„Frömmelnder Aufruf zur Kapitulation“
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- 14. Februar 2018
Die „Option Benedikt“ - IX
Nachdem Chefredakteur Antonio ‚2+2=5‘ Spadaro schon im vergangenen Herbst heftige Kritik an Rod Drehers „Option Benedikt“ geübt hatte, hat die Civilta Cattolica, das in enger Abstimmung mit dem Papst herausgegebene Zentralorgan der Jesuiten, nun eine sehr lange und sehr grundsätzliche überaus negative Besprechung von P. Andreas Gonzalves Lind S.J. zu dem immerhin seit gut einem Jahr diskutierten Buch veröffentlicht. Rod Dreher hat darauf ebenso umfänglich geantwortet. Sandro Magister faßt heute das Umfeld der Debatte zusammen und bringt eine Kurzfassung von Drehers Replik, die wir hier übersetzt wiedergeben. Alles, was folgt, ist also Zitat - und darin gibt es Zitate, die ihrerseits Zitate enthalten.
Der Hauptpunkt der Beschwerden von P. Lind besteht in dem Vorwurf, daß „Die Option Bnedikt“ einen aktualisierten Donatismus befürworte – das ist eine Irrlehre aus dem 4. Jahrhundert, die einen strengen moralischen Rigorismus vertrat und die Gültigkeit der Sakramentenspendung durch Priester bestritt, die in der Christenverfolgung durch die Römer schwach geworden waren.
Hier das zentrale Element seiner Einwände:
Dreher scheint, ohne direkt in Häresie zu verfallen, die Position von Donatus zu wiederholen: ‚Wenn die heutigen Kirchen die neu dunkle Zeit überleben sollen, müssen sie aufhören, ‚normal‘ zu sein. Wir werden uns stärker zu unserem Glauben bekennen müssen, und wir werden das auf eine Weise tun müssen, die in zeitgenössischen Augen merkwürdig erscheint. Wenn wir die Vergangenheit wiederentdecken, die Liturgie und Askese wiederherstellen, unser Leben an der kirchlichen Gemeinschaft ausrichten und die Kirchendisziplin verstärken, werden wir mit Gottes Hilfe wieder das auserwählte Volk, das wir immer hätten sein sollen. Die Früchte dieser Orientierung auf christliche Bildung werden nicht nur bessere Christen sein, sondern auch eine neue Evangelisierung, wenn das Salz seine Würze zurück erhält.‘
Die Donatisten wollten wie die frühe Kirche der Verfolgungszeit sein und akzeptierten keinen anderen Weg des Lebens und des Glaubens. Selbst unter neuen historischen Bedingungen, unter denen die Verfolgung ein Ende finden konnte, sahen sie, in der Verfolgung eine Bestätigung dafür sei, daß sie gute und treue Christen wären. Auf diese Weise bildeten diese schismatischen Christen eine kleine Sekte der ‚Reinen‘. Indem sie „integer“ in Gegensatz zu „profanus“ setzten und das zum Hauptkriterium für die Zugehörigkeit oder Nichzugehörigkeit zur Kirche machten, wollten die Donatisten letztlich nur völlig untadelige Mitglieder zulassen.“
Da liegt das Problem – und das ist ein Problem, das auch immer wieder in der Redeweise von Papst Franziskus auftaucht. Gibt es verbitterte und sture Katholiken? Natürlich. Aber Franziskus und seine Unterstützer haben die schreckliche und zutiefst ungerechte Gewohnheit, Priester und Laien als „stur“ zu beschuldigen, die einfach am katholischen Glauben festhalten und ihn so leben wollen, wie er von der Lehrautorität verkündet worden ist – und die ihn manchmal auch in seiner überlieferten liturgischen Form pflegen wollen.
Christian Smith‘s breitangelegte Untersuchungen zum religiösen Glauben und Bewußtsein junger Amerikaner – nicht nur katholischer – zeigt Entwicklungen auf, die jedem ernsthaften Christen schwer zu schaffen machen müßten, nicht zuletzt auch dem römischen Papst. „ Die meisten jungen Erwachsenen betrachten Religion als eine Art Einübung, gute und ordentliche Menschen zu werden. Und sie glauben, daß sie im Grunde gute und ordentliche Menschen sind.
Ich bin viel in den USA und im Ausland gereist, um Material für die „Option Benedikt“ zu sammeln und darüber zu sprechen. Und ich höre überall die gleiche Botschaft: Junge Leute, die sich immer noch als Christen verstehen, wissen wenig bis nichts über den christlichen Glauben – weder zu seinen Inhalten noch darüber, wie man diesen Glauben im Alltag leben soll. Soweit sie überhaupt irgend eine Art von Glauben haben, ist das eine rein emotionale Angelegenheit.
Wenn ich dann höre, daß hauptberufliche Kirchenbeamte wie P. Antonio Spadaro der Welt sagen, es gebe keinen Grund zur Beunruhigung, es sei alles in bester Ordnung und die Bedenken von Christen wie mir hätten nichts mit der Realität zu tun, macht mich das wütend. Das ist ein Versuch, die Gläubigen einzuschläfern. Es ist eine wohlfeile Lüge, und das ist eine Lüge, die viele Menschen um ihr Seelenheil bringen kann.
Aber P. Lind macht sich Sorgen über die „starren“ Katholiken, die am rechtgläubigen Katholizismus festhalten und ihre Kinder zu gläubigen und glaubensfesten Katholiken erziehen wollen.
P. Lind zitiert Augustinus gegen die Donatisten:
„Während Drehers Option Benedikt darauf zielt, Gemeinschaften zu bauen, die die Disziplin verstärken um ein vemeintlich wahreres und gesünderes Christentum sicherzustellen, unterstreichen die Schriften von Augustinus gegen den Donatismus auch andere Gesichtspunkte wie Geduld gegenüber Sündern und den Wert, Gemeinschaft aufrecht zu erhalten. Zwar impliziert die Option Benedikt nicht automatisch die Arroganz, die Augustinus in der Haltung der Donatisten wahrnahm. Aber ihr Verlangen nach einer verstärkten Kirchendisziplin erinnert an den moralischen Rigorismus der Donatisten. Darübrhinaus könnte die Absicht zum Aufbau kleiner Gemeinschaften mit „starken Christen“ dazu führen, die Bedeutung christlicher Tugenden wie Demut, Geduld und Toleranz zu untergraben, auf die Augustinus so großen Wert legt, und sie könnte die Gemeinschaft der Gläubigen und die Herausbildung friedlicher Beziehungen in der Welt aufs Spiel setzen.“
Hier begeht P. Lind einen ganz grundsätzlichen Fehler: Er verwechselt den donatistischen Glauben, daß die Kirche auf eine Gefolgschaft der untadellig reinen begrenzt sei, mit dem ganz normalen Christenglauben, daß alle nach Heiligkeit streben sollten. Der Kirche sind alle Sünder willkommen, denn niemand in der Kirche ist ohne Sünde. Das christliche Leben ist eine Pilgerschaft der Annäherung an Ähnlichkeit mit Christus . Wir alle stolpern – und dafür gibt es Beichte und Absolution. Man gewinnt den Eindruck, daß Christen wie P. Lind an Heiligkeit nichts gelegen ist. Das ist sicher nicht so, aber es fällt mir sehr schwer zu verstehen, wozu nach ihrer Meinung denn die Kirche und das Leben mit Christus gut sind.
Noch mehr von P. Lind:
Yves Congar erwähnt als ein weiteres Charakteristikum der donatistischen Haltung die Feindseligkeit gegenüber säkularen Institutionen. Die Donatisten neigten dazu, sich der Zusammenarbeit mit den Behörden des Imperiums zu widersetzen, die in ihren Augen heidnische Mächte darstellten. Nach ihrer theologischen Position gehörte es zur Reinheit des Christenlebens, die Teilnahme, Mitwirkung oder jedwede Zusammenarbeit mit Heiden in den nicht-Christlichen Institutionen zu verweigern. In diesem Sinne bildeten die Donatisten tatsächlich Parallelgesellschaften Im Gegensatz dazu blieben Katholiken wie Augustinus mit einigen Institutionen des Imperiums verbunden und sahen sich daher gezwungen, die Donatisten als schismatiker anzusehen.“
Das ist eine absurde Fehldarstellung meiner Arbeit. Der Begriff der ‚parallel polis‘ (hier versuchsweise mit Parallelgesellschaft‘ übersetzt, d.Ü.) wird in der „Option Benedikt“ auf folgende Weise eingeführt:
[Der tschechische Dissident Vaclav] Benda hat die Idee der Parallelgesellschaft als seinen besonderen Beitrag in die dissidentische Bewegung eingebracht – darunter verstand er eine eigenständige, aber poröse Gesellschaft neben der offiziellen kommunistischen Ordnung. Wie Flagg Taylor, ein amerikanischer Staatsphilosoph und Kenner der Tschechischen Dissidentenbewegung dazu ausführte: Benda ging es darum, daß die Dissidenten nicht nur bloß gegen die kommunistische Regierung protestierten, sondern einen positiven Beitrag des Engagements in der Welt leisten sollten. Benda befürwortete nicht den Rückzug in ein christliches Ghetto. Er bestand darauf, daß die Parallegesellschaft ihrem Selbstverständnis nach für die ‚Bewahrung oder Erneuerung der nationalen Gemeinschaft im weistesten Sinne des Wortes kämpfen müsse, zusammen mit der Verteidigung aller Werte, Institutionen und materiellen Grundlagen, von der die Existenz einer solchen Gemeinschaft abhängt.‘
P. Lind möchte seinen Lesern weismachen, daß ich die Katholiken und anderen Christen dazu auffordere, sich von der Welt zurückzuziehen, um sich vor Unreinheit zu bewahren. Tatsächlich aber – so entspricht es dem Zusammenhang des Buches – entsteht eine Gegengesellschaft hauptsächlich dann, wenn man es den Christen nicht mehr erlaubt, im öffentlichen Raum als Christen zu leben.
