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Der Ton wird schärfer

Daß die Kirche im Pontifikat Bergoglio in eine der schwersten Krisen ihrer bisherigen Geschichte gesteuert wurde, ist kaum bestreitbar. Gerade deshalb ist es verdienstvoll, daß der Vaticanist Andrea Gagliarducci in seinem neuesten Beitrag auf Monday Vatican den Blick darauf lenkt, daß auch die anderen Päpste der Nachkonzilszeit Gegenstand heftiger und und zum Teil wütender Kritik von innerhalb und außerhalb der Kirche ausgesetzt waren. Obwohl es dabei zum Teil um die gleichen Gegenstände ging – Ehescheidung, Zölibat, und Frauenordination stehen seit Jahrzehnten an der Spitze der Themenliste – hat die Diskussion in der Vergangenheit Kirche und Papstamt nie in der Weise erschüttert und in Frage gestellt, wie das heute zu beobachten ist. Gagliarducci beschreibt das so:

Alles, was derzeit in der Kirche geschieht, führt zur Herausbildung zweier Lager: Die Unterstützer und die Kritiker des Papstes. Auf beiden Seiten ist der Ton der Debatte immer schärfer geworden – das Ergebnis ist ein Kalter Krieg. Im Krieg ist es fast immer so, daß eine Seite den Kürzeren zieht und sich dann über die Niederlage beklagt. Was niemals während des Krieges geschieht, ist ein klarer Blick auf die Vergangenheit. Doch genau das wäre hilfreich, um die Probleme zu relativieren.

Aktuell ist viel von beispiellosen Angriffen gegen Papst Franziskus die Rede. Dieses Narrativ stellt fest, daß die Kritiker Franziskus‘ jede Einzelheit des päpstlichen Handelns nutzen, um sein Verhalten, seine Worte und seine Lehren zu kritisieren. In Wahrheit ist Kritik an Päpsten jedoch nichts neues. Sie findet, seitdem sie von Massenmedien mitgetragen wird, mehr Öffentlichkeit. Aber auch die Einmischung der Medien ist nicht neu – sie hat heute nur größere Reichweite.“

Dieser Einführung schließt Gagliarducci einen bemerkenswerten historischen Rückblick an. Er beginnt mit Papst Paul VI., der nicht nur wegen Humanae Vitae auf starken Widerstand gestoßen war. Er mußte auch heftigste Kritik sogar aus den Reihen deer Kardinäle dafür ertragen, weil er die Hoffnungen der Progressisten, die seine Wahl begeistert begrüßt hatten, enttäuschte, und nicht über das Konzil hinaus weiter voran stürmte, sondern – wie sie ihm vorwarfen – eine rückwärtsgewandte Politik verfolgte und das Konzil „verrate“.

Diese Kritik wurde nicht nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert, sondern von hochrangigen Theologen und Kurialen auf dem Podium öffentlicher Veranstaltungen vorgetragen, und in Leitartikeln und in Büchern veröffentlicht. Gagliarducci fasst zusammen: Alles in allem – wie sah das Kirchenmodell aus, das den Kritikern Pauls VI. vorschwebte? Es war die Vorstellung einer säkularisierten Kirche im Dialog mit der Welt der Gegenwart, bei dem sie sich deren säkularer Sprache bediente. Diese Vorstellung von Kirche bildete auch die Grundlage der zahlreichen Kritiken, die gegen Papst Johannes Paul II. während seines Pontifikats vorgetragen wurden. Der jüngste Brief von 62 Theologen und Wissenschaftlern, der Franziskus‘ Positionen in Amoris Laetitae kritiaiert, ist keine Ausnahmeerscheinung. Der hl. Johannes Paul hatte wesentlich stärkere Angriffe auszuhalten.“

In diesem Zusammenhang erinnert Galliarducci an die „Kölner Erklärung“ der deutschen Theologen von 1989, die die Theologen zahlreicher Länder zu ähnlichen Erklärungen und „offenen Briefen“ nach Rom anregte. Die damalige Kritik habe, so Galliarducci, viele Punkte herausgestellt, die auch heute noch die Debatte bestimmen:

Sie beschreibt das zweite Vatikanische Konzil als eine „radikale und unumkehrbare“ Wende im „Verständnis des kirchlichen Glaubens“. Sie sagt, daß dem Depositum des Glaubens „kein absoluter Wert“ zukomme, sondern seinen Rang durch die „pastorale Verknüpfung“ erhalte, die es ermögliche „die Wahrheit im Rahmen der historischen Existenz von Gemeinschaft im Glauben zu interpretieren“. Die Briefe beschreiben den Heiligen Stuhl als unter dem Einfluß einer „privilegierten Mentalität“ stehend, die dem „Gedanken einer Kirche als einer Gemeinschaft von Kirchen“ weichen müsse. Auch eine Neubewertung der Funktion des Lehramtes wird verlangt.

Leicht zu sehen, daß Franziskus sich viele dieser Überlegungen zu eigen gemacht hat – und daß heute die Papstkritiker von damals auf der „herrschenden Seite“ stehen, wie Galliarducci an einigen besonders auffälligen Beispielen nachzeichnet.

Die wütenden Kritikkampagnen gegen Papst Benedikt sind vielen von uns noch so gut in Erinnerung, daß sie hier nicht eigens aufgezählt werden müssen. Auch Galiarducci beschränkt sich auf eine Auswahl. Dies reicht jedoch völlig aus, um seine abschließenden Überlegungen zu untermauern: Heftige Kritik am Papst ist seit dem Ende des Konzils keine Seltenheit, sondern eher der Normalzustand für eine breite Öffentlichkeit innerhalb und außerhalb der Kirche. Es besteht kein Anlass, sie jetzt als übergriffig und gar als Versuch zur Deligitimierung des Papstes zu bezeichnen, zumal diese Empfindsamkeit exakt von Vertretern der Seite zur Schau getragen wird, die sich in vergangenen Jahrzehnten mit Dauerkritik an den regierenden Päpsten hervorgetan haben. Die damit verbundene Tendenz, jede Kritik quasi als „Hochverrat“ zu ächten und immer öfter auch durch Verlust von Ämtern und Stellungen zu sanktionieren, hat überdies nach Cagliarducci eine fatale Nebenwirkung: Sie läßt den Graben noch tiefer und den Bruch mit der kirchlichen Tradition noch gewaltsamer erscheinen, als von der Sache her vielleicht unvermeidlich. Und das führt zu der Frage, ob genau das der Absicht des Papstes entspricht, der bereits mehrfach erklärt hat, seine Modernisierungen „unumkehrbar“ machen zu wollen.

Damit könnte er Recht behalten: Eine einmal eingetretene Spaltung, das haben wir in diesem Jahr gelernt, läßt sich auch in 500 Jahren nicht umkehren.

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