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Gemeinde und Gemeinschaft

Die „Option Benedikt“ - III

Die Ausgangsposition Drehers, die bis jetzt beschrieben worden ist, läßt sich in einem Satz zusammenfassen: Die geistige Entwicklung des Westens in den letzten Jahrhunderten hat zur Herausbildung einer Anti-Kultur geführt, die sich in ihrer strikten Ablehnung der Transzendenz von allen früheren Menschheitsepochen unterscheidet. Sie lehnt nicht nur jede Bindung des Menschen an die Übernatur ab, sondern verweigert Bindung prinzipiell und kennt faktisch nur noch ein Gebot: Du sollst keine anderen Götter neben DIR dulden. Religion und Kultur überhaupt können nur noch im Widerspruch zu dieser dominanten Unkultur bestehen – und als Beispiel und Vorbild einer solchen Gegenkultur in einer Zeit des Zusammenbruchs der tradierten Ordnung sieht Dreher das von Benedikt von Nursia begründete westlicher Mönchstum. Es war im 6. Jahrhundert die kompromisslos gelebte Abkehr von den Angeboten der Welt aus der Einsicht, daß deren Ansprüche dem Leben nach dem Evangelium und der Verwirklichung der eigentlichen Bestimmung jedes Menschenlebens entgegenstehen.

Wenn Dreher heute von einer Option Benedikt spricht, bedeutet das allerdings nicht, daß er uns jetzt allesamt ins Kloster schicken möchte, durchaus nicht. Es bedeutet zunächst, daß Christen sich der bestehenden Situation stellen und überhaupt erst einmal begreifen bzw. zugeben sollen, daß der oben beschriebene Widerspruch besteht. Das bedeutet auch die Einsicht, daß die herrschende Unkultur nicht durch eine Diktatur aufgezwungen ist, sondern – wie man in kommunistischen Zeiten zu sagen pflegte, durchaus über eine „Massenbasis“ verfügt. Bei ausreichender Absicherung der dringendsten materiellen Bedürfnisse, sind Brot und Spiele, intellektuelle und ästhetische Verwahlosung, sexuelle Libertinage und „Unterhaltungs“angebote auf der Ebene von Dschungelcamp und Kettensägenmassaker absolut mehrheitsfähig. Die Entwicklung der Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten deutet in vielem darauf hin, daß die postchristliche Gesellschaft in vielem mehr einer vorchristlichen Barbarei als der versprochenen leuchtenden Zukunft ähneln wird.

Dieser Befund mag Christen verwundern, die in den letzten Jahrzehnten viel von „Dialog mit der Welt“, „gegenseitiger Befruchtung“ und „Zusammenwirken für eine bessere Zukunft“ gehört haben. Doch neu ist an dieser Einsicht nichts. Das Reich Christi ist „nicht von dieser Welt“, und wer mit Christus in dieses Reich gelangen will, darf diese Erde bestenfalls als einen provisorischen Aufenthalt ansehen und sollte auch nicht überrascht sein, wenn sie sich als ungastlicher und feindseliger Ort erweist. Tatsächlich nimmt die Feindseligkeit zu. Nicht nur in islamischen oder den letzten kommunistisch regierten Ländern, auch in der Staaten der „westlichen Wertegemeinschaft“, deren Werte sich immer deutlicher als unversöhnlicher Widerspruch zum Evangelium darstellen. In den ersten kostet es einen immer öfter das Leben, Christ zu sein; im Westen wird es für Christen, die ihren Glauben wirklich ernst nehmen, immer schwerer, diesem Glauben gemäß zu leben.

