, die sie gar nicht kennen? Mag sein. Aber wie ist das denn mit den „anglikanischen Heiligen“, die doch eher den Häretikern als den Ungläubigen zuzurechnen sind – sofern sie in der Trennung von der Kirche verharren? Hier hätte man sich eine Nachfrage des Interviewers gewünscht.

Einige Traditionalisten behaupten, daß der säkulare Humanismus in der modernen Kirche oft gegenüber dogmatischen Erwägungen die Oberhand behält. Ein Beispiel: Der heilige Vater hat gesagt, wenn er um den Antisemitismus von Bischof Williamson gewußt hätte, hätte er dessen Exkommunikation nicht aufgehoben. Aber der Antisemitismus – so sehen es die Traditionalisten – ist zwar vom Bösen, aber er berührt keine dogmatischen Fragen. Und auf der anderen Seite können katholische Politiker dem Dogma direkt widersprechen und bleiben doch in voller Einheit mit der Kirche. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine Falle. In seinem sehr guten Buch „Secularization" sagt Edward Norman, daß das, was er „innere Säkularisierung" oder „säkularen Humanismus" nennt, zweifellos in Teile der Kirche eingedrungen ist. Die FSPX hat damit vermutlich völlig recht – und ich könnte ihnen wahrscheinlich eine längere Liste von Beispielen dafür geben, als sie selbst haben.

Aber Williamson von dieser Position her zu verteidigen ist geschmacklos und schändlich. Ist ein Politiker das gleiche wie ein Bischof? Ich bitte Sie, das ist Müll, das ist Sophisterei.

Wollen sie pauschal jeden exkommunizieren, der für die Möglichkeit der Abtreibung eintritt? Und auf der anderen Seite gibt es hier jemanden, einen Bischof, der offen für eine Position eintritt, nämlich den Antisemitismus, den die Kirche mit äußerster Kraft in ihrem Inneren zu bekämpfen sucht.

Auch das kann nicht voll überzeugen. Niemand in der Führung der FSSPX hat den Amateurhistoriker Williamson verteidigt, ganz abgesehen davon, daß historisch unhaltbare Aussagen zum Umfang der Judenvernichtung – diese selbst hat Williamson nicht bestritten – noch nicht per se „Antisemitismus“ bedeuten, obwohl sie ein Indiz für eine dahingehende Neigung sein können. An einen Bischof, darin ist Erzbischof DiNoia zuzustimmen, stellt die Kirche andere, höhere Anforderungen als an einen irgendwie „katholischen“ Politiker. Aber liegt die „geschmacklose und schändliche“ falsche Behauptung von Bischof Williamson zum Umfang der Judenvernichtung nicht auf einer anderen Ebene als der direkte Widerspruch eines Katholiken gegen ein Dogma?. Und warum bekämpft die Kirche den Widerspruch gegen Dogmen in ihrem Inneren nicht ebenso „mit äußerster Kraft" wie den in Williamsons Äußerungen gesehenen Antisemitismus.

Da stellt sich schon die Frage, ob hier nicht gerade der „säkulare Humanismus“ stärker gewichtet wird als die Einheit und Wahrheit der Lehre. Oder sollen selbst solche Unterschiede keine kirchentrennende Wirkung mehr haben?

Die Erklärung der Glaubenskongregation zu Ihrer Ernennung spricht davon, ihre Erfahrung werde „die Weiterentwicklung bestimmter gewünschter liturgischer Vorgaben“ bei der Feier nach dem Missale Romanum von 1962 erleichtern. Können Sie das etwas genauer erklären?

Dabei geht es um zwei Sachverhalte: Im Kalender gibt e eine Menge Heilige, die man (gemeint ist hier anscheinend die Gottedienstkongregation) gerne in das Messbuch aufnehmen würde – aber das Missale Romanum ist abgeschlossen. Es wird einen Dialog zwischen der Glaubenskongregation und der Gottesdienstkongregation geben müssen, wie man Elemente des Römischen Kalendariums so, wie es sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, in das Missale (der überlieferten Liturgie) aufnimmt. Und dann die Präfationen: Das alte Missale Romanum von 1962 hat nur eine sehr begrenzte Zahl von Präfationen, und sie (wohl wieder die Gottesdienstkongregation) wollen auch einige davon in das alte Missale einführen. Aber das ist nun mal die Ausgabe von 1962, und wer ist befugt, diese Ausgabe zu revidieren?

Letzten Ende ist der Novus Ordo, also das aktuelle Missale Romanum, schon eine Revision des Missale Romanum von 1962. Also stellt sich das Problem: Wer ist dafür zuständig? Ich weiß es nicht, aber irgend jemand muß es ja tun. Wir hatten bereits zwei Zusammenkünfte zwischen Vertretern der Kongregation und von Ecclesia Dei um darüber zu beraten, wie das zu bewerkstelligen ist.

Das ist nun Bürokratie in Bestform. Eine ungenannte Instanz – der Text spricht nur von „sie“ , und das ist etwas anderes als „von allerhöchster Stelle“ – will die Veränderungen, und schon spricht man nicht mehr darüber, ob diese sinnvoll, nützlich oder gar schädlich wären, sondern es geht nur noch um die Frage der Zuständigkeit und der Vorgehensweise unter Beachtung der in der römischen Bürokratie wie in allen Bürokratien dicht gestreuten wohlerworbenen Rechte, persönlichen Befindlichkeiten und Karriereplanungen von Beteiligten und Unbeteiligten. Gerne würde man glauben daß Papst Benedikt den in dieser Hinsicht eher unsensiblen Bischof Müller eben deshalb zum Präfekten der Glaubenskongregation gemacht hat.

