Haben wir (k)einen Papst?
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- 19. November 2018
In den USA nehmen die Empörung, aber auch die Verzweiflung über den jüngsten Eingriff auf die Abstimmungen bei der Sitzung der Bischofskonferenz zu. Er wird bei konservativen wie Progressiven gleicherweise als Versuch gesehen, die Aufklärung der Mißbräuche zu verhindern. Und in Rom bahnt sich Unerhörtes an: Mit Msgr Nicola Bux äußert erstmals ein bedeutender Angehöriger der Kurie Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl Bergoglios zum Papst. Er schlägt allen Ernstes vor, sich von den Unerträglichkeiten dieses Pontifikates dadurch zu befreien, daß es als „ungültig von Anfang an“ betrachtet werden könne.
Doch zunächst in die USA. Die Hintergründe des vatikanischen Einspruchs erscheinen inzwischen zum guten Teil aufgeklärt – wenn man auch noch nicht genau weiß, ob die Initiative von Rom oder den beiden amerikanischen Kardinälen Wuerl und Cupich ausging, die beide beschuldigt werden, an Vertuschungsfällen beteiligt gewesen zu sein oder es generell an Aufklärungsbereitschaft fehlen zu lassen.
Stein des Anstoßes – da decken sich die Interessenlagen von Cupich/Wurl in USA und der Bergoglio-Fraktion im Vatikan – war die Tatsache, daß die Vorlage der Bischofskonferenz vorsah, eine unabhängige Untersuchungskommission einzusetzen, in der Laien eine ausschlaggebende Rolle gespielt hätten. Dabei war nicht beabsichtigt – wie jetzt von den Verteidigern des römischen Eingriffs vorgebracht wird – daß Laien über Bischöfe und Priester hätten urteilen können – das wäre nach kanonischem Recht nicht möglich. Aber die Kleriker in den Untersuchungsausschüssen hätten nicht die Möglichkeit gehabt, den zugang der Ausschüsse zu Akten und Zeugen zu kontrollieren und damit die Untersuchungsergebnisse zu manipulieren. Doch genau auf diese Machtposition wollen die Vertreter des Klerikalismus auf keinen Fall verzichten – die in den USA ebenso wenig wie die in Rom. Wie Walter Ulbricht schon 1945 sagte, als es um den „Aufbau des Sozialismus“ in der sowjetischen Besatzungszone ging: „Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben“ (Quelle).
Der erfolgreiche Einspruch aus Rom gegen die Installierung derartiger Untersuchungsausschüsse hat zunächst die Folge, daß erstmals seit vielen Jahren mehr traditionsorientierte und konservative Kreise in der US-Kirche mit der Mehrheit der Progressiven an einem Strang ziehen: Beide wollen eine möglichst rückhaltlose Aufklärung und beide befürchten, daß die jetzt bereits große Empörung bei den Gläubigen weiter zunimmt und zu unabsehbaren Konsequenzen nicht nur auf finanziellem Gebiet führen könnte.
Eine ganz besonders verhängnisvolle Folge zeichnet sich jetzt schon ab. Es hat in den USA bereits mehrfach Versuche gegeben, nicht nur einzelne Diözesen, sondern die ganze US-Kirche und auch den Vatikan und den Papst selbst der systematischen Vertuschung zu beschuldigen, für schadensersatzpflichtig zu erklären und sogar mit Amtsenthebung zu bedrohen. Amerikanische Rechtsanwälte sind nicht zimperlich, wo es um Schadensersatzforderungen (an deren Ertrag sie per Erfolgshonorar beteiligt sind) geht, und amerikanische Gerichte betrachten zunehmend die ganze Welt und auch auswärtige Staats- oder Kirchenoberhäupter als ihrer Jurisdiktion unterworfen. Nicht folgenlos, wie an vielen Embargo-Maßnahmen zu sehen.
Die bislang erfolgreiche juristische Verteidigungslinie der amerikanischen Diözesen und des Vatikans gegen derlei Versuche bestand in der Erklärung, daß die Kirche kein multinationaler Konzern ist und die Bischöfe auch keine Angestellten oder gar Befehlsempfänger des Vatikans wären. Wie die zwar konservative, aber nicht unbedingt kirchenfreundliche „Breitbart News“ jetzt groß herausgestellt haben, untergräbt Franziskus mit seiner von der Konferenz akzeptierten Weisung an die Bischöfe, keine Beschlüsse in Sachen Mißbrauchsuntersuchung zu fassen, genau diese Rechtsposition. Neue Klagewellen, diesmal gegen die US-Kirche insgesamt und den Vatikan sind zu erwarten – die finanziellen Folgen könnten desaströs sein, und die Auswirkungen auf die Struktur der verfaßten Kirche nicht nur in den USA, sondern weltweit, verheerend.
