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Die Lust am Untergang

Aus dem Totentanz des Bernt Notke, Talliner Version, Bild: WikimediaIm Interview mit der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“ hat Kardinal Müller wissen lassen, daß er die Nichtverlängerung seines Auftrags bei der Glaubenskongregation nicht persönlich nehme: Es sei zwar durchaus üblich, dass diese Amtszeiten verlängert werden, in seinem Fall habe sich Franziskus eben dagegen entschieden. Der Papst habe ihm mitgeteilt, dass er dazu übergehen wolle, die Amtszeiten generell auf fünf Jahre zu begrenzen, „und da war ich der Erste, bei dem er das umgesetzt hat“, sagt Müller.

Das ist bemerkenswert, und nicht nur aus praktischen Gründen – geeignete Behördenleiter fallen ja nicht einfach so aus dem italienischen Himmel auf den Petersplatz. Ist der Papst bei seiner „generellen Regelung“ denn so sicher, daß der Herr über Leben und Tod die Amtszeit seines Dieners Franziskus über dessen bald erreichte fünf Jahre hinaus verlängert? Schließlich steht der Mann im 81. Lebensjahr. Die „generelle Regelung“ mag dafür taugen, die wenigen Spitzenkurialen zu entsorgen, die noch sein Vorgänger Benedikt ernannt hat. Eine Wirkung für die Zukunft hat sie nicht. Nichts, aber auch überhaupt nichts, könnte seinen Nachfolger binden, die neuerfundene „generelle Regelung“ zu übernehmen.

Das führt zu der Frage, welche Bedeutung überhaupt all diese Maßnahmen haben, die seitens der Bergoglianer derzeit unter ungeheurem Kräfteverschleiß durchgezogen werden. Wie alle an die Macht gekommenen Revolutionäre streben sie danach, ihre Errungenschaften „unumkehrbar“ zu machen. Doch gerade einmal 11 Jahre, nachdem die Revolution König Ludwig XVI geköpft hatte, gab es in Frankreich sogar einen Kaiser, und das Berliner Stadtschloss erhebt sich auch wieder da, wo Erich Honecker seinen Palast der Republik hingestellt hatte. Sicher – Napoleon war keine Replik des Bourbonenkönigs, und im neuen Stadtschloss gibt es keine alten Hohenzollern. Man steigt nicht zweimal in den selben Fluß – aber nichts von dem, was seine Vollstrecker seit der großen Revolution als alternativlosen Ausdruck unhintergehbarer Entwicklungsgesetze ausgegeben haben, war von Dauer.

Sandro Magister hat dieser Tage einmal zusammengestellt (hier eine deutsche Version), was Franziskus und die ihn umgebende Kamarilla alles unternommen haben, um ihre „Reformen“ zukunftssicher zu machen. Es ist eine eindrucksvoll lange Liste, und trotzdem sind die Anführungszeichen berechtigt: Nichts davon hat bisher seine Funktionsfähigkeit demonstriert, nichts davon ist als Dokument des Lehramtes oder gar als Gesetzestext in einer Weise niedergelegt worden, daß es nicht von einem Nachfolger mit einem Federstrich wieder aufgehoben werden könnte. Zwar tun die Bergoglianer alles, um als Nachfolger jemanden zu installieren, der ihren Kurs weiterführt – aber da kann man sich auf nichts verlassen.

Das gilt freilich für Alle. Es wäre völlig verfehlt, sich jetzt unter Hinweis darauf, daß ein Nachfolger alles zurücknehmen könnte, über den Ernst der Situation hinwegtrösten zu wollen. Einige Errungenschaften des Bergoglio-Pontifikats werden der Kirche noch auf Jahrzehnte hin schwer zusetzen, und das gilt nicht nur für die Ernennung von Bischöfen und Kardinälen zweifelhafter Glaubensfestigkeit. Im der Verwaltung von Kirche und heiligem Stuhl ist ein unglaubliches Chaos entstanden. Intrigen und Machtkämpfe unterschiedlichster Fraktionen bestimmen das Bild. Andrea Cagliarducci hat das in seinem neuesten Hintergrundbericht auf MondayVatican „The Struggle behind the Curtains“ in deprimierender Ausführlichkeit zusamengestellt. Die vatikanische Verwaltung war noch nie besonders zuverlässig und effektiv, in den langen letzten Jahren von Johannes Paul II. und der Zeit des wenig verwaltungsaffinen Benedikt ist vieles noch schlechter geworden – daß die Kardinäle 2013 eine tiefgreifende Kurienreform an die erste Stelle ihrer Erwartungen an einen neuen Papst stellten, war durchaus berechtigt.