Es war auch davon die Rede, daß sie gute Beziehungen zur Jüdischen Gemeinschaft haben. Wie gut sind diese Beziehungen?

Seit der Zeit, als ich in den Vereinigten Staaten für die Bischofskonferenz tätig war, habe ich lange und gute Beziehungen zu verschiedenen jüdischen Führern. Sie kommenjedes Jahr zu mir auf Besuch. Ich weiß nicht, ob sie sich poffentlich geäußert haben, aber am Telephon waren sie sehr zufrieden. Sie wissen, daß ich gegenüber ihren Sorgen aufgeschlossen bin.

Für die FSSPX stellt „Nostra Aetate" (ein Dokument, von dem viele glauben, daß es die jüdisch-katholischen Beziehung verbessert habe), ein Problem dar.

Ja, aber bedenken Sie: Wenn sie die Konstitution wörtlich lesen wie ein Jurist, da gibt es eine allgemeine und eine engere Auslegung, und diese Meinungsverschiedenheiten kann sogar zwischen zwei Richtern zur gleichen Zeit auftreten. Wenn die FSSPX also eine engere Auslegung dieser Konzilstexte einnehmen wollen, steht ihnen das theologisch frei. Aber das heißt nicht, daß sie deshalb außerhalb der Kirche stünden. Allerdings sollten sie ihre Argumentation auch theologisch vertreten.

Ist eine Rekonziliation denn angesichts der Probleme in Kirche und Gesellschaft derzeit angebracht?

Mein Instinkt sagt ja. Bedenken sie, bevor Papst Benedikt im Dezember 2005 seine Rede an die Kurie hielt, in dem er das berühmte Argument von Hermeneutik und Kontinuität entwickelte, konnte man über diese Dinge noch nicht einmal sprechen. Damit hat er uns wieder die Freiheit gegeben.

Jetzt kann man De Lubac, Congar, Chenu und andere kritisieren. Junge Leute schreiben Doktorarbeiten und Bücher, die vorher einfach unmöglich waren. Deshalb meine ich, daß die herrschende progressistische Lesart des Konzils auf dem Rückzug ist. Das waren sie vorher noch nie. Und auch sie [die Progressisten] müssen das Beharren auf der Kontinuität anerkennen.

Die Traditionalisten müssen sich demgegenüber davon befreien, das Konzil als Bruch und Diskontinuität zu sehen.

Diese Unterscheidung hat de Mattei eingeführt. Das Konzil wurde als Bruch wahrgenommen, aber lehrmäßig und theologisch muß es unter dem Vorzeichen der Kontinuität wahrgenommen werden – andernfalls kann man gleich das Handtuch werfen.

Glauben Sie, daß die FSSPX fürchtet, ihre Interessen würden im Falle einer Rekonziliation nicht abgesichert?

Wieso sollten sie nicht abgesichert sein? Wer sagt ihnen, was sie tun sollen? Das einzige, was ich ihnen sage, ist: Das Zweite Vatikanum ist keine Abwendung von der Tradition.

Sind sie hinsichtlich der Rekonziliation optimistisch oder pessimistisch?

Keines von beiden – ich weiß es einfach nicht. Ich denke, es wird letztlich ein Akt der Gnade sein. Ich werde die Dominikaner bitten, mit dem Beten anzufangen. Ich hoffe, es wird gelingen. Der Papst möchte nicht, daß das so weitergeht, noch eine Sekte, noch eine Spaltung.

Di Noia im National Catholic Register

Was ist der Stand der Gespräche des Vatikans mit der FSSPX?



Um ehrlich zu sein: ich weiß es nicht. Ich habe eine steile Lernkurve hinsichtlich der Probleme, die innerhalb dieses Dialogs aufgetreten sind. Als ich hierhin kam, studierte ich die Geschichte der Reform und befasste mich näher mit dem Konzil, und dabei habe ich eine Menge über die Einwände gelernt, die aus dieser Welt kommen. Ich habe Bücher von Romano Amerio und Roberto de Mattei über das [Zweite Vatikanische] Konzil gelesen, und natürlich habe ich auch das Konzil selbst jahrelang studiert, und von daher habe ich einen Bezugsrahmen, innerhalb dessen ich mit ihnen über ihre Probleme sprechen kann.

Ein anderes Element, das für mich auch biographisch von großer Bedeutung ist, besteht darin, daß ich bevor ich nach Rom kam mein gesamtes religiöses Leben in Dominikanerprioraten größtenteils in Washington und in New Haven verbracht habe. Dort wurde, wenn man das so sagen darf, die Hermeneutik der Kontinuität und Reform gelebt. Ich habe das Konzil niemals als einen Bruch wahrgenommen. Das ist schon interessant: Erst als ich begann, die traditionalistische Literatur und Interpretation zu lesen, fing ich an zu verstehen, daß es da in gewisser Weise reale Probleme gibt. Aber wenn man aufhört, daran zu glauben, daß der Heilige Geist die Kirche vor dem Irrtum bewahrt, dann kappt man seine Ankerketten.

Was immer die Interpretation von rechts oder links sein mag, was immer die Absichten der Autoren der Konzilsdokumente waren: Konzilien können nicht in Irrtum verfallen. Alle ihre Dokumente haben Bestand. Schisma ist keine Antwort. Ich kann vieles nachvollziehen, was die Bruderschaft beschäftigt – aber die Lösung kann nicht darin bestehen, sich von der Kirche zu trennen.

Wenn das so ist – warum glauben Sie, haben sich einige Katholiken dafür entschieden, bei einer „eingefrorenen“ Traditon stehen zu bleiben, statt in voller Gemeinschaft zu bleiben?

Ich weiß es wirklich nicht, ich kann nur spekulieren. Um sagen zu können, warum Menschen Traditionalisten sind, müßte ich sagen: Das hängt von den Erfahrungen ab, die sie gemacht haben. Ein Faktor dabei war die Liturgiereform – das war für viele Menschen eine schreckliche Umwälzung und Erschütterung. Viele dieser Menschen fühlen sich verlassen, als ob die Kirche davon gesegelt wäre und sie am Kai zurückgelassen hätte. Jedenfalls sind die Gründe sehr komplex und unterscheiden sich bei den verschiedenen Spielarten des Traditionalismus und nach den Ländern, Kulturen und dem Zusammenhang, in dem sie entstanden sind.

Ein anderes Problem besteht darin, daß man eine einfache Tatsache der Kirchengeschichte nicht mit in Betracht zieht: Nicht alle theologischen Meinungsverschiedenheiten haben kirchentrennenden Character. Die Jesuiten und Dominikaner hatten im 16. Jahrhundert eine tiefgehende Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Theologie des Gnadenwirkens [die „controversia de auxiliis“]. Letzten Endes verbot der Papst ihnen, sich gegenseitig – wie sie es getan hatten – der Häresie zu bezichtigen. Er sagte: „Ihr könnt bei euren jeweiligen theologischen Ansichten bleibe“, und weigerte sich, eine doktrinäre Entscheidung zu fällen, die der einen oder der anderen Seite Recht gegeben hätte. Das ist wirklich ein sehr interessantes Beispiel, weil es zeigt, daß der Katholizismus weit genug ist, um ein erhebliches Maß von theologischer Unterschiedlichkeit und Diskussion zu umfassen. In manchen Fällen wird die Kirche auch handeln, aber nur wenn sie sieht, daß Menschen der Häresie verfallen und sich dadurch von der Gemeinschaft trennen.

Das ist ein schwieriges Thema. Bei sehr speziellen Fragen, deren Beantwortung ohnehin nur durch mehr oder weniger glückliche Extrapolation gesicherter Lehraussagen möglich ist – so wie etwa bei der Theorie vom „limbus puerorum“ - mag das angehen. Aber wo ist die Grenze, wenn es wie z.B. um Kernbereiche der Lehre wie die Realpräsenz oder das Verständnis vom Opfertod Christi geht? Auch hier werden derzeit ja unter Wegschauen der Autoritäten die widersprüchlichsten Ansichten vertreten, nicht nur in Universitätsseminaren, sondern auch in der Gemeindepredigt. Wieviel Pluralismus verträgt die Wahrheit?

Sie haben in der Vergangenheit eng mit Papst Benedikt XVI. zusammen gearbeitet. Wie wichtig ist ihm diese Aussöhnung?

Der Papst hofft auf die Aussöhnung – das ist seine Aufgabe. Das Petrusamt hat vor allem die Aufgabe, die Einheit der Kirche zu wahren. Unabhängig davon, welche persönlichen Interessen er haben mag, teilt er diese Sorge mit Papst Johannes Paul II. Wie Sie wissen, war er von Anfang an mit dieser Angelegenheit befasst.

Der Papst ist bereit, ihnen [der FSSPX] sehr weit entgegen zu kommen, aber er wird nicht nachgeben hinsichtlich der Frage, daß die Lehre des Zweiten Vatikanums tatsächlich eine Reihe von authentischen Aussagen des Lehramtes darstellt.

Die Piusbruderschaft behauptet, daß das Zweite Vatikanum keine unfehlbaren und unwiderruflichen Lehren verkündet habe. Wenn das so ist , warum ist es dann so wichtig, daß sie ihm zustimmen?

Es gibt darin auch genug, was dogmatischer Art ist. Um ein Beispiel zu nennen: Die Sakramentalität der Bischofsweihe, ist eine Weiterentwicklung der Lehre vom Bischofsamt und hat damit bindenden Charakter.

Traditionell wurden bindende Aussagen als Canones formuliert, die mit Anathemas bewehrt waren. Das ist beim zweiten Vatikanum nicht so, aber seine Aussagen kommen zweifellos vom ordentlichen Lehramt und entwickeln dieses weiter. Es enthält lehramtliche Aussagen. Aber versuchte es, Dinge zu klären, die in Trient oder beim I. Vatikanum hinsichtlich der Hl. Schrift und der Tradition offen geblieben waren?

Und genau dieser Verzicht auf Canones und Anathemas erweist sich im Rückblick auf die große Schwäche dieses Konzils, die früher oder später dazu führen wird, daß seine Dokumente ebenso der Vergessenheit anheimfallen werden, wie viele Dokumente früherer Konzilien auch: Wie soll etwas „lehramtliche Aussage“, dessen Sprache über weite Strecken so wolkig und unscharf ist, dessen Aussagen vielfach bis zur Widersprüchlichkeit kompromisslerisch sind, daß seit 50 Jahren keine Einigung darüber erzielt werden kann, was sie denn tatsächlich bedeuten?

