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Wie überleben - I

Bild: John Sonnen, Orbis CatholicusNach wie vor hat die überwiegende Mehrheit der Bischöfe, in deren Diözesen bisher die Liturgie im überlieferten Ritus gefeiert werden konnte, darauf verzichtet, die ihnen von Traditionis Custodes gebotenen, je sogar aufgedrängten Möglichkeiten zur Schikanierung der traditionsorientierten Gläubigen und Priester zu nutzen. Das ist erfreulich und Anlaß zur Dankbarkeit - Grund zum Aufatmen ist es nicht. In mehreren Fällen sollen bereits „nachlässige“ Bischöfe durch Zuruf aus Rom zu Schritten gedrängt worden sein, die Ihnen widerstrebten, und in jedem Fall bietet die neue Kompetenzordnung in der Kurie, die den Kongregationen für den Gottesdienst und für die Ordensgemeinschaften alle Vollmachten gibt, Anlaß zur Besorgnis. Für diesen Monat wird mit weiteren „Ausführungsbestimmungen“ und zusätzlichen Einschränkungen vor allem für die Priestergemeinschaften gerechnet. Die Frage Fr. Hunwickes: „Wie kann man überleben?“ bleibt aktuell. Für die Gläubigen ebenso wie für die Gemeinschaften und ihre Mitglieder und Seminaristen.

Viele haben sich in dieser Situation ein klareres und mehr Orientierung gebendes Agieren der Oberen dieser Gemeinschaften gewünscht – das wenige, was da zu hören war, klang ihnen zu sehr nach Ergebenheitsadresse. Als Stilkritik sind solche Einwände berechtigt; kirchenpolitisch sieht vieles anders aus. Glaubt irgend jemand, man könne bei den für TC Verantwortlichen mit Argumenten etwas erreichen? Würde nicht jedes Anzeichen von Widerstandsbereitschaft zur Bestätigung dafür hergenommen, hier müsse einer gefährlichen schismatischen Gesinnung energisch Paroli geboten werden? Ins offene Messer zu laufen ist keine erfolgversprechende Strategie. Und es gibt noch andere Überlegungen, die es angeraten erscheinen lassen, die Füße ruhig zu halten und auf Zeit zu spielen.

In den Geschichten aus Tausend und Einer Nacht findet sich die Anekdote vom Großwesir, der beim Kalifen in Ungnade gefallen war und sich vor der bereits angesetzten Hinrichtung als letzte Gunst ausbot, dem Lieblingspferd des Potentaten die Kunst der Rede beizubringen. In einem Jahr, auf Tag und Stunde, wolle er Seiner Majestät das sprechende Pferd vorführen. Die Bitte wurde gewährt, aber die Freunde des so mit einer Gnadenfrist beschenkten Exwesirs waren nicht zufrieden: Wie könne er nur ein so irrsinniges Werk versprechen, jedermann wisse doch... Darauf erwiderte der dem Scharfrichter knapp Entronnene: „In einem Jahr kann viel geschehen. Ich alter Mann könnte sterben. Unser allergnädigster Herrscher, was Gott verhüten möge, könnte sterben. Das Pferd könnte sterben. Und vielleicht lernt es ja wirklich sprechen.“

Der Ausgang der Geschichte ist nicht bekannt, aber ihre Moral liegt auf der Hand und ist mit Leichtigkeit vom Hof in Bagdad auf den zu Rom übertragbar. Die Klugheit des Spieles auf Zweit und womöglich über Bande steht außer Frage – was die Beteiligten nicht der Mühe enthebt, rechtzeitig über Möglichkeiten und Spielräume nachzudenken. Ob einzelne Mitglieder von Priestergemeinschaften gut beraten sind, das in aller Öffentlichkeit zu tun, wie das Pfarrer Jackson FSSP von St. Marys in Providence soeben getan hat, müssen sie selbst beurteilen. Aber wenn sie es schon tun, darf man sich auch an ihren Überlegungen beteiligen.

Im Pfarrbrief für die letzte Septemberwoche beschreibt P. Jackson zunächst ohne jeden Versuch der Beschönigung die Widrigkeiten, mit denen er und seine Gemeinde rechnen müssen: Ja, der Bischof kann die Gemeinde auflösen und die „alte Messe“ verbieten, und ja, der Papst kann die Bruderschaft verbieten. Und er, P. Jackson werde zweierlei dann nicht tun: Er werde nicht „go independent“ (was in Nordamerika recht häufig ist), und er werde auch nicht „zu Pius gehen“ (wenn die ihn überhaupt haben wollten). Statt dessen werde er in Rente gehen, von seinen Ersparnissen ein bescheidenes Häuschen kaufen und von diesem Stützpunkt aus bei allen, die das wollen, Seelsorge betreiben und Hausmessen zelebrieren.

