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Mensch - Maschine - Medien

Die „Option Benedikt“ - VI

Nach einer wegen der aktuellen Themen und Termine eingetretenen Unterbrechung geht es nun weiter mit der Vorstellung von Rod Drehers „Option Benedikt“.

Eines der wichtigsten Kapitel des Buches ist zweifellos das 10. „Man and the Machine“, in dem der Autor sich mit den Auswirkungen der modernen Technologie auf unser geistiges Leben auseinandersetzt. Genauer gesagt: Darüber nachdenkt, wie die allgegenwärtige geistige Korruption der Moderne uns dazu treibt, die – in der Theorie – wertneutralen Potenzen der Technik in unheilvoller und destruktiver Weise einzusetzen. Und dabei redet er nicht von Klimawandel, Umweltschäden oder Waffenexporten, sondern zum einen von den modernen Reproduktionstechniken, die dem Machbarkeitswahn vom Menschen als dem Schöpfer seiner selbst enormen Auftrieb gegeben haben. Vor allem aber von der modernen Kommunikationstechnik, beispielhaft konzentriert im Smartphone, die uns vorgaukelt, die ganze Welt zu jeder Zeit für uns verfügbar und genießbar zu machen – während sie in Wirklichkeit doch ständig darauf hinwirkt, uns zu ihren und des Zeitgeistes Anhängseln zu degradieren. So zusammengefasst klingt das nach wenig aufregendem kulturkritischen Gemeinplatz, doch Dreher hat mehr zu bieten.

Das beginnt bei seinem Hinweis auf Forschungsergebnisse der Neurophysiologie, die darauf hindeuten, daß der überbordende Mediengebrauch nicht nur Verhaltensänderungen im Sinne von Konzentrationsschwäche und Sprunghaftigkeit bewirken, sondern daß diese Veränderungen im Lauf überraschend kurzer Zeit auch im Gehirn quasi „hardwaremäßig“ fest verdrahtet werden, so daß es großer Anstrengungen bedarf, mit einer früher für selbstverständlich gehaltenen Ernsthaftigkeit eigene Ziele zu bestimmen und zu verfolgen. Und noch größerer Anstrengung, diese Verdrahtung wieder rückgängig zu machen. Diese Technologie ist mehr als eine Technik, sie „ist eine Ideologie, die bestimmt, wie wir Menschen die Realität wahrnehmen.“ (219) Und weiter in einer Aussage, in der das Wort „Liturgie“ eine ungewohnte, aber nicht aus der Luft gegriffene Färbung annimmt: Der Gebrauch der Technik bedeutet die Teilnahme an einer kulturellen Liturgie, die, wenn wir uns nicht vorsehen, darin einübt, die den zentralen Anspruch der Modernität als Wahrheit zu akzeptieren: Daß der einzige Sinn, den die Welt hat, der ist, den wir ihr in unserer endlosen Suche nach Beherrschung der Natur beilegen. (219)

An anderer Stelle noch einmal grundsätzlicher ausgeführt liest sich das so: „Der technologische Mensch betrachtet alles als Fortschritt, was seine Wahlmöglichkeiten und seine Herrschaft über die Natur erweitert. Wahlfreiheit (Dreher verwendet hier das Wort ‚choice‘ und spielt dabei ganz klar auch auf die von den Abtreibungsbefürwortern verlangte „Wahlfreiheit“ an) Wahlfreiheit an sich bedeutet mehr als das, was zur Wahl steht. Der technologische Mensch macht sich nicht viele Gedanken darüber, was er wünschen sollte. Ihn interessiert vor allem, wie er das erreichen oder erhalten kann, was er sich wünscht. Damit kommt die Saat, die im 14. Jahrhundert mit Triumph des Nominalismus gesät wurde im technologischen Menschen zur vollen Reife.“

In Technik und Gebrauch des Internets findet diese Entwicklung ihren vorläufigen Höhepunkt. Fern davon, die Welt in irgendeinem Aspekt ihrer Realität zu zeigen, hat man im Netz eigentlich immer nur mit dem zu tun, was man selbst ausgesucht und ausgewählt hat. Der eigene Geist und der eigene Wille bilden den einzigen Zusammenhang zwischen den Realitätssplittern, die einem dort begegnen. Jeder schafft sich seine eigene Welt „als Wille und Vorstellung“. Ein größerer Gegensatz zum Weltbild des mittelalterlichen Menschen oder des Menschen in anderen Kulturen, die sich noch nicht vom metaphysischen Weltverständnis „emanzipiert“ haben, ist kaum vorstellbar. In den virtuellen Räumen kann der Mensch sich endlich der Illussion hingeben, der Schöpfer und Lenker der eigenen Welt zu sein. Gott spielt keine Rolle mehr. Eine „Übernatur“ ist nicht mehr notwendig – genau besehen verliert sogar die Natur selbst ihre Notwendigkeit. Soziale Zusammenhänge kommen aus der Steckdose, Babies kommen aus dem Reagenzglas.

