Eine Weihnachtskrippe in Rom
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- 23. Dezember 2017
Die Weihnachtskrippe in Rom auf dem Petersplatz hat in diesem Jahr heftige Irritationen ausgelöst. Vor allem in Nordamerika nahmen viele Anstoß an einem praktisch unbekleideten muskulösen jungen Mann, der zur Illustration der Aufforderung: „Die Nackten bekleiden“ aus den Werken der Barmherzigkeit in die Szenerie aufgenommen worden war. Angesichts der als lasziv empfundenen Haltung des Bettlers sahen mehrere Kommentatoren schon die vatikanische Homo-Mafia am Werk, und die Sache wurde nicht besser dadurch, daß ein Photo der Szene von den durchgedrehten Zensoren bei Facebook als „sexuell provokativ“ zurückgewiesen worden war.
Zur Hysterie in beiden Spielarten ist sicher kein Grund. Die katholische Kunst, gerade in Italien, war nie prüde und leibfeindlich, und die Figurenschnitzerei napolitanischer Tradition macht da keine Ausnahme – auch wenn sie für die Darstellung von Bettlern eher den Typ des ausgemergelten Alten bevorzugt. Auf einer Szene des unter die Räuber gefallenen Wanderers aus dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter wäre die jetzt so heftig kritisierte Figur wohl selbst in Nordamerika unbeachtet geblieben, und auch skulpturale oder gemalte Abbildungen des perfekten Adam vor dem Sündenfall werden wohl nur selten in Verdacht gerückt, sexuell explizit oder provokativ zu sein.
Männliche Nacktheit in der religiösen Kunst ist ganz wesentlich eine Frage des Kontextes – und da sind die Kritiker des aktuellen römischen Aufbaus mit ihrer Irritation durchaus auf einer richtigen Spur. Allerdings haben sie nicht zu gut, sondern nicht genau genug hingesehen bzw. nachgedacht. Und dabei hätte sie die ebenfalls in die „Weihnachtskrippe“ aufgenommene Szene eines Begräbnisses vielleicht noch eher auf das eigentliche Problem hinweisen können als der nackte Mann des Anstoßes.
Die Weihnachtskrippe auf dem Petersplatz steht in diesem Jahr unter dem Thema der „Sieben leiblichen Werke der Barmherzigkeit“ - jedem davon ist eine eigene Szene in liebevoller Detailliertheit gewidmet. Hungrige Speisen – Durstige tränken – Fremde beherbergen - Nackte bekleiden – Kranke pflegen – Gefangene besuchen – Tote bestatten – keines davon hat der unbekannte Konzeptionist der Krippe im Pontifikat der Barmherzigkeit vergessen – außer natürlich die geistigen Werke der Barmherzigkeit, von denen ebenfalls sieben zu nennen wären. Aber gut, einige davon – Unwissende lehren – Zweifelnden recht raten – Sünder zurechtweisen – sind ja auch etwas aus der Mode gekommen bzw. gelten neuerdings eher als unbarmherzig.
Doch auch diesen Mangel zu beklagen ginge am Kern der Sache vorbei. Dieser Kern besteht darin, daß die Werke der menschlichen Barmherzigkeit, seien es die einen oder die anderen, mit dem Festgedanken von Weihnachten nichts oder doch nur sehr vermittelt zu tun haben. Denn: Weihnachten ist nicht das fest der menschlichen, sondern der göttlichen Barmherzigkeit. Nicht wir besuchen den Gefangenen – der Erlöser kommt, uns aus der Gefangenschaft zu befreien.
Weihnachten ist das Fest der Menschwerdung des erlösenden Gottes – ein kosmischer Vorgang, der die ganze Schöpfung transformiert: Der Schöpfer neigt sich auf unerhörte Weise seiner in Sünde gefallenen Schöpfung zu und bewirkt so eine Neuschöpfung im Geiste.
Hier liegt auch der Ursprung der Weihnachtskrippe: sie macht das, was mit dem Verstand kaum zu begreifen ist, für die Sinne anschaulich. Der Messias erscheint zunächst im vertrauten Bild der Familie in notdürftiger – und damit vielen Menschen früherer Zeit sehr vertrauter – Unterkunft; dann später ausgreifend auf die größere Welt mit Hirten und Schafen, Händlern und Karawanen, Königen, Soldaten und Handwerkern. Dieses Kind ist geboren, Gott wird Teil der Welt, um das Heil für die ganze Welt zu erschließen. Inkarnation.
Die herkömmliche Ikonographie der Weihnachtskrippe ist durch und durch geprägt von diesem Verständnis. Die Krippe auf dem Petersplatz des Jahres 2017 ersetzt diese Ikonographie durch einen höchst eindimensionalen Aufruf zur praktischen Nächstenliebe und erliegt damit der Gefahr, die Selbsterlösung des Menschen durch eigene Kraftanstrengung zu propagieren. Das Kind in der Krippe wird zur liebenswerten Reminiszenz. Die eigentliche Handlung spielt anderswo.
Wir schaffen das.