Ein Papst muß oder sollte sogar nicht soviel reisen, wie das in den vergangenen Jahrzehnten üblich wurde – aber ein Papst, der an viele Orte nicht mehr reisen könnte, weil dort Haftbefehle und Auslieferungsbegehren gegen ihn vorliegen, böte einen entschieden unerfreulichen Anblick. Der politische Papst Franziskus scheint in die gleiche Falle zu tappen, wie viele seiner Amtskollegen in der Staatspolitik auch: Sie sind so sehr daran gewöhnt, daß ihr Wille in ihrem unmittelbaren Machtberecht als Wirklichkeit gilt, daß sie nicht mehr überblicken, daß es auch andere Bereiche und andere Mächte gibt, die stärker sein könnten, als sie.
Fehlleistungen dieser potentiell überaus verhängnisvollen Art haben sich unter Franziskus und seinen 2+2=5 – Jesuiten in den letzten Jahren so sehr gehäuft, daß Msgr Nicola Bux jetzt erneut die Frage aufgeworfen hat, zu untersuchen, ob Franziskus überhaupt Papst ist. In der Nullification dieses Pontifikats sieht er die einzige Möglichkeit, die Kirche vor den verhängnisvollen Folgen der Bergoglio-Politik zu bewahren. Nicola Bux ist nicht irgend ein Monsignore, sondern war unter Benedikt Consultor der Glaubenskongregation und ist gegenwärtig Consultor der Kongregation für die Angelegenheiten der Heiligen. Ein hochgebildeter Theologe im Dienst der Kurie, der immer treu zum Lehramt gestanden hat.
In einem Interview mit dem Journalisten Aldo Valli hat er jetzt schwere Anschuldigungen gegen Franziskus erhoben: Seine „häretischen Aussagen“ zur Ehe, zu Sexualmoral und zum Sakramentenempfang brächten, ausgehend von den Ambivalenzen in Amoris Laetitae, „Spaltungen, Irrlehren und Auseinandersetzungen jeder Art“ hervor. Mit der jüngsten Änderung des Katechismus, mit der klar entgegen dem Evangelium die Zulässigkeit der Todesstrafe generell verneint werde, sei eine neue Stufe erreicht. „Nun müssen wir entweder zugeben, daß die Kirche zweitausend Jahre lang eine Lehre gegen das Evangelium gepredigt hat – oder daß Papst Bergoglio sich geirrt hat.“
Im Prinzip begrüßt Bux zwar die bereits vor einiger Zeit ergangene Aufforderung von Kardinal Brandmüller an Franziskus, der Papst möge in einer klassischen „professio fidei“ seine Treue zum Glauben eindeutig zum Ausdruck bringen. Er glaube jedoch nicht, daß das angesichts des von Franziskus propagierten Kirchenbilds einer lockeren Verbindung unterschiedlicher Gemeinschaften viel bewirken könne. Bux zeigt sich in dem aktuellen Interview überzeugt, daß Franziskus mit seinen bisherigen Aussagen vielfach den Raum der kirchlichen Lehre verlassen habe und seinem Amt untreu geworden sei, das ihn zur Weitergabe und Bewahrung der Lehre verpflichte und keine Veränderung erlaube. Eine Beweisführung, die es im Sinne des hl. Robert Bellarmin erlaube, den Amtsverlus eines „papa haereticus“ festzstellen, sei jedoch angesichts des desolaten Standes der gegenwärtigen Theologie, in der jede Aussage ebenso gültig sein könne wie deren Verneinung, überaus schwierig.
Stattdessen schlägt er vor, die Umstände der Abdankung von Papst Benedikt 2013 noch einmal zu überprüfen, um festzustellen, ob Franziskus überhaupt rechtmäßig ins Amt gekommen sei und seine Verlautbarungen und Erlasse rechtliche Bindungswirkung haben könnten. Es sei nach wie vor ungeklärt, inwieweit die Amtsniederlegung Benedikts tatsächlich freiwillig erfolgt sei. Und die aus dem Umfeld des Papa Emeritus lancierte Version von einer Art kollegialem Doppelpapsttum werfe auch gerade in dieser Hinsicht mehr Fragen auf, als sie beantworte. „Von daher glaube ich, daß eine sorgfältige Untersuchung der Abdankung nützlicher und mehr zielführend sein würde und es uns ermöglichen könnte, Probleme zu überwinden, die uns heute unüberwindlich erscheinen“.
Das ist, unabhängig von allen Chancen zur praktischen Umsetzung, ein atemberaubender Gedankengang. Offenbar hält Msgr Bux es für möglich, daß derzeit im Vatikan ein Mann regiert, der nicht berechtigt ist, den Titel des Bischofs von Rom zu führen. Unabhängig davon, ob und wieweit man diesen Gedankengang mitvollzieht: Ein schwärzeres Zeugnis für die Tiefe der aktuellen Krise ist kaum denkbar.