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Der Papst als Prophet?

Bild: Scrfeenshot aus dem im Text genannten Vortrag bei YoutubeDie Zerrissenheit der Kirche offenbart sich zur Zeit nicht zuletzt darin, daß es in der Haltung zum Papst zwei einander entgegengesetzte Positionen gibt – die beide als unvereinbar mit der traditionellen katholischen Haltung zum Papst erscheinen. Auf der einen Seite eine Ablehnung – nicht des Amtes, aber der Person – die bis dahin geht, dem gegenwärtigen Amtsinhaber Unfähigkeit zur Wahrnehmung seines Auftrags vorzuwerfen oder ihn gar als der Häresie überführt und damit seines Amtes verlustig anzusehen. Und auf der anderen Seite eine Tendenz zu einer Übersteigerung der Stellung dieses Amtes – und besonders dieses Amtsinhabers – die in jeder seiner Ausführungen und Taten den direkten Einfluß des heiligen Geistes erkennen will und in Einzelfällen nachgerade zu einer Vergöttlichung seiner Stellung tendiert, wie das in der Formel vom „Nachfolger Christi“ zum Ausdruck kommt. Oder auch wenn Franziskus selbst den Widerspruch gegen seinen Politikstil als „mangelnde Offenheit gegenüber dem Hl. Geist“ zurückweist.

Der amerikanische Publizist James Kalb ist der Sache in einem Artikel für Crisis Magazine näher nachgegangen. Nachdem er einige weniger überzeugende Erklärungsansätze wie bloße Autoritätsgläubigkeit oder Denkfaulheit zur Seite geschoben hat, kommt er zu dem, was er als den Kern der Sache betrachtet:

Dem katholischen Glauben geht es um Realität, er übersteigt die Welt, aber er ist keine Spinnerei. Jesus Christus ist der Selbe gestern, heute und auf ewig, und in der Theologie gibt es kein 2+2=5. Was der Glaube verlangt, muß von sich aus einsichtig und sich selbst treu sein. Wie kommt es, daß in einem angeblich doch so vernunftgeprägten Zeitalter Leute sich geradezu entgegengesetzt verhalten, als ob der Papst und seine Sprachrohre charismatische Propheten wären, die den Auftrag hätte, die Kirche irgendwohin zu führen, wohin es ihnen gerade den Anforderungen der Zeit zu entsprechen scheint?

In großem Ausmaß kommt diese Haltung von der gegen jede Transzendenz gerichteten Grundeinstellung des modernen Denkens. Die katholische Lehre bezieht sich auf dinge, die man nicht sehen, wiegen oder messen kann, und das macht es den Leuten schwer, sie als Ausdruck von Wahrheit zu akzeptieren. Stattdessen betrachten sie sie als dichterische oder symbolische Weise des Umgangs mit weltlichen Dingen. In dieser Sehweise ist der Grund dafür, daß wir von der Ehe als einem „Sakrament“ und von ihrer „Unauflöslichkeit“ sprechen der, daß die Leute stabile und verantwortungsvolle sexuelle Beziehungen haben wollen und derlei gut für die Kinder ist – deshalb unterstützen wir diese Stabilität, indem wir diese Beziehungen mit schönen Bezeichnungen aufwerten.

Von diesem Ansatz her ist es nur ein kleiner Schritt, das ursprüngliche metaphysische Bezugssystem ganz zur Seite zu legen und in den „schönen Bezeichnungen“ nur noch irdische Elemente zu erblicken, über die auf irdischer Ebene verhandelt und entschieden werden kann. Und wer wäre als oberster Entscheider besser geeignet als ein irdischer Papst, dem die allerhöchste Autorität zugeschrieben wird – ebenfalls in symbolischer Sprache und mit schönen Bezeichnungen, die an die Metaphysik der Vergangenheit anknüpfen, aber in Wirklichkeit ganz „von dieser Welt“ sind.

Schließlich können wir Gott nicht sehen, aber wir sehen den Papst, und wenn der Papst oder seine Interpreten (uns) sagen, daß sie vertrauensvoll annehmen, daß das, was (wir) tun schon das beste ist, das man vernünftigerweise als Gottes Willen entsprechend erwarten kann. … Kann denn Gott uns nicht von der Befolgung seiner eigenen Gesetze entbinden? Und hat Christus uns nicht gelehrt, daß die göttliche Autorität über jeder Tradition steht?

Das scheint, so vermutet Kalb weiter,  eine saubere Lösung für viele praktische Probleme zu bieten, und deshalb greifen viele moderne Kirchenvertreter diesen überaus populären Ansatz gerne auf. Allerdings ist in der damit verbundenen Geringschätzung der Widerspruchsfreiheit von Glauben und Lehre eine große Gefahr verbunden:

Wenn die Autorität des Papstes über der Tradition, der hl. Schrift und der Vernunft steht – woher kommt dann unser Vertrauen auf gerade diese Autorität? Die sichtbare Stellung des Papstes als Haupt der weltumspannenden Kirche läßt das, was er sagt, mit großer Autorität ausgestattet erscheinen. Aber dessen Kraft, im Gewissen zu binden, ist ein Ausfluß der katholischen Tradition und hängt vollständig davon ab. Und wenn ein Papst oder seine Unterstützer diese Dinge in Zweifel ziehen, dann unterminieren sie genau die Gründe, die uns veranlassen, den Papst ernst zu nehmen. Wenn der Gott der Überraschungen uns sagen kann, wir könnten seit unvordenklichen Zeiten gültige Lehren hinsichtlich des Familienlebens unbeachtet lassen, warum können wir dann nicht auch die Lehren des Papstes verwerfen?

Genau das ist die aktuelle Situation. Wenn die metaphysische Ebene erst einmal verweltlicht ist und der Mensch das, was zuvor Gott zukam, in die eigenen Hände nimmt, ist alles möglich.

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Zur Illustration verwenden wir einen Screenshot aus Kalbs Vortrag „The Challenge goes Deep“, der ähnliche Fragestellungen wie der Artikel im Crises Magazine behandelt.

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