Zwar ist anzuerkennen, daß der KKK von 1997 in vielen Fällen als eine eindeutigere und zumeist auch besser mit der Tradition vereinbare Deutung des Konzils gelesen werden kann, so daß die Zahl der „echten“ Zweifelsfälle deutlich verringert ist. Aber da gegen die dort gebotene Lesart vielfach und in der Regel ohne jede Reaktion der zuständigen Stellen geradezu programmatisch verstoßen wird, muß der lehramtliche Stellenwert dieses Werkes unsicher bleiben. Auch hier also die Frage: Wieviel Pluralismus verträgt die Wahrheit?

An mehreren Stellen gibt es Weiterentwicklungen der Lehre. Und die Bruderschaft nimmt natürlich an, daß die gesamte Lehre zur Religionsfreiheit eine Abkehr von der Tradition darstellt. Aber einige sehr kluge Leute haben versucht, darzustellen, daß es sich dabei um eine widerspruchsfreie Weiterentwicklung handelte.

Was ich damit ausdrücken wollte, ist, daß sie lediglich einräumen müssen, daß das Konzil nichts gesagt hat, das im Widerspruch zur Tradition [englisch mit großem „T“] steht, und daß jeder Text oder jeder Teil eines Textes, über den kontrovers diskutiert wird, im gesamten Kontext des Konzils und im Licht der Tradition gelesen werden soll. Ich denke, dazu sollten trotz der Problem, die sie haben, in der Lage sein.

Was sagen Sie zu dem Argument, daß die Konzilsdokumente, wenn sie weder unfehlbar noch unveränderbar sind, auch nicht verpflichtend sein können?

Sie als nicht verpflichtend hinzustellen ist sophistisch. Das Konzil enthält ganze Bereiche des ordentlichen Lehramts, das „de fide divina“ [im höchsten Grade verbindlich] ist.

Nun enthält die pastorale Konstitution „Über die Kirche in der Welt von heute“ (Gaudium et Spes) Anmerkungen über das Wesen der Kultur, die, pauschal gesprochen, heute von jedermann als überoptimistisch betrachtet werden. Nun, das ist nicht „de fide divina“. Das ist nicht präzise, es ist sehr unpräzise. Aber das Konzil enthält zahlreiche Aussagen des ordentlichen Lehramts. Als ich für die amerikanische Bischofskonferenz arbeitete und über, sagen wir einmal „Veritatis Splendor“ sprach, fragten mich die Leute „Ist das unfehlbar?“ - und ich antwortete dann „Die wichtigere Frage ist doch: Ist es wahr?“.

Was ich damit sagen wollte: Die Sache mit der „Unfehlbarkeit“ wird überbewertet. Aus diesem Grund haben sich auch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. dazu entschieden, nichts mehr als unfehlbar zu definieren, denn man sieht, was dabei herauskommt: Die Leute sagen, „Ich muß nur das glauben, was als unfehlbar definiert ist.“ Nun, das ist sehr wenig, und aus diesem Grund gibt es eine Unterscheidung zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Lehramt. Das außerordentliche Lehramt drückt das aus, was die Kirche ausdrücklich definiert – und dabei geht es fast immer um die Regelung von Meinungsverschiedenheiten, die vermutlich definiert worden sind (?). Die Kirche hätte vielleicht nie erklärt, daß Maria die Mutter Gottes war, wenn Nestorius das nicht bestritten hätte. Aber vom ordentlichen Lehramt her gibt es eine Unmenge von Dingen, die wir als „de fide divina“ glauben, ohne daß sie jemals [mit explizitem Anspruch auf Unfehlbarkeit] definiert worden wären. Und deshalb spricht man vom ordentlichen Lehramt und versucht, sich damit von dem reduktionistischen Ansatz wegzukommen, der meint, man müsse nur das glauben, was als unfehlbar definiert worden ist. Nein, Das Konzil hat bindende Lehren verkündet. Die Konzilsväter sprechen als Bischöfe der Kirche in Gemeinschaft mit dem Papst, und deshalb ist das Konzil so bedeutend.

In diesen Absätzen wird die Schwäche der Argumentation vielleicht am deutlichsten sichtbar: Ist nach dem 2. Vatikanum nicht buchstäblich jede definierte Glaubensaussage der Kirche von wohlbestallten Theologieprofessoren und oft genug auch von Bischöfen in Frage gestellt worden, so daß, wenn der Verweis auf Nestorius irgendeinen Sinn haben soll, mehr als genug Grund bestanden hätte, nicht etwa das bereits Definierte erneut zu definieren – aber die Tatsache der Definition in Erinnerung zu rufen und gegenüber denen, die die gemeinsame Basis verlassen haben und auch nicht dorthin zurückkehren wollen, die gleiche Konsequenz an den Tag zu legen wie gegenüber Erzbischof Lefebvre?