Vielleicht kann das ein P. Lind nicht begreifen, der an der Jesuitenuniversität von Namur in Belgien lehrt – wo, um das nebenbei zu erwähnen, der katholische Glaube mehr tot als lebendig in den letzten Zuckungen liegt. Ich weiß nicht, wie es um das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in Belgien steht. Hier in den USA gehen wir einem Stadium entgegen, in dem christliche Schulen und Institutionen mit schweren Sanktionen rechnen müssen, wenn sie nicht bereit sind, ihre Lehre und ihre interne Praxis den LGBT-Dogmen und der Gender-Ideologie unterzuordnen.
Wie ich in meinem Buch zeige, ist das keine müßige Spekulation. Ich habe Interviews mit einigen Rechtsprofessoren und Rechtsanwälten in diesem Bereich geführt – sie sehen, was da auf uns zu kommt, auch wenn P. Lind es nicht sieht.
Zu Linds Besprechung wäre noch viel zu sagen – ich will mit diesem Abschnitt seines Textes schließen:
Die Option Benedikt ist so Ausdruck einer pessimistischen Einstellung gegenüber den gegenwärtigen Gesellschaften. Zwar sollte man auf Religionsfreiheit bestehen, damit Christen ihren Glauben leben können, aber Dreher scheint nicht daran interessiert zu sein, die Bedeutung eines wahren Dialogs zu zeigen, der auf der Menschenwürde beruht, die ihrerseits alle Freiheitsrechte begründet.“
Nun ja, das sieht er schon ganz richtig: Ich habe eine pessimistische Einstellung gegenüber den gegenwärtigen Gesellschaften. Wie könnte ein rechtgläubiger Christ, der keine Scheuklappen trägt, nicht pessimistisch sein. Selbst Papst Franziskus hat, nach den Worten seines Biographen [Austen Ivereig] „apokalyptische“ Vorstellungen. Und natürlich wende ich mich an andere – die „Option Benedikt“ ruft ganz klar zur Kollaboration zwischen den Christen und anderen [ganz besonders erwähne ich die Juden) auf, die vielleicht nicht unsere theologischen Überzeugungen, aber doch die gegenkulturelle Haltung gegenüber der Welt teilen, Aber ich habe kein Interesse an den gescheiterten Assimilationsvorstellungen der modernen Jesuiten. Diese mögen 1968 vernünftig erschienen sein, aber wir wissen inzwischen, welche Früchte dieser Ansatz hervorgebracht hat: Den Zusammenbruch.
Ich habe großes Vertrauen darauf, daß Katholiken, die wollen, daß ihr Glaube diese spezielle Apokalypse überlebt und in ihren Kindern und Kindeskindern fortdauert, sich mir und anderen Christen guten Willens anschließen um einen neuen Weg aus den Ruinen dieses gegenwärtigen Christentums zu schaffen. Es ist vielleicht für einige schockierend, aber es gibt in der katholischen Kirche Traditionen, die vor das Jahr 1965 zurückreichen und die heutigen Katholiken und allen Christen sehr viel zu sagen haben. Mein Ansatz hat sicher seine Schwächen, und ich bin dankbar für Verbesserungen. Aber der Versuch, etwas ernsthaftes zum Widerstand zu unternehmen ist mir lieber als frömmelnde Aufrufe zur Kapitulation.