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Nach der „correctio filialis“

Kann die von inzwischen weit über hundert namhaften Theologen und Publizisten unterschriebene „correctio filialis“, der sich inzwischen über 10 000 Unterstützer angeschlossen haben, in Rom etwas bewegen? Es ist schließlich schon die 6. derartige Initiative seit Veröffentlichung der Enzyklika, und nicht unbedingt die Eindruckvollste. Der Papst selbst, der doch den Dialog mit allen und über alles zu seinem Markenzeichen machen wollte, verharrt weiterhin in Schweigen. Aus seinem Umfeld sind die üblichen persönlichen Angriffe gegen die Urheber der Aktion zu vernehmen, von einer Auseinandersetzung in der Sache ist nichts zu sehen. Im Vatikan, aber auch in vielen Diözesen in aller Welt herrscht ein Klima der Angst und der Einschüchterung. Die Maßregelung der Kardinäle Burke und Müller scheint zu wirken, die Entlassung von Prof. Seifert durch den Bischof von Granada von seinem Dietrich von Hildebrand-Lehrstuhl tut das ihrige dazu.

In Rom herrscht aber nicht nur ein Klima der Angst und der Einschüchterung wie vielleicht am Hof des einen oder anderen Renaissance-Papstes, der mehr an die Lehren des Nicolo Macchiavelli als an die von Jesus dem Christus geglaubt haben mag. Da wuchern auch die Verschwörungstheorien und verbreiten sich die Gerüchte, daß es eine wahre Pracht ist. Und die Höflinge gießen munter Öl ins Feuer, etwa indem sie immer wieder verlauten lassen, der Papst bereite Maßnahmen vor, die seine Reformen unumkehrbar machen würden. Der Vaticanist Antonio Socci, nicht gerade bekannt für einen optimistischen Blick in die Zukunft, hat sich Gedanken darüber gemacht, wie dieses Ziel der Unumkehrbarkeit den erreicht werden könne. Dabei stützt er sich in einem Artikel vom 24. September neben ungenannten Quellen insbesondere auf Überlegungen von Erzbischof Victor Manuel Fernandez, eines der einflußreichsten Beraters des Papstes. In dessen Gedankengebäuden glaubt er zwei einander nicht ausschließende, sondern zumindest teilweise ergänzende Möglichkeiten erkannt zu haben: Der Papst als oberster Gesetzgeber könne das Kardinalskollegium ausschalten, indem er einen Mechanismus installiere, der es ihm erlaube, selbst seinen Nachfolger zu bestimmen. Und er könne den Vatikanstaat auflösen, was es ihm erlauben würde, das Regiment der Kirche des 3. Jahrtausends von allen Fesseln der Vergangenheit zu befreien und von Grund auf neu zu gestalten.

Zumindest für das letztere könnte Franziskus sich des Beifalls eines großen Teils der Kirche und der ganzen Weltpresse sicher sein. Wäre das nicht ein schönes Zeichen der Entweltlichung?

Der Realitätsgehalt solcher Spekulationen kann hier nicht untersucht werden. Zu den alarmierenden Elementen der gegenwärtigen Entwicklung gehört es jedenfalls, daß nichts, was gestern noch unmöglich zu sein schien, für morgen ausgeschlossen werden kann.

Aber vielleicht haben Soccis Spekulationen mit dazu beigetragen, den Machthabern hinter den Leoninischen Mauern klar zu machen, wie groß der Vertrauensverlust ist, den sie in den turbulenten Jahren dieses Pontifikats hinnehmen mußten und daß sie das absolutistische Regiment etwas abmildern sollten. Kardinal Müller ist in dieser Woche mit dem bemerkenswerten Vorschlag an die Öffentlichkeit gegangen, der Papst könne eine Gruppe von Kardinälen beauftragen, mit den Kardinälen der Dubia und anderen Vertretern der Kritik an Amoris Laetitia eine „Disputatio“ zu führen, so wie das in der Geschichte der Kirche schon mehrfach geschehen ist, wenn theologische Streitfragen zu Zerreißproben zu werden drohten. Nun ist die aktuelle Situation mit den historischen Präzedenzfällen nicht unbedingt vergleichbar, in denen der Papst stets als unbeteiligter Schiedsrichter fungieren konnte, während Franziskus heute selbst Partei ist. Sein bisheriges Schweigen könnte sich allerdings als nützlich erweisen, die Unparteilichkeit zumindest als Fiktion wiederherzustellen.

Jedenfalls hat sich Kardinalstaatsekretär Pietro Parolin zum Ende der Woche ebenfalls mit einem Aufruf zum Dialog innerhalb der Kirche zu Wort gemeldet – gut möglich, daß das eine erste Reaktion auf den Vorschlag Müllers darstellt. Gleichzeitig wird bekannt, daß der Papst Kardinal Burke, den er vor drei Jahren als Kardinalpräfekt der Signatura entlassen hat, erneut zum Mitglied dieses Gerichtes bestellt hat (Quelle) – zusammen mit Burkes Vorgänger als Präfekt Kardinal Vallini und dem belgischen Kardinal Daneels. Eine überaus merkwürdige Konstellation also – aber vielleicht ist das ja das, was in diesem überaus merkwürdigen Pontifikat noch einem Silberstreif am Horizont am nächsten kommen könnte. 

Beten wir dafür, daß es so kommt.

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