Das gerne empfohlene „digitale Fasten“ ist als Mittel der Abwehr gegen die digitale Übermacht nur begrenzt geeignet. Zum einen, weil man in vielen Berufen darauf angewiesen ist, mit dem Internet zu arbeiten. Dreher selbst bezeichnet sich auch als „Online-Journalisten“ - er weiß, wovon er spricht. Dazu kommt, daß die individuelle Reduzierung des Medienkonsums zunächst einmal nichts daran ändert, daß diese Medien und die von ihnen geschaffenen bzw. ermöglichten Weltbilder starke gesellschaftsprägende Kraft haben. Da kommt dem Konzept „Option Benedikt“ zugute, daß es eben kein individuelles „Besser leben“-Rezept sein will, sondern auf Bildung und Gestaltung von Gemeinschaften abzielt. Und als wichtigste bereits vorhandene Gemeinschaft für die Steuerung des Medienkonsums betrachtet Dreher die Familie.

Einen ganzen Abschnitt stellt er unter die Überschrift „Gebt Kindern keine Smartphones in die Hand“ Danach äußert er noch weitere Empfehlungen – darunter den nicht nur unter amerikanischen Verhältnissen beherzigenswerten Rat: Haltet die sozialen Medien aus dem Gottesdienst fern! Über den engen Bereich der Computernutzung hinaus greift die Aufforderung: Macht etwas mit eigenen Händen. So einfach das klingt – so vielfältig ertragreich kann das sein. Zum einen, weil jede Art von Handarbeit Zeit beansprucht, die nicht für den Zeitvertreib in virtuellen Räumen zur Verfügung steht, und weil sie zu Resultaten führt, die nicht verschwinden, wenn man den Computer oder das Handy abstellt. Dann natürlich auch, weil sie gerade im familiären Rahmen die Tendenz zur Vereinzelung aufbricht und Zusammenarbeit fördert und verlangt: Wirkliche „Freunde“ sind eben nicht die gesichtslosen Gestalten der Facebook-Liker. Vor allem aber auch deshalb, weil jeder Aufenthalt in der Welt der realen Dinge die Kraft der Illusion mindert, daß die virtuellen Welten die eigentliche Realität darstellten.

Zum Abschluss hier zwei zusamenfassende Absätze des Mensch-Maschine-Kapitels in Drehers eigenen Worten:

Der Geist des technologischen Menschen kann seinen Herzenswünschen nicht widerstehen, weil seine gesamte Kultur ihn abgerichtet hat, sie nicht in Frage zu stellen. Der technologische Mensch glaubt, daß die Grenzen seines Vermögens zum Umgang mit der Natur allein in der Fähigkeit liegen, sie seinem Willen zu unterwerfen. Christen müssen sich dagegen zur Wehr setzen. Die Metaphysik bietet die einzige undurchdringliche Festung: Die Überzeugung, daß der Sinn in Gott begründet ist und uns übersteigt... Zu denken, daß die über Technologie vermittelte Welt die reale Welt wäre, ist ein fataler Irrtum. Hier sehen wior nicht die Realität, sondern nur uns selbst. Wenn wir das nicht verstehen, wenn wir nicht daran glauben, daß alle Dinge unabhängig von unseren Wünschen exisitieren und daß es eine Welt über unseren Köpfen gibt, dann gibt es keinen Grund, irgend etwas zu beachten, weil es nichts gäbe, was unserer Aufmerksamkeit wert wäre.

Und:

Die Option Benedikt ist keine Technik zur Umkehrung der politischen und anderen Verluste, die das Christentum erlitten hat. Sie ist keine Strategie, um die Uhr zu einem vermeintlichen Goldenen Zeitalter zurückzudrehen. Und erst recht nicht bietet sie einen Plan zur Bildung von Gemeinschaften der Vollkommenen, die nichts mit der wirklichen Welt zu tun haben.
Ganz im Gegenteil. Die Option Benedikt ist ein Aufruf, sich der langen und mühsamen Arbeit zu unterziehen, die wirkliche Welt von der künstlichen Entfremdung und Atomisierung des Modernen Lebens zurückzugewinnen. Sie ist ein Weg, die Welt so zu sehen und so darin zu leben, daß die große Lüge der Modernität zusammenbricht: Daß die Menschen nichts anderes wären als „Geister in der Maschine“ (im Sinne Köstlers und Ryles), die im Stande wären, deren Hebel und Instrumente in jeder beliebigen Weise zu bedienen.

Als letztes für heute ein Hinweis für alle, die sich die Lektüre Drehers in englischer Sprache nicht zutrauen. Kollege „KingBear“ von „Huhn meets Ei“ (das ist seriöser, als es klingt) hat sich die Mühe gemacht, in seiner Vorstellung des Buches in bis jetzt 5 Kapiteln ausgewählte Abschnitte zu übersetzen - hier die Links: Was ist dran an der Benedikt-Option? Teil 1 - Teil 2 - Teil 3 - Teil 4 - Teil 5.

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