Woran erkennt man den Unterschied zwischen den „Anmerkungen“ der Konzilsväter zur säkularen Kultur, die heute jedermann als „überoptimistisch“ betrachtet – und was folglich nicht zum „ordentlichen Lehramt“ zählt – und dem, was die einen für „überoptimistisch“ oder „zu wenig der Tradition entsprechend“ betrachten, während andere es im Rang noch über definierte Dogmen erheben wollen? Und wie verträgt sich dieses Einräumen „überoptimistischer“ - d.h. heute als historisch falsifiziert geltender – Anmerkungen mit der oben geforderten Anerkennung, daß das Konzil nichts gesagt habe, das im Widerspruch zur Tradition stehe? Steht die überaus optimistische Grundhaltung von Gaudium et spes gegenüber der Welt nicht im Widerspruch zur traditionellen Haltung der Kirche gegenüber dem „Reich des Fürsten dieser Welt“? Liegt in dieser feinsinnigen Unterscheidung zwischen „Anmerkungen“ und „Lehre“ hier nicht genau die „Sophisterei“ in der Luft, die der Erzbischof an anderer Stelle zurecht zurückweist? Der folgende Absatz bestärkt den Verdacht:

Andererseits hat Kardinal Ratzinger hervorgehoben, daß man das Konzil nicht als eine Art „Superdogma“ betrachten dürfe.

Er sagt damit, es habe nicht beabsichtigt, irgendwelche Lehren als unfehlbar zu definieren. Aber er sagt nicht, daß es nicht einen großen Teil Aussagen des ordentlichen Lehramtes enthalte. Nehmen Sie die dogmatischen Konstitutionen, die heißen „Dogmatische“ Konstitutionen – Über die Göttliche Offenbarung (Dei Verbum) und Lumen Gentium, diese beiden ganz gewiss, aber andere ebenfalls.

Auf diese bemerkenswert unpräzise Aussage gab es leider keine Nachfrage des Journalisten.

Was könnte die Piusbruderschaft im Falle einer Rekonziliation positives in die Kirche einbringen?

Die Traditionalisten, die jetzt innerhalb der Kirche tätig sind, wie etwa die Petrusbruderschaft, leisten das, worauf der Papst immer wieder besteht: In der feierlichen Würde, in der sie die Liturgie feiern, insbesondere in der Liturgie, sind sie Zeugen des fortdauernden Lebens der liturgischen Tradition aus der Zeit vor dem Konzil, wie es auch in Summorum Pontificum zum Ausdruck kommt. Das Wesentliche ist: Sie können nicht behaupten, der Novus Ordo sei ungültig. Aber ihrer Zelebration nach dem Missale von 1962 bleibt attraktiv und nährt den Glauben, selbst bei denen, die diesen Ritus nicht von früher her kennen. Das ist ein ganz wesentlicher Gesichtspunkt.

Ich habe versucht, dafür eine Analogie zu finden. Die amerikanische Verfassung kann zum Beispiel auf zwei sehr verschiedene Weisen gelesen werden. Wenn die Historiker sie lesen, interessiert sie dabei der historische Kontext: Bei den Verfassungsvätern, ihren Absichten, ihrem geistigen Hintergrund und all dem, was die Verfassung historisch betrifft. Diese historische Forschung kann auch viel Licht auf ihre Deutung und Bedeutung werfen.

Andererseits: Wenn der Oberste Gerichtshof die Verfassung heranzieht, wenn er sie als ein institutionell lebendiges Dokument liest, auf dem die Institutionen eines Landes beruhen, liest er sie auf eine andere Weise. Dabei (kommt es nicht darauf an), was die Verfassungsväter dachten, oder die Experten, auf die sie sich stützten – das entspricht den Bischöfen, und die Experten entsprechen den Periti des Konzils.

Von all dem sind solche Dokumente (wie die Konzilstexte oder eine Verfassung) unabhängig. Ich sage oft, es kommt nicht darauf an, was die Konzilsväter beabsichtigten, sondern darauf, wie man das heute anwendet. Das ist ein lebendes Dokument.

Auch wenn der Text des Interviews hier einige Unklarheiten enthält, ist doch völlig klar, daß insbesondere der letzte Absatz genau so gemeint ist, wie er hier steht. Das mag der angelsächsischen Rechtstradition entsprechen, die in England ja sogar ganz ohne geschriebene Verfassung auskommt, aber bestimmt nicht dem auf dem römischen Recht beruhenden Rechtsverständnis des Kontinents und auch der Kirche, für die die Absicht des Gesetzgebers von ganz entscheidender Bedeutung dafür ist, was „heute“ anwendbar ist und was nicht.

Ja, aber das Problem liegt darin, wie es angewandt worden ist.

Es ist für Theologen und Leute, die Verantwortung tragen, höchst wichtig, zu erkennen, daß das Konzil in überaus destruktiver und gegen die Kontinuität gerichteter Weise interpretiert worden ist. Ich lese gerade ein Buch von Louis Bouyer von 1968 – The Decomposition of Catholicism. Dann ist da Xavier Rynne [i.e. Francis Murphy C.SSR.], der mit seinen Artikeln in The New Yorker das Verständnis der westlichen Welt vom Konzil bestimmte. Der Papst hat über diese Dinge immer wieder mit großer Klarheit geschrieben, aber ohne großen Erfolg). Sie sehen, die Traditionalisten wenden sich teilweise durchaus zu recht gegen die befremdlichen Interpretationen des Konzils durch die Progressisten.

Was können sie noch Positives leisten?