Diese Erwartungen haben sich in gar keiner Weise erfüllt. Der Einzug im Hotel S. Marta signalisierte vom ersten Tag an nicht eine Reform der Kurie, sondern die Etablierung einer Parallelverwaltung ohne Statuten und Regularien. Das bestehende Chaos wurde quasi verdoppelt. Es wurden zahllose Räte und Kommissionen eingesetzt, deren Zuständigkeiten nie exakt bestimmt oder abgegrenzt wurden – im Zweifelsfall entscheidet der Chef spontan. Versetzungen und auch Entlassungen erfolgen nach Gutsherrenart. Als Kardinal Müller Ende letzten Jahres aus S. Marta die Anweisung erhielt, drei wichtige Mitarbeiter seiner Kongregation zu entlassen, bat er den Papst bei der wöchentlichen Routineaudienz um eine Begründung. Die Antwort des Papstes war „ich bin der Papst und bin niemandem für meine Entscheidungen Rechenschaft schuldig. Ich habe entschieden, daß sie gehen müssen, also haben sie zu gehen.“ (Quelle)

Eine Verwaltung, in der solche Dinge möglich sind, kommt früher oder später weitgehend zum Stillstand. Initiative und selbst Denken sind verpönt, es wird bestenfalls streng nach Vorschrift gearbeitet. Was nicht direkt „von ganz oben“ angeordnet und kontrolliert wird, bleibt liegen – oder regelt sich nach den undurchschaubaren Kräfteverhältnissen vor Ort im Selbstlauf Selbst wenn eines Tages ein tatkräftiger Mann mit solider Verwaltungserfahrung die Nachfolge von Franziskus antreten sollte – und solche Männer scheint es in der Kurie immer weniger zu geben – würde er Jahre brauchen, um auch nur Schneisen ins Dickicht zu schlagen. Chaos zu schaffen ist leicht – es wieder aufzuräumen, ist äußerst schwierig – sollte das der Sinn von „unumkehrbar“ sein?

Wo immer das Chaos ausbricht, herrscht letztlich das Recht des Stärkeren oder die List der Beutemacher. Die Schwäche des Kaisertums beförderte den Aufstieg der Regionalfürsten. In der bisher zentralistisch geleiteten römischen Kirche deuten sich ähnliche Entwicklungen an. Redakteur Felix Neumann von katholisch.de hat in seinem Artikel zum Abgang Kardinal Müllers () deutlich gemacht, daß die deutschen Regionalfürsten die Gunst der Stunde nutzen wollen, um den alten Traum „Los von Rom“ ein Stück weiter zu verwirklichen. Neumann geht von einem Gegensatz regionale Bischofskonferenzen – zentrale Kurie in Rom aus und sieht in einer weitgehend funktionsunfähigen Kurie die besten Voraussetzungen dafür, den Bischofskonferenzen eine eigene Machtstellung und sogar ein eigenes Lehramt zukommen zu lassen.

Ansätze dazu gibt es bereits. In Polen gilt der unbereute und fortgesetzte Ehebruch nach wie vor als schwere Sünde, die vom Empfang der Kommunion ausschließt. In Deutschland soll von „schwerer“ Sünde am besten überhaupt nicht mehr die Rede sein und im konkreten Fall jedenfalls dann nicht, wenn der Ehebruch durch Notifikation einer zweiten „Ehe“ vor dem Standesamt auf Dauer gestellt ist. „Amoris laetitia“ dokumentiert den Versuch Roms, solche Gegensätze mit dem (untauglichen) Mittel der Ambivalenz zu verschleiern. Mit der Folge, daß die Forderungen nach regionaler Eigengesetzlichkeit stärker werden. Wohin das führt, ist am Beispiel der Anglikaner zu besichtigen: In die Selbstzerstörung. Eine Kirche, in der rechts der Oder Sünde ist, was links des Flusses „pastoral begleitet“ hingenommen würde, ist nicht mehr katholisch.

Und was ist ein Papst, der dem nicht mit der größten Klarheit entgegentritt, sondern es hinnimmt oder gar befördert?

Daß solche Fragen nicht nur gedacht werden können, sondern auch ausgesprochen werden müssen, ist die schlimmste und vielleicht am schwersten rückgängig zu machende Folge dieses unglückseligen Pontifikats.

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