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Zwei Kirchen

Bild: Fr. Longencker im angegebenen BeitragPfarrer Dwight Longenecker ist in den USA bekannt für sein Reise-, Predigt- und Internetapostolat. Als Konvertit und ehemaliger Anglikaner (verheiratet, 4 Kinder, Priesterweihe 2006) ist Longenecker durchaus konservativ – dem katholischen Traditionalismus steht er eher ferne. Dennoch und auch wegen der deutlichen Unterschiede zur Situation in Deutschland ist seine Ende November erschienene Schilderung des Zustandes der „zwei amerikanischen Kirchen“ überaus lesenswert.

Es beginnt ein langes ZitatWenn ich über Land reise, Pfarreien besuche oder auf Veranstaltungen spreche, bin ich immer wieder überrascht, daß es hierzulande zwei verschiedene Kirchen gibt, die nebeneinander leben und zwischen denen es praktisch keinerlei Austausch gibt. Auf der einen Seite haben wir da, was man als die (links-)liberale amerikanische Elite-Katholiken bezeichnen könnte. Sie dominieren fast alle akademischen Einrichtungen. Sie haben ihre eigenen Verlagshäuser an der Ostküste und besitzen Universitäten mit hohem Prestige. Sie verfassen Artikel und Bücher, belohnen sich gegenseitig mit Ehrendoktoraten und sprechen viel davon, Einwanderer zu unterstützen. Tatsächlich reden sie von wenig anderem, und dazu natürlich noch davon, man müsse nett zu Homosexuellen und wiederverheirateten Geschiedenen sein.

Sie widmen sich der theologischen Schriftstellerei und Forschung und verfolgen ihre akademischen Karrieren. Sie beherrschen auch in beträchtlichem Umfang die Hierarchie – die meisten Bischöfe stammen aus den gleichen elitären Kreisen oder sind Männer, die sich den Zugang dazu erkämpft haben. Sie sind miteinander vernetzt, ebnen sich gegenseitig die Wege und geben gemeinsam dem Katholizismus in den USA ein allgemein anerkanntes gefälliges Erscheinungsbild. Sie sind das Establishment. Sie führen die Verwaltung ganz ähnlich wie eine große Firma oder eine Regierungsbehörde, sie beauftragen Werbeagenturen, Rechtsanwälte, Fundraising-Gesellschaften, Versicherungsunternehmen und professionelle Personalberater. Das alles läuft sehr effektiv, störungsfrei - und langweilig.

Die linksliberalen Eliten propagieren ihre politisch korrekte, im wesentlichen humanistische und rationalistische Politik über die üblichen Massenmedien, in denen sie Freunde und Verbündete haben. Ihr Glaube ist ein gefälliger, moralischer therapeutischer Deismus. Ihr Publikum finden sie bei Leute, die ganz ähnlich sind wie sie selbst, Katholiken einer bestimmten Altersgruppe, unter deren Verantwortung eine verheerende Abwanderung aus dem Glauben stattgefunden hat. Ihre Konvente sind leer. Die Klöster stehen vor der Schließung, ihre Seminare schrumpfen, und ihre Familien sind klein. Dafür machen sie gemeinhin die veränderte Demographie und andere kulturelle Faktoren außerhalb ihrer Kontrolle verantwortlich. Jetzt sehen sie ihre Hauptaufgabe in der Verwaltung des Niedergangs und dem Versuch, den Glauben so an die Mehrheitskultur anzupassen, daß der Betrieb der Firma weitergeht.

Dann gibt es in Amerika aber auch noch einen anderen Katholizismus. Das ist ein Basis-Projekt, das die wesentlichen Triebkräfte des Zweiten Vatikanums aufgreift – aber das in einer Art und Weise, mit der die Vertreter des Konzilsgeistes ganz und gar nichts anzufangen wissen. Das ist die Kirche der selbst organisierten diözesanen Männer-Konferenzen, die an immer mehr Orten im ganzen Land stattfinden. Dort treffen sich 500 – 2000 Männer, um Vorträge energiegeladene Katecheten und Prediger zu hören, die ihren Glauben anfeuern.

Dieses katholische Amerika ist schlank, kraftvoll und unternehmerisch. Da findet man Konvertiten, die Apostalate der Straßenmission aufbauen, die ein enormes Wachstum zeigen. Da gibt es einen Bäcker, der ein Apostalat zur Verbreitung des Fastens initiiert und vorantreibt, oder einen ehemaligen Marinesoldaten, der ein erfolgreiches Unternehmen gestartet hat, das „Krieger Rosenkränze“ entwirft und vertreibt. In der einen Stadt gründet sich ein neuer Konvent oder ein neues Kloster, das innerhalb weniger Jahre so viele Berufungen anzieht, daß es ein Zweigkloster gründen kann. In einer anderen entsteht ein kleines College oder Leute bauen ihre eigene Akademie für klassische Bildung auf.