Wenn Sie von der Kirche wieder in die volle Einheit aufgenommen werden, werden sie eine Art lebende Zeugen der Kontinuität darstellen. Sie können dann ganz beruhigt, wieder innerhalb der Kirche stehen und der Beleg dafür sein, daß die Kontinuität der Kirche vor und der nach dem Konzil eine Realität ist.

Diese Beschwörung der Zeugenrolle für die Kontinuität, die oben schon bei der Petrusbruderschaft zu hören war, wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Die größte davon: Was ist das für eine prekäre Kontinuität, wenn Leben und Lehre der Kirche vor dem Konzil davon gekennzeichnet waren, daß es auf die meisten Grundsatzfragen verbindliche Antworten gab, während nun nicht nur im Ritus, sondern auch in der Lehre die widersprüchlichsten Meinungen anscheinend gleichberechtigt nebeneinander stehen? Wird den traditionsorientierten Katholiken damit nicht die Rolle eines Feigenblattes zugemutet, das die Blöße der von der Mehrheit aufgegegebenen Kontinuität verdeckt? Oder übernehmen sie die Rolle eines Bewahrers, der im Hintergrund die Überlieferung für bessere Zeiten am Leben hält, sich aber tunlichst nicht störend in die Geschäfte der Gegenwart einmischt?

Aber das geht nur, wenn sie die Bedingungen des Vatikan annehmen?

Dazu gehört noch mehr. Es geht nicht nur um ein Kommando: „Bei Rot stehen, bei Grün gehen“, denn Mitgliedschaft und volle Einheit erfordert den Glauben daran, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt und daß die Einheit mit dem Stuhl Petri einen Teil der Realität der vollen Einheit darstellt. Das ist nicht etwas äußerliches.

Wenn sie (der Rekonziliation) zustimmen, gehört dazu die Erfüllung der Erfordernisse einer vollen Katholizität, nicht einfach nur (die Anerkennung dessen), was der Papst sagt oder was ich sage. Sie müssen zustimmen: Ja, ich glaube daran, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt“. Dann kann ich sagen: Gut, dann seid ihr katholisch.

Aber welche Bedeutung hat diese Aussage, daß der Heilige Geist die Kirche vor Irrtum bewahrt, wenn innerhalb dieser Kirche Auffassungen kursieren und von Hirten propagiert werden, die sich gegenseitig widersprechen? Wird mit dieser Aussage das letzte Konzil, jedes Konzil, nicht genau zu genau dem Superdogma, das es nach Auskunft von seinerzeit Kardinal Ratzinger nicht sein soll? Und was macht man mit einem „Superdogma“, das sich in vielerlei Hinsicht selbst relativiert oder gar widerspricht – z.B. in der „nota explicativa“ zu „Lumen Gentium“?

Die Priesterbruderschaft wurde von Leuten geprägt, die oft von „Irrtum“ sprechen. „Irrtum“ ist in der katholischen Tradition ein unscharfer Begriff. Es gibt viele verschiedene ebenen des Irrtums. Manchmal bedeutet es, daß jemand der Häresie verfallen ist, manchmal nur, daß ein Urteil vorschnell ist.

Ihre neue Stellung ist die eines Vizepräsidentin von Ecclesia Dei, aber es ist nicht klar, wem Sie darin folgen.

Es gab schon einmal für einige Zeit einen Vizepräsidenten, Msgr. Camillo Perl. Aber man hat mir eine Position zugewiesen, die etwa drei Jahre nicht besetzt war. Ich weiß nicht genau, wann Msgr. Perl in Pension gegangen ist.

Von einigen wird nun gesagt, daß Sie diese Position erhalten haben um daran mitzuwirken, eine kanonische Struktur für den Fall zu entwickeln, daß die FSSPX rekonziliiert wird. Beruht das auf der umfangreichen Arbeit, die sie bei der Schaffung des Anglikanischen Ordinariats geleistet haben?

Das weiß ich nicht. Der Papst hat mir nicht gesagt, warum er mich ausgewählt hat. Ich war von Anfang an beim Ordinariat dabei. Ich war als Untersekretär der Glaubenskongregation an den Gesprächen, die zur Bildung des Ordinariats führten, beteiligt, aber ich bin kein Kirchenrechtler. Bei der Ausarbeitung der Verfassung habe ich nicht direkt mitgewirkt, aber ich habe einige Erfahrungen, vielleicht in Sachen Dialog.

Die Anglikaner, die mit dem Wunsch nach voller Einheit nach Rom kamen, haben mich oft besucht. Da habe ich wohl irgend ein Talent, das sie anzieht. [lacht].

In welchem Ausmaß spielt die von einigen Traditionalisten behauptete Schwächung des Dogmas „extra Ecclesiam nulla salus“ eine größere Rolle für das anliegende Problem? Steht das heutige Verständnis des Dogmas im Widerspruch zur früheren Lehre?

Ich weiß nicht, ob man dafür das Konzil verantwortlich machen kann, soweit es um die theologische Tendenz geht, die die Möglichkeit der Erlösung für Nicht-Christen herausstellt. Denn das hat die Kirche stets geglaubt und nie verneint. Rahner hatte hier mit seinen „anonymen Christen“ eine unheilvolle Wirkung. Aber das Konzil ändert in dieser Sache nichts an der Lehre der Kirche.

Aber trotzdem wird genau das behauptet?

