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Kirche in der Grauzone

Bild: Francesca Schellhaas/photocase.comDie am gestrigen Montag erfolgte Veröffentlichung von Misericordia et misera (Text hier) blieb ohne die von einigen erhofften, von anderen befürchteten sensationellen Verfügungen zur Priesterbruderschaft Pius X. Auf die Bruderschaft bezieht sich genau ein Absatz, in dem es heißt:

Im Jubiläumsjahr hatte ich den Gläubigen, die aus verschiedenen Gründen die von den Priestern der Bruderschaft St. Pius X. betreuten Kirchen besuchen, gewährt, gültig und erlaubt die sakramentale Lossprechung ihrer Sünden zu empfangen.15 Für das pastorale Wohl dieser Gläubigen und im Vertrauen auf den guten Willen ihrer Priester, dass mit der Hilfe Gottes die volle Gemeinschaft in der Katholischen Kirche wiedererlangt werden kann, setze ich aus eigenem Entschluss fest, diese Vollmacht über den Zeitraum des Jubeljahres hinaus auszudehnen, bis diesbezüglich neue Verfügungen ergehen.

Das kann man fast ohne Einschränkung begrüßen. Die Bestimmung löst die Zweifel, denen sich manche Mitglieder von Bruderschafts-Gemeinden oder Besucher ihrer Gottesdienste bisher ausgesetzt gesehen haben mögen. Und sie entzieht jedem dummen Geschwätz von den „schismatischen Piusbrüdern“ den Boden. Die Bruderschaft hat nie einen Zweifel daran gelassen, daß sie den Papst trotz Kritik an einzelnen Maßnahmen als Papst anerkennt – und der Papst hat spätestens mit dieser Anordnung klargestellt, daß er die Bruderschaft als einen Teil der Kirchenstruktur betrachtet, in dem er etwas anzuordnen hat. Wenn es nach der Logik geht, sollte sich damit auch die Annahme erübrigt haben, die Priester von Pius seinen zwar gültig geweiht, aber automatisch suspendiert und daher von der Ausübung priesterlicher Funktionen ausgeschlossen.

Fast ohne Einschränkung – denn da bleibt eine Grauzone. Die Erklärung zu Beginn des „Jahres der Barmherzigkeit“ hatte noch sehr gewunden nur von einer „Gewährung“ für die Gläubigen gesprochen, ohne die Priester als Spender des Sakraments selbst zu benennen. Jetzt ist ausdrücklich von einer ihnen gewährten Vollmacht die Rede – das hellt die Grauzone zumindest etwas auf, und das ist nur zu begrüßen.

Damit ist klar, daß die Bruderschaft und ihre Priester für Rom offiziell zur verfassten Kirche gehöen, nicht nur zur „Gemeinschaft der Getauften“ oder was dergleichen Formeln mehr sind. Gleichzeitig bleibt es offensichtlich dabei, daß diese Zugehörigkeit nicht in allem den üblichen Regularien entspricht – um nicht gleich zu sagen: irregulär ist. Das mag aus der Sicht dieses Pontifikats, in dem Regularien weniger gelten, nicht so erheblich sein, bleibt aber bis auf weiteres Streitpunkt und Reibungsfläche für Auseinandersetzungen. Auf lokaler Ebene sowieso, wo die Tätigkeit der Bruderschaft in den Diözesen nach wie vor ungeregelt und oft konfliktbehaftet ist. Aber auch auf gesamtkirchlicher Ebene, was sich spätestens dann manifestieren wird, wenn die Bruderschaft eines nicht allzu fernen Tages einen oder mehrere neue Bischöfe benötigt und Rom wie schon einmal keine Anstalten machen sollte, dieser Notwendigkeit zu entsprechen. Soll dann erneut ein vielleicht wieder 40-jähriger Zyklus von Exkommunikation und schrittweiser Wiederannäherung einsetzen?

In den Gesprächen mit China zeigt dieses Pontifikat – wie zu Zeiten des Stalinismus schon seine Vorgänger – eine gewisse Bereitschaft, Grauzonen auch in der zentralen Strukturfrage von Bischofsernennung hinzunehmen. Das ist kritikwürdig, aber vielleicht auch unumgänglich. Mag sein, daß sich die Piusbruderschaft auf unabsehbare Dauer in einer solchen Grauzone einrichten muß, bis die Kirche eines Tages einmal wieder zu der Kraft und Klarheit zurückfindet, die als einzige ihrem göttlichen Wesen angemessen sind.

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