Die „Option Benedikt“ besteht nach Dreher nun darin, sich innerhalb der Gesellschaft, so, wie sie derzeit nun einmal ist, planmäßig und organisiert Möglichkeiten zu schaffen, die einem solchen Leben aus dem Glauben mehr Spielraum bieten. Organisiert – das deutet den gemeinschaftlichen Charakter des Vorhabens an; ein Einzelner oder eine Familie wäre damit überfordert. Und „Gemeinschaft“ funktioniert nicht nur ideell, sondern sie bedarf, wenn nicht eines Klosters so doch zumindest anderer Formen von räumlicher Nähe, die diese Gemeinschaft im täglichen Leben tragen. Als Beispiel dafür, wie so etwas in der Realität funktionieren kann, führt Dreher, dessen Familie anscheinend aus Tschechien stammt, Beispiele des zivilen Widerstandes gegen den Kommunismus in den Jahren von 1968 – 1989 an. Andere Teilnehmer der Diskussion verweisen immer wieder auf das Vorbild orthodoxer jüdischer Familien und Gemeinden, die auf eine mehrtausendjährige Erfahrung des Lebens in der Diaspora und oft feindseliger Umgebung zurückgreifen können. Beides läuft darauf hinaus, innerhalb der bestehenden Herrschaftsstrukturen Parallelgesellschaften zu errichten, die innerhalb einer feindlichen Mehrheitsgesellschaft nach eigenen Maßstäben leben. Es geht letzten Endes um eine „Unabhängigkeitserklärung“ – freilich nicht staatsrechtlich verstanden, sondern im Sinne neuer politischer Zielsetzungen für die Gesellschaft und einer neuen Lebenspraxis für die Einzelnen.

Wie umfassend das gemeint ist, deutet Dreher in einem ersten Appell (S. 98) an:

Lösen Sie sich vom kulturellen Mainstream. Stellen Sie den Fernseher aus. Legen Sie die Smartphones zur Seite. Lesen Sie Bücher. Machen Sie Musik. Feiern Sie mit Ihren Nachbarn. Es reicht nicht, das Schlechte zu vermeiden – Sie müssen sich auch tatkräftig für das Gute begeistern. Bauen Sie eine Kirchengemeinde auf. Gründen sie eine traditionsorientierte Christliche Schule – oder schließen Sie sich als Eltern oder Unterstützer einer bereits bestehenden an.

In einem Kommentar zu Dreher auf „First Things“ (https://www.firstthings.com/web-exclusives/2017/03/going-benedict-orthodox-jewish-style) verweist die Autorin Bethany Mandel darauf, daß es da starke Parallelitäten zu einem Leben aus der jüdischen Tradition gibt – und daß das, was dort gelebt werden kann und gelebt wird wird, durchaus auch von Christen in der Lebenspraxis umsetzbar sein sollte, sofern der entsprechende Wille vorhanden ist. Mandel schreibt:

Einmal in der Woche am Sabbat, der vom Sonnenuntergang am Freitag bis eine Stunde nach Sonnenuntergang am Samstag dauert, stellen orthodoxe jüdische Familien den Fernseher und die Smartphones aus und verbringen den Tag mit altmodischen Spielen und gemeinsamen Mahlzeiten. Reisen (mit dem Auto) sind nicht erlaubt, ebensowenig Geld ausgeben oder Kochen – das gibt einen starken Anreiz, den Tag für den Zusammenhalt der Familie zu nutzen.

Da die Wohnungen innerhalb fußläufiger Entfernung zur Synagoge liegen müssen, wohnen oft viele orthodoxe jüdische Familien relativ nahe beieinander. Auch das entspricht einer Empfehlung Drehers, wenn er schreibt: „Eines der Geheimnisse der stärke und Widerstandskraft orthodoxer jüdischer Gemeinden ist die geographische Nähe. Christen sind zwar nicht durch Ihre Religion dazu angehalten , aber viele, die in räumlicher Nähe leben, sehen darin einen großen Segen.“

Als weiteren Punkt führt Mandel – ebenfalls in Übereinstimmung mit Dreher – dann das Schulwesen an: Viele orthodoxe jüdische Familien nähmen große finanzielle Belastungen in Kauf, um ihre Kinder auf jüdische Privatschulen schicken zu können. Und wo die Finanzkraft einer einzelnen Familie nicht ausreichte, würden auch die erweiterte Familie oder die Gemeinde nach Kräften einspringen: „Einmal in der Woche Sonntagsschule ist nicht genug“.

Derlei kostet Geld und Kraft. Aber es stiftet auch Zusammenhalt und bildet Netzwerke. Solche Netzwerke werden Christen in Zukunft ebenso dringend brauchen wie Juden sie oft in der Vergangenheit brauchten, wenn versteckte Diskriminierung oder offene Verfolgen ihnen das Leben schwer machten. Mehr zu dem, was im Konzept der „Option Benedikt“ dem „Networking“ entspricht und dem, was darüber hinausgeht, in weiteren Beiträgen.

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