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Die Spaltung wird tiefer

Bild: Metropolitan Museum NY, Wikimedia, gemeinfraiAm vergangenen Wochenende – das Schreiben ist gezeichnet „Am Fest unserer Lieben Frau vom Rosenkranz“ – hat Kardinal Ouellet auf die Vorwürfe von Erzbischof Vigano gegen den Umgang des Vatikans mit Mißbrauchsvorwürfen geantwortet. Ouellet ist in dieser Sache nicht allein zuständig, ist aber als Präfekt der Bischofskongregation insbesondere wegen der Causa McCarrick, mit verantwortlich.

Der Brief spricht zwei Ebenen an: Erstens die der Tatsachen, insbesondere die Behauptung Viganos, Franziskus habe McCarrick in Kenntn is seiner Sanktionierung durch Benedikt quasi rehabilitiert und mit höchsten Aufgaben betraut. Die zweite Eben ist – unsauber durcheinandergehend – spiritueller und kirchenrechtlicher Art: die Ansprache des ehemaligen Nuntius in den USA durch den Präfekten der Bischofskongregation, der Viganos Intervention als offene Rebellion gegen den von Gott eingesetzten und begnadeten Lenker der Kirche zu betrachten scheint.

Zum ersten ist der offene Brief in einem Punkt ganz eindeutig: Ouellet räumt ein, daß – möglicherweise schon zur Zeit von Johannes Paul II. – mehrfach Gerüchte und Anschuldigungen bezüglich des Lebenswandels von McCarrick bis nach Rom gedrungen sind, gegen die er sich dort, wie Ouellet schreibt, „mit Scharfsinn zu verteidigen wußte“. Außerdem gbt Ouellet zu, daß McCarrick zur Zeit Benedikts Auflagen zur öffentlichen Zurückhaltung gemacht worden sind, allerdings behauptet er, daß es sich dabei nicht um von Papst Benedikt selbst verhängt „Sanktionen“ im engeren kirchenrechtlichen Sinne gehandelt habe. Von daher bestreitet Oullet, daß Franziskus „Sanktionen“ aufgehoben bzw. McCarrick mit hervorgehobenen Aufgaben betraut habe. Ersteres klingt nach Wortklauberei – letzteres scheint demgegenüber offenkundig unwahr zu sein, hat doch Franziskus McCarrick nicht nur als Ratgeber bei Bischofsernennungen in den USA herangezogen, sondern auch mindestens zwei mal als inoffiziellen Sondergesandten nach China reisen lassen. Ob die vor einigen Tagen angeordnete interne Durchsicht vatikanischer Akten hier mehr Klarheit bringt, bleibt abzuwarten.

Wichtiger jedoch, da weit über die aktuelle Auseinandersetzung zwischen Erzbischof Vigano und Teilen der Kurie hinausgehend, sind die Aussagen des Briefes zur zweiten Ebene: Sie betreffen die Stellung des Papstes in der Kirche allgemein und insbesondere die von Franziskus beanspruchte Autorität, die Lehre der Kirche auch gegen ihre 2000-jährige Tradition zu verändern. Einige Kernsätze aus diesen Teilen des Briefes sollen hier (aus der vom Vatikan veröffentlichten Arbeitsübersetzung des Briefes ins Englische) deutsch wiedergegeben und kommentiert werden.

In den einleitenden Abschnitten seines Briefes beklagt Kardinal Oullet:

Nun muß ich erkennen, daß ich in ihren Augen die frühere Hochachtung verloren habe, nur weil ich bei dem Dienst in der Kirche, den er mir anvertraut hat, weiterhin treu zur Führung des Papstes stehe. Ist denn nicht die Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri Ausdruck unseres Gehorsams gegenüber Christus, der ihn auserwählt hat und mit seiner Gnade trägt? Meine Interpretation von Amoris Laetitia, die Sie kritisieren, gründet in dieser Treue zur lebendigen Tradition, von der uns Franziskus kürzlich ein weiteres Beispiel gegeben hat, in dem er den Katechismus der Katholischen Kirche hinsichtlich der Todesstrafe geändert hat.

Das ist eine starke Definition des bisher schon zu Mißverständnissen einladenden Begriffes von „lebendiger Tradition“: Treue zur Tradition erweist sich demnach darin, daß man ihrer Veränderung zustimmt, da doch Christus den Papst ausgewählt hat und in all seinen Schritten (von Anmerkung 351 in Amoris Laetitia bis zur Neubestimmung der kirchlichen Haltung zur Todesstrafe) leitet!

Hier geht es weiterIn der Stilisierung des Papstes als einer Art „höheres Wesen“ näher an einem zweiten Messias als an den unglückseligen Kindern Evas kennt Ouellet keine Grenzen, wenn er gegen Ende des Briefes schreibt:

Wäre der Papst nicht ein Mann des Gebets, hinge er am Geld, würde er die Reichen zuungunsten der Armen begünstigen, würde er nicht unermüdlich seine Kraft dazu einsetzen, alle Mißstände anzusprechen und ihnen den den großzügigen Trost seiner Worte und Taten zukommen zu lassen, würde er nicht alle denkbaren Mittel einsetzen, um die Freude des Evangeliums allen zu verkünden und mitzuteilen, in der Kirche und über ihre sichtbaren Grenzen hinaus, würde er nicht allen seine Hand reichen: den Familien, den einsamen Alten, denen, die krank sind an Körper und Seele, den Jugendlichen bei ihrer Suche nach dem Glück – wenn das nicht alles so wäre, könnte man vielleicht wie Sie jemanden Anderen für dieses Amt vorziehen, der einen anderen politischen oder diplomatischen Ansatz verfolgt. Aber ich kann doch nicht seine persönliche Integrität in Frage stellen, seine Weihe zu seinem Auftrag und vor allem nicht das Charisma und den inneren Frieden, dessen er sich durch die Gnade Gottes und die Kraft des Auferstandenen erfreut! (…)

Ich habe das Privileg, jede Woche mit Papst Franziskus zusammenzutreffen und die Ernennung von Bischöfen und die damit zusamenhängenden Probleme zu besprechen Ich weiß sehr gut, wie er mit Personen und Problemen umgeht: Mit großer Liebe, Barmherzigkeit, Hinwendung und Ernsthaftigkeit, so wie Sie es auch erlebt haben.“

Man mag kaum glauben, daß diese Worte von einem nüchternen Nordamerikaner kommen – Ouellet ist Kanadier – oder nicht doch von einem kurialen Mitarbeiter, der schon an den Lobreden für die spätere Heiligsprechung von Franziskus arbeitet.

Es wäre leicht, derlei als byzantinistische Floskeln eines ergebenen Höflings abtun, würden sich im Schreiben des Kanadiers mit dieser Überhebung des gegenwärtigen Papstes nicht durchaus handfeste Drohungen in einer Tonart verbinden, wie man sie in der Kirche wohl seit dem Abklingen der Unruhen um die Rebellion Luthers nicht mehr gehört hat.

Es ist abscheulich, wie sie den Sexualskandal in den USA dazu zu mißbrauchen, einen uneverdienten und unerhörten Schlag gegen die moralische Autorität ihres Oberen, des Summus Pontifex zu führen.“  Oder

„Ich denke, es ist sarkastisch, ja geradezu blasphemisch, wie Sie ihre letzte Mitteilung beschließen und sich nach Außen hin auf Spiritualität berufen, während Sie den Heiligen Vater verspotten und seinen Glauben in Zweifel ziehen!. Das kann nicht vom Geist Gottes kommen“.

Gefolgt sind derlei Anschuldigungen dann von dem dringenden Aufruf

Wieder in die Gemeinschaft mit dem zurückzukommen, der der sichtbare Garant der Gemeinschaft in der katholischen Kirche ist. … Sie sollten Ihr priesterliches Leben nicht in einer offenen und skandalösen Rebellion beenden, die der Braut Christi überaus schmerzhafte Wunden zufügt. Indem sie vorgeben, ihr besser zu dienen, verursachen sie tiefere Spaltung und säen Verwirrung im Volk Gottes. Kommen Sie heraus aus Ihrem Versteck, bereuen Sie Ihre Rebellion und bekehren Sie sich zu besseren Gefühlen gegenüber dem hl. Vater statt ihm gegenüber Feindseligkeit zu pflegen. Wie können Sie die Messe feiern und dabei seinen Namen im Hochgebet erwähnen? Wie können Sie den heiligen Rosenkranz beten, den hl. Erzengel Michael oder die Gottesmutter anrufen, während sie den verurteilen, den unsere Liebe Frau beschützt und jeden Tag auf seiner schweren und mutigen Mission begleitet?“

Daran ist mehrerlei bemerkenswert. Insbesondere natürlich die unüberhörbare Drohung mit der Exkommunikation – tatsächlich wird in einigen Wendungen des Briefes ebenso wie in einigen Predigten von Franziskus in den vergangenen Wochen die Lösung der Kritiker aus der Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri als bereits erfolgt vorausgesetzt.

Neben der Hervorhebung der Bedeutung von „Gefühlen“ ist aber auch auffällig der betonte Gebrauch „frommer Versatzstücke“ wie der Hinweis auf den Rosenkranz und das Gebet zum Erzengel Michael. Gegenüber solchen Elementen traditioneller Frömmigkeit hat Franziskus bisher eher seine Verachtung demonstriert – nun scheinen sie ihm gerade recht zu kommen, um auch traditionsorientierte Gläubige in seinen Kampf gegen die Gegner seiner Reformen einzubeziehen.

Mit irdischen Augen ist nicht zu sehen, wie die seit Beginn dieses Pontifikats offen zu Tage tretenden Verwirrungen geheilt werden können. Hl. Erzengel Michael, verteidige uns im Kampfe.

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