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Streit um die „Lebendige Tradition“

Bild: LifeSiteNewsAmoris Laetitia war nur der Anfang – jetzt geht es ins nächste Gefecht. Und wo die Frage des Kommunionempfanges durch die mißbräuchlich so genannten „Wiederverheirateten Geschiedenen“ nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des kleinen Teils der Katholiken betrifft, die noch einigermaßen regelmäßig an Gottesdiensten teilnehmen, berührt der nächste Streitpunkt ein Mehrheitsproblem: Die in Humanae Vitae eindeutig niedergelegte, vielen aber als „zu rigide“ erscheinende Lehre hinsichtlich der Empfängnisregelung. Die modernistischen Umstürzler und die katholischen Bewahrer haben in diesen Tagen durch den Mund prominenter Sprecher – Kardinal Kasper auf der einen, Kardinal Müller auf der anderen Seite - ihre Positionen markiert. Sie könnten gegensätzlicher nicht sein.

In seinem unlängst erschienen Büchlein (96 Seiten) „Die Botschaft von Amoris Laetitia“ entwickelt Kardinal Kasper das Muster einer Argumentation für die „Kirche der neuen Paradigmen“, die gleichzeitig die „Kirche der lebendigen Tradition“ sein soll, wie sie nach seiner und seiner Mitstreiter Ansicht mit dem Pontifikat von Franziskus angebrochen ist. Ausgangspunkt des Arguments – wenn man es denn so nennen will – ist die Feststellung, daß in der umstrittenen Enzyklika die künstliche Empfängnisverhütung zwar nicht ausdrücklich freigegeben, aber auch nicht ausdrücklich als „unerlaubt“ bezeichnet wird. Sie wird einfach nicht erwähnt – und da nach Kaspers Ansicht in diesem Dokument auch das eine Aussage darstelle, was nicht ausgesagt wird (s. dazu hier), könne man daraus ableiten, daß der Papst auch in dieser Frage die „freie Gewissensentscheidung“ als oberste Richtschnur anerkenne – so wie die deutschen Bischöfe das ja schon seit ihrer Königsteiner Erklärung propagieren.

Noch einmal langsam zum Mitschreiben: In Kaspers Kirche der „lebendigen Tradition“ kann also das, was der eine Papst in langen Dokumenten als bindende Lehre der Kirche bekräftigt hat, vom anderen Papst durch bloßes Nichts-Sagen in das Belieben der individuellen Entscheidung eines nicht weiter qualifizierten Gewissens gestellt werden.

Kardinal Müller hat diesem Unfug im Rahmen einer Buchvorstellung beim amerikanischen John Paul II Institute for Studies on Marriage and Family in Rom in dieser Woche die gebührende Antwort erteilt: Die von Papst Paul VI. In Humanae Vitae ausgesprochene Lehre der Kirche steht im Rang der Unfehlbarkeit und Unveränderbarkeit. Nicht, wegen des hohen Ranges des sie aussprechenden Dokumentes oder wegen einer entsprechenden feierlichen Erklärung, sondern deshalb, weil dieses Dokument keine Neuerungen einführt, sondern lediglich die seit ihren Anfängen geltende Lehre der Kirche erneut feststellt. „Lebendige Tradition“ ist das insoweit, als Humanae Vitae diese Lehre nicht nur abstrakt bekräftigt, sondern als konkrete Antwort auf neu entstandene Herausforderungen der Gegenwart in den veränderten Zusammenhang stellt und neu ausspricht. Kardinal Müller dazu im einzelnen:

„Es ist absolut unnötig, (diese Lehre) in einer Definition ex cathedra zu bekräftigen. Sie ist in der Sache unfehlbar, weil sie auf der christlichen Anthropologie beruht, ebenso wie auf der offenbarten und auf der naturrechtlichen Anthropologie. Gott ist der Schöpfer, und die Eltern sind Diener der göttlichen Vorsehung, die die Existenz der Menschen einschließt. (…) Wir haben hier die gleiche Sachlage wie bei Ordinatio Sacerdotalis, wonach die Kirche nicht in der Lage ist, das Sakrament der Weihe an Frauen zu spenden. Es liegt auf der Hand, daß der Papst nicht die Vollmacht hat, diese Lehre zu verändern.“

Nicht durch eine ausdrückliche Erklärung, und erst recht nicht durch stillschweigende Hinnahme, möchte man in Blick auf Kardinal Kasper ergänzen.

Damit sind die Fronten klar bezeichnet, noch bevor die angedrohten Synoden über die Kirche im Amazonas und zur Lage der Jugend nach bereits bekanntem Muster zweideutige Dokumente verabschieden können, die dann als Ermächtigung zu durchaus eindeutigen, aber nicht mehr katholischen, Auslegungen herhalten müssen.

Wie lange kann die Kirche Roms die in Kasper und Müller so beispielhaft zum Ausdruck kommende Spaltung noch aushalten, ohne daß das innere Schisma sich auch in äußeren Formen manifestiert?

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