Aus unserer Sicht scheint er damit die Möglichkeiten und auch den bösen Willen der Feinde der überlieferten Lehre und Liturgie bei weitem zu unterschätzen. Hier geht es weiter Mit so grobschlächtigen Maßnahmen wie einem Totalverbot der überlieferten Liturgie und einer Auflösung der Bruderschaften ist nicht zu rechnen – da bietet TC feinere Mittel. Etwa die, die Feier der überlieferten Liturgie nur noch Diözesanpriestern zu erlauben und diese dann dazu zu verpflichten, durch Angleichungen von Lektionar, Kalender und Ars Zelebrandi sowie dem Geist der Predigten an den im Novus Ordo verkörperten Konzislgeist diese Liturgien tatsächlich in das Aus musealer Inszenierungen zu drängen, in das sie nach Ansicht von Franziskus gehören. Selbst traditionsfreundliche Bischöfe könnten dahingehenden Anweisungen aus Rom nur eine zeitlang widerstehen – notfalls schickt man sie in Frührente.

Und was ein Verbot der Priesterbruderschaften betrifft – nun, auch die Franziskaner der Immakulata wurden nicht „verboten“. Sie bekamen per Kommissar eine Führung, die den Priestern die Feier der überlieferten Liturgie untersagte und ihnen überdies ein ordnungsgemäßes Verlassen der Gemeinschaft unmöglich machte. Solche, die dennoch weggehen, durfte und darf kein Bischof in seiner Diözese aufnehmen. Die Vorstellung, Rom würde den Priestern einer „aufgelösten“ oder von ihrem Charisma „entbundenen“ Bruderschaft eine Fortsetzung ihres Apostolats irgendwie noch im Rahmen der kirchlichen Ordnung erlauben, ist aus unserer Perspektive nicht realistisch. Das Äußerste, was Rom bislang in dieser Hinsicht an Grauzone zu dulden bereit war, ist die halb-drinnen-halb-draußen Stellung der zahlenmäßig starken und im Widerspruchsgeist gefestigten Piusbruderschaft – und auch da warten die Scharfmacher vermutlich nur auf die früher oder später unumgänglich werdenden Bischofsweihen, um den Schnitt zu vertiefen.

Ob Priester der Ex-Ecclesia-Dei-Gemeinschaften „zu Pius gehen“ wollen (und ob und unter welchen Bedingungen diese sie haben wollte) ist hier nicht zu diskutieren. „Going independent“ wäre in jedem Fall eine überaus heikle Alternative – in welche Kirchenbücher sollte man Taufen und Eheschließungen entragen, welcher Bischof spendet oder beauftragt Firmungen, wie steht es um die Beichtvollmacht? Alle diese Fragen wären auch von einem „Ruhestandspriester“ zu bedenken und zu beantworten – soweit sie gegen ein jederzeit mögliches Verbot des Diözesanbischofs überhaupt zu beantworten wären. Und dabei sind die wirklich haarigen bischöflichen und römischen Zwangsmittel wie eine dispensatio a divinis oder gar eine Laisierung noch gar nicht mit bedacht. Solche Maßnahmen sind nach dem Kirchenrecht nicht so ohne Weiteres möglich? Nun, das Recht kann nach dem Willen des Gesetzgebers mit einem Federstrich geändert werden, und wenn dieser es vorzieht, ohne besonderen Akt einfach nach eigener Willkür zu handeln, muß er auch nicht mit Widerspruch rechnen. Jede Berufung auf die Gesetzlichkeit der Kirche hängt davon ab, daß Gesetzgeber, Richter und dem Gesetz Unterworfene gemeinsam auf der Grundlage des einen und für alle verbindlichen Glaubens stehen. Der Fall, daß der Hüter des Gesetzes davon abweicht, ist nicht vorgesehen.

Die Alternativen schrumpfen auf zwei: Entweder Unterwerfung unter ein nicht nur als ungerecht empfundenes, sondern auch als falsch und unzulässig erkanntes Diktat zur Aufgabe der überlieferten Lehre und Liturgie – verbrämt als „Gehorsam“ gegenüber den gottgewollten Oberen. Oder Verweigerung dieses mißbrauchten Gehorsams und Eigenständigkeit im Rahmen einer Gemeinschaft von Traditionstreuen – also nicht als „Privatier“ in einer auf vielfache Weise gefährdeten Einzelexistenz.. Ob die Piusbruderschaft die Kraft aufbringt, einen solchen organisatorischen Rahmen bereit zu stellen, oder ob ein Neuaufbau erforderlich ist, wird sich herausstellen, wenn es soweit ist. Beides muß stehen in der Perspektive einer künftigen „Rituskirche“, die in „versöhnter Verschiedenheit“ gegenüber den ehemaligen Lateinern in (nicht immer spannungsfreier) Einheit mit dem Bischof von Rom stehen könnte. Soweit dieser katholisch ist.

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