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Rom sucht den Erlöser

Erstellt mit www.wordle.netEine „kopernikanische Wende“ in der Kirche hat der australische Erzbischof Coleridge auf der römischen Mißbrauchskonferenz gefordert. Wenn wir die Dinge recht sehen, hat er sie bekommen: Stand für die Kirche der Vergangenheit Gottes Gebot und das Erlösungswerk Christi im Zentrum, so scheint an zentraler Stelle jetzt das Urteil der Welt zu stehen, und der neue Erlöser ist das „heilige Volk Gottes“, das nach der Schlußrede von Papst Franziskus „uns vom Übel des Klerikalismus befreien (wird), der den fruchtbaren Boden für all diese Gräuel bildet“.

Das Urteil der Welt: Der Gegenstand der Konferenz war von vornherein strikt eingeschränkt auf das, was auch nach den staatlichen Gesetzen der meisten Staaten verwerflich und strafbar ist: Der sexuelle Mißbrauch Minderjähriger. Von allen anderen Übeln der Unzucht, die ebenfalls in Teilen des Klerus grassieren, wie Ehebruch und praktizierter Homosex, durfte nicht gesprochen werden. Statt dessen widmete Franziskus einen großen Teil seiner Abschlußrede der Anprangerung von Mißbrauchsvergehen wie sie in buchstäblich allen gesellschaftlichen Bereichen vorkommen – vom Sextourismus bis zum Mißbrauch in der Familie. Nicht völlig grundlos wurde das vielfach als Versuch wahrgenommen, den Skandal des Mißbrauchs in der Kirche zu relativieren.

Dem Urteil der Welt unterwarfen sich die bisher bekanntgewordenen Wortmeldungen und vor allem Franziskus selbst auch in der Wahl der Maßstäbe, die sie zur Bewertung von sexuellem Fehlverhalten heranzogen. Von Gottes Geboten, gegen die die sündigenden Diener Gottes so skandalös verstoßen, ist praktisch nirgendwo die Rede. Tatsächlich kommt das Wort „Sünde“ z.B. in der Abschlußrede des Papstes nur ein einziges Mal vor. Von Gottes Gebot wird überhaupt nicht gesprochen, ebensowenig spielen Begriffe wie „Unzucht“ oder der Komplementär „Keuschheit“ eine Rolle – es wird alles vermieden, was darauf hindeutet, daß das Fehlverhalten vieler Kleriker im Zusammenhang mit der gesamtgesellschaftlichen Verwahrlosung der „sexuellen Revolution“ stehen könnte. Tatsächlich erwecken die krampfhaften Versuche, um den rosa Elephanten im Konferenzsaal, die grassierende praktizierte Homosexualität, herumzureden, den Eindruck, als bereite man sich darauf vor, aