Zeitgeister in Heiligenkreuz
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- 19. Oktober 2017
Das Stift Heiligenkreuz hat sich dieser Tage in starken Worten von der Unterschriftenaktion „Correctio filialis“ distanziert, die auch von einem Wissenschaftler unterzeichnet worden ist, der dort als Gastprofessor tätig ist. In der Erklärung heißt es:
(Wir) distanzieren uns entschieden davon, dass ein an unserer Hochschule zeitweise wirkender Gelehrter die öffentliche Kritik an Papst Franziskus, die sich euphemistisch „Correctio filialis de haeresibus propagatis“ nennt, unterzeichnet hat. Auch wenn der Betreffende nur als Gastprofessor tätig ist und seine Unterschrift einzig und allein in seinem Namen geleistet hat, so können wir es nicht hinnehmen, dass dies einen Schatten auf unsere Hochschule wirft. Wir stellen daher klar, dass die Hochschule Heiligenkreuz dem römischen Lehramt in allem aufs engste verbunden ist und wir es als unsere größte Ehre und erste Pflicht ansehen, dem jeweiligen Petrusnachfolger, das heißt unserem Heiligen Vater Papst Franziskus, die Treue zu halten."
Nun, diese Treue hätten wir uns auch gewünscht, als 2007 nach dem Erlass von Summorum Pontificum Studenten der Hochschule darum baten, auch die überlieferte Liturgie in den Ausbildungsplan aufzunehmen. Der damalige Rektor Karl Wallner hat die Bittsteller dann hochfahrend abgefertigt:
Es ist ein betrübliches Missverständnis von Summorum Pontificum wenn man daraus ableitet, dass es eine Ausbildung zum Alten Ritus geben sollte. Das Dokument dient der Versöhnung mit den Gestrigen und nicht einer Auflage des Gestrigen. (…) Wir sind nicht nach hinten verkorkst und nicht nach vorne vermurkst, sondern leben aus dem, was die Kirche uns durch das 2. Vatikanische Konzil WIRKLICH geschenkt hat. (…) Zelebrationsübungen im tridentinischen Ritus kann es daher nicht im Fächerkanon geben, weil wir die Liturgie der Kirche so feiern wollen, wie sie im Anschluss an das 2. Vatikanische Konzil durch die oberste Leitung der Kirche vorgegeben wurde. Und weil wir nicht wollen, dass unsere Absolventen zu einem Ritus erzogen werden, der zwar wieder erlaubt, aber nicht im großen Atem der Kirche liegt...
Glücklich, wer diesen „großen Atem“ zu erkennen weiß – selbst dann, wenn in einem päpstlichen Gesetz etwas ganz anderes steht, und das in jener Klarheit der Sprache, für die Papst Benedikt zu recht gerühmt wird.
Im gegenwärtigen Pontifikat, zu dessen Kennzeichen unter anderem auch eine bis zur Selbstwidersprüchlichkeit gehende Unklarheit der Aussageweisen in Worten und Gesten gehört, liegen die Dinge freilich anders. Das ist gerade in diesen Tagen, in denen die polnischen Bischöfe ( ) Amoris laetitia ganz anders auslegen als etwa ihre deutschen Kollegen, wieder schmerzlich deutlich geworden. Wer hier so argumentiert, wie die offizielle Erklärung von Heiligenkreuz, muß sich schon die Frage gefallen lassen, worin er denn das Wesen der Kirche erkennt, wenn „der jeweilige Petrusnachfolger“ etwas deutlich anderes zu sagen scheint als seine Vorgänger im gleichen Amt.
Die Kirche hatte bisher das große Glück und die große Gnade, daß solche Widersprüche und Unklarheiten nur selten vorgekommen sind, weil die jeweiligen Inhaber des Petrusamtes fähig waren, den Sinn ihrer hohen Stellung zu erkennen und in Demut zu erfüllen: Getreulich die empfangene Lehre weiterzugeben und entschlossen gegen Entstellungen zu schützen, die Brüder zu stärken und die Herde zu leiten. Auch die großen lehramtlichen Dokumente der unmittelbaren Vorgänger Franziskus' – selbst wenn einzelne Punkte ihrer Amtsführung Fragen aufwerfen mögen – sind von diesem Bewußtsein geprägt und verleihen ihm in großer Entschiedenheit Ausdruck: Pius XII. in Mediator Dei, Paul VI. in Humanæ Vitæ, Johannes-Paul II in Familiaris Consortio oder Dominus Jesus, Benedikt XVI. in Caritas in Veritate.
Auch diese Dokumente stießen innerhalb und außerhalb der Kirche auf zum Teil wütende Kritik und Ablehnung – aber nicht, weil sie sich von der überlieferten Lehre der Kirche entfernten, sondern weil sie diese Lehre im Widerspruch zum immer herrischer auftretenden Zeitgeist bekräftigten und entfalteten. Das hat sich unter Franziskus geändert: Die Zeitgeister in Welt und Kirche jubeln – aber glaubenstreue Theologen und Seelsorger schweigen mehrheitlich betreten. Einige wenige tragen Zweifel vor, um deren Zerstreuung sie bitten, oder mahnen, keine Anlässe zu geben, aus dem sich Abweichungen und Widersprüche von der Lehre entwickeln können.
Soll das unzulässsig sein, muß man sich davon distanzieren? Zählt nur noch das „jeweilige“ und der „große Atem“ des Zeitgeistes? Wie unterscheidet sich dieser Hyperpapalismus von einem Ultranationalismus nach der Art „right or wrong – my country!“
Die Heiligenkreuzer haben natürlich in einem Recht: Die Einheit der Kirche unter dem Papst ist ein hohes Gut und größter Anstrengungen zur Verteidigung wert. Aber die Einheit in der Kirche, darauf hat gerade Benedikt XVI. immer wieder hingewiesen, findet nicht nur im Raum der Gleichzeitigkeit statt, sondern erstreckt sich durch Zeit und Ewigkeit – sichtbar und wirksam durch die Kette von den Aposteln über die Kirchenväter und Kirchenlehrer bis zu den Dokumenten des lebendigen, aber in sich widerspruchsfreien Lehramts der Kirche. Der Papst mag Souverän des Kirchenstaates sein – hinsichtlich der Lehre ist er nicht Herr, sondern Diener. Wenn sein Reden und Schreiben Zweifel aufkommen läßt, daß er diesen Dienst erfüllt und die Einheit durch die Zeit bewahrt, hilft keine Berufung auf die Treue zum jeweiligen Papst. Christus, dessen mystischer Leib die Kirche ist, ist gestern, heute und morgen nicht nur der gleiche, sondern der selbe.