Das ist ein gutes Beispiel der beiden Dinge, über die wir gesprochen haben: Die Gefahr, das Konzil so zu lesen, wie es von Rahner gelesen wird, und nicht im Licht der ganzen Tradition.

Es heißt auch, daß von Erlösung kaum noch geredet wird.

Ralph Martin sieht das ebenso. Wir stecken in einer Krise, weil die Kirche von der Vorstellung infiziert ist, daß wir uns keine Sorgen machen und keine Angst haben müssen, oder daß wir den Auftrag zur Verkündigung Christi nicht ernst genug nehmen. Aber das kommt nicht vom Zweiten Vatikanum – das ist einfach schlechte Theologie. Deshalb war Dominus Jesus ein Teil der Antwort auf all diese Religionstheologie. Zweifellos hat die Notwendigkeit des „extra Ecclesiam nulla salus eine lange Geschichte. Aber dabei ging es um Häretiker, nicht um Ungläubige. Diese Formel gilt dem Problem der Häresie. Sie hat ihre Geschichte.

Das Konzil sagte, daß es Elemente der Gnade in anderen Religionen gibt, und ich denke nicht, daß man davon abrücken sollte. Ich habe diese Elemente gesehen, ich kenne sie – ich habe Lutheraner und Anglikaner getroffen, die Heilige sind.

Hier scheint nun einiges durcheinander zu gehen, und das nicht nur sprachlich. Das „extra Ecclesiam nulla salus“ gilt also nur den Häretikern, die sich von der Kirche getrennt haben, aber nicht den Ungläubigen, die sie gar nicht kennen? Mag sein. Aber wie ist das denn mit den „anglikanischen Heiligen“, die doch eher den Häretikern als den Ungläubigen zuzurechnen sind – sofern sie in der Trennung von der Kirche verharren? Hier hätte man sich eine Nachfrage des Interviewers gewünscht.

Einige Traditionalisten behaupten, daß der säkulare Humanismus in der modernen Kirche oft gegenüber dogmatischen Erwägungen die Oberhand behält. Ein Beispiel: Der heilige Vater hat gesagt, wenn er um den Antisemitismus von Bischof Williamson gewußt hätte, hätte er dessen Exkommunikation nicht aufgehoben. Aber der Antisemitismus – so sehen es die Traditionalisten – ist zwar vom Bösen, aber er berührt keine dogmatischen Fragen. Und auf der anderen Seite können katholische Politiker dem Dogma direkt widersprechen und bleiben doch in voller Einheit mit der Kirche. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine Falle. In seinem sehr guten Buch „Secularization“ sagt Edward Norman, daß das, was er „innere Säkularisierung“ oder „säkularen Humanismus“ nennt, zweifellos in Teile der Kirche eingedrungen ist. Die FSPX hat damit vermutlich völlig recht – und ich könnte ihnen wahrscheinlich eine längere Liste von Beispielen dafür geben, als sie selbst haben.

Aber Williamson von dieser Position her zu verteidigen ist geschmacklos und schändlich. Ist ein Politiker das gleiche wie ein Bischof? Ich bitte Sie, das ist Müll, das ist Sophisterei.

Wollen sie pauschal jeden exkommunizieren, der für die Möglichkeit der Abtreibung eintritt? Und auf der anderen Seite gibt es hier jemanden, einen Bischof, der offen für eine Position eintritt, nämlich den Antisemitismus, den die Kirche mit äußerster Kraft in ihrem Inneren zu bekämpfen sucht.

Auch das kann nicht überzeugen. Niemand in der Führung der FSSPX hat den Amateurhistoriker Williamson verteidigt, ganz abgesehen davon, daß historisch unhaltbare Aussagen zum Umfang der Judenvernichtung – diese selbst hat Williamson nicht bestritten – noch nicht per se „Antisemitismus“ bedeuten, obwohl sie ein Indiz für eine dahingehende Neigung sein können. An einen Bischof, darin ist Erzbischof DiNoia zuzustimmen, stellt die Kirche andere, höhere Anforderungen als an einen irgendwie „katholischen“ Politiker. Aber liegt die „geschmacklose und schändliche“ falsche Behauptung von Bischof Williamson zum Umfang der Judenvernichtung nicht auf einer anderen Ebene als der direkte Widerspruch eines Katholiken gegen ein Dogma?. Und warum bekämpft die Kirche den Widerspruch gegen Dogmen in ihrem Inneren nicht ebenso „mit äußerster Kraft“ wie den in Williamsons Äußerungen gesehenen Antisemitismus.

Da stellt sich schon die Frage, ob hier nicht gerade der „säkulare Humanismus“ stärker gewichtet wird als die Einheit und Wahrheit der Lehre. Oder sollen selbst solche Unterschiede keine kirchentrennende Wirkung mehr haben?

Die Erklärung der Glaubenskongregation zu Ihrer Ernennung spricht davon, ihre Erfahrung werde „die Weiterentwicklung bestimmter gewünschter liturgischer Vorgaben“ bei der Feier nach dem Missale Romanum von 1962 erleichtern. Können Sie das etwas genauer erklären?