Auch dieser Katholizismus hat seine eigenen Verlage, Zeitungen, Webseiten und Magazine – aber viele davon sind Neugründungen, die sich um eine Erneuerung der gesellschaftlichen Kultur bemühen und sich auf eine positive und kreative Weise in den öffentlichen Diskurs einmischen. Das ist die katholische Kirche des Marschs für das Leben, das ist EWTN, das sind selbst organisierte Eucharistische Zusammenkünfte, Marianische Exerzitien und unabhängige Pilgerschaften. Das sind die Leute, die Missionen in den Entwicklungsländern gründen und finanzieren, die Netzwerk-Kreise für Geschäftsleute aufbauen und die Pilgerfahrten nach Rom und ins Heilige Land unterstützen.

Das sind die Leute, die an Engel und Dämonen und an die Realität des spirituellen Kampfes glauben, die an den überlieferten Ansichten zu Gottesdienst und den Sakramenten festhalten und die im Allgemeinen auch Humanae Vitae ernst nehmen. Sie halten nicht soviel von Papst Franziskus wie vorher von Johannes Paul und Benedikt. Einige kritisieren den Papst ganz offen, aber auch sie wahren meistens den gebotenen Respekt. Viele zucken nur mit den Schultern und sagen: Papst Franziskus mag ein guter Mann sein, aber kein besonders guter Papst. Was soll‘s – bald werden wir wieder einen anderen Papst haben. Und was steht heute alles auf meinerm Kalender?

Das ist die Situation, die John Allen auf Crux als „Katholisches Stammeswesen“ kritisiert – und was mich daran besonders interessiert ist der Umstand, wie wenig Verbindungen zwischen den beiden Stämmen bestehen. Tatsächlich findet so gut wie keine Kommunikation zwischen ihnen statt.

Die linksliberale Elite, die sich für so enorm einflußreich hält, hat praktisch überhaupt keinen Einfluss auf das, was sich an der Basis abspielt. Die Leute, die die Aktivitäten unten tragen, arbeiten in ihren Apostolaten, organisieren ihre Versammlungen, richten eigene Radiostationen ein, finanzieren ihre Aktivitäten und nehmen die Agenda und die Aktivitäten der linksliberalen Elite einfach nicht zur Kenntnis. Angesichts der gelehrten Artikel, die die Heilige Schrift kritisieren, auf die Kirche einschlagen und die säkularistische Politk unterstützen, zucken sie nur mit den Schultern.

Andererseits weiß auch die linksliberale Elite von New York, Boston, Philadelphia, Chicago und Los Angeles so gut wie nichts von diesem „anderen Katholizismus“ in Amerika. Wenn sie davon hören, sind sie erstaunt und schockiert, daß so etwas nicht nur existiert, sondern sogar gedeiht. Wenn sie davon erfahren, neigen sie dazu, das völlig falsch zu verstehen, halten extreme Erscheinungen für den Ausdruck des Ganzen und sprechen entsetzt davon, daß „extreme Gruppierungen“ den Ton in Blogs und aufrührerischen Webseiten angeben würden. Gerne lassen sie europäische Linksliberale zu Wort kommen, die noch weniger von der amerikanischen Szene verstehen und glauben, daß diese andere amerikanische Katholische Kirche aus irren Radikalinskis bestehe, die dem Wohlstandsevangelium von Megachurches nahestünden oder aus Hinterwäldlern bestehen, die nichts anderes kennen als ihre Waffen und ihre Religion.

So, wie die Küsten-Elite der Demokratischen Partei erschüttert und entsetzt waren, daß so viele Amerikaner in den uninteressanten Staaten des mittleren Westens für Trump stimmten, so abgeneigt sind die Küsten-Eliten der katholischen Kirche, sich mit dem bodenständigen Katholizismus außerhalb der zerfallenden Gebäude ihrer katholischen Blase zu befassen, die mehr und mehr den Kontakt zur Realität und zur Gegenwart verliert.

Verursacht ein Artikel wie dieser Spaltung? Ich glaube kaum. Er nimmt die bestehende Spaltung zur Kenntnis und verzichtet darauf, sie oberflächlich zu übertünchen.

Was man dagegen tun kann? Nicht viel. Bemüht euch um Nähe zu Jesus und Maria. Versucht, die andere Seite zu verstehen – soweit möglich. Und dann: Beten, die Ärmel aufrollen, und dort, wo ihr steht, tun was ihr könnt, mit dem, was ihr habt.

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