Dabei geht es um zwei Sachverhalte: Im Kalender gibt e eine Menge Heilige, die man (gemeint ist hier anscheinend die Gottedienstkongregation) gerne in das Messbuch aufnehmen würde – aber das Missale Romanum ist abgeschlossen. Es wird einen Dialog zwischen der Glaubenskongregation und der Gottesdienstkongregation geben müssen, wie man Elemente des Römischen Kalendariums so, wie es sich in den letzten 50 Jahren entwickelt hat, in das Missale (der überlieferten Liturgie) aufnimmt. Und dann die Präfationen: Das alte Missale Romanum von 1962 hat nur eine sehr begrenzte Zahl von Präfationen, und sie (wohl wieder die Gottesdienstkongregation) wollen auch einige davon in das alte Missale einführen. Aber das ist nun mal die Ausgabe von 1962, und wer ist befugt, diese Ausgabe zu revidieren?

Letzten Ende ist der Novus Ordo, also das aktuelle Missale Romanum, schon eine Revision des Missale Romanum von 1962. Also stellt sich das Problem: Wer ist dafür zuständig? Ich weiß es nicht, aber irgend jemand muß es ja tun. Wir hatten bereits zwei Zusammenkünfte zwischen Vertretern der Kongregation und von Ecclesia Dei um darüber zu beraten, wie das zu bewerkstelligen ist.

Das ist nun Bürokratie in Bestform. Eine ungenannte Instanz – der Text spricht nur von „sie“ , und das ist etwas anderes als „von allerhöchster Stelle“ – will die Veränderungen, und schon spricht man nicht mehr darüber, ob diese sinnvoll, nützlich oder gar schädlich wären, sondern es geht nur noch um die Frage der Zuständigkeit und der Vorgehensweise unter Beachtung der in der römischen Bürokratie wie in allen Bürokratien dicht gestreuten wohlerworbenen Rechte, persönlichen Befindlichkeiten und Karriereplanungen von Beteiligten und Unbeteiligten. Gerne würde man glauben daß Papst Benedikt den in dieser Hinsicht eher unsensiblen Bischof Müller eben deshalb zum Präfekten der Glaubenskongregation gemacht hat.

Es war auch davon die Rede, daß sie gute Beziehungen zur Jüdischen Gemeinschaft haben. Wie gut sind diese Beziehungen?

Seit der Zeit, als ich in den Vereinigten Staaten für die Bischofskonferenz tätig war, habe ich lange und gute Beziehungen zu verschiedenen jüdischen Führern. Sie kommenjedes Jahr zu mir auf Besuch. Ich weiß nicht, ob sie sich poffentlich geäußert haben, aber am Telephon waren sie sehr zufrieden. Sie wissen, daß ich gegenüber ihren Sorgen aufgeschlossen bin.

Für die FSSPX stellt „Nostra Aetate“ (ein Dokument, von dem viele glauben, daß es die jüdisch-katholischen Beziehung verbessert habe), ein Problem dar.

Ja, aber bedenken Sie: Wenn sie die Konstitution wörtlich lesen wie ein Jurist, da gibt es eine allgemeine und eine engere Auslegung, und diese Meinungsverschiedenheiten kann sogar zwischen zwei Richtern zur gleichen Zeit auftreten. Wenn die FSSPX also eine engere Auslegung dieser Konzilstexte einnehmen wollen, steht ihnen das theologisch frei. Aber das heißt nicht, daß sie deshalb außerhalb der Kirche stünden. Allerdings sollten sie ihre Argumentation auch theologisch vertreten.

Ist eine Rekonziliation denn angesichts der Probleme in Kirche und Gesellschaft derzeit angebracht?

Mein Instinkt sagt ja. Bedenken sie, bevor Papst Benedikt im Dezember 2005 seine Rede an die Kurie hielt, in dem er das berühmte Argument von Hermeneutik und Kontinuität entwickelte, konnte man über diese Dinge noch nicht einmal sprechen. Damit hat er uns wieder die Freiheit gegeben.

Jetzt kann man De Lubac, Congar, Chenu und andere kritisieren. Junge Leute schreiben Doktorarbeiten und Bücher, die vorher einfach unmöglich waren. Deshalb meine ich, daß die herrschende progressistische Lesart des Konzils auf dem Rückzug ist. Das waren sie vorher noch nie. Und auch sie [die Progressisten] müssen das Beharren auf der Kontinuität anerkennen.

Die Traditionalisten müssen sich demgegenüber davon befreien, das Konzil als Bruch und Diskontinuität zu sehen.

Diese Unterscheidung hat de Mattei eingeführt. Das Konzil wurde als Bruch wahrgenommen, aber lehrmäßig und theologisch muß es unter dem Vorzeichen der Kontinuität wahrgenommen werden – andernfalls kann man gleich das Handtuch werfen.

Glauben Sie, daß die FSSPX fürchtet, ihre Interessen würden im Falle einer Rekonziliation nicht abgesichert?

Wieso sollten sie nicht abgesichert sein? Wer sagt ihnen, was sie tun sollen? Das einzige, was ich ihnen sage, ist: Das Zweite Vatikanum ist keine Abwendung von der Tradition.

Sind sie hinsichtlich der Rekonziliation optimistisch oder pessimistisch?

Keines von beiden – ich weiß es einfach nicht. Ich denke, es wird letztlich ein Akt der Gnade sein. Ich werde die Dominikaner bitten, mit dem Beten anzufangen. Ich hoffe, es wird gelingen. Der Papst möchte nicht, daß das so weitergeht, noch eine Sekte, noch eine Spaltung.

http://www.ncregister.com/daily-news/archbishop-dinoia-ecclesia-dei-and-the-society-of-st.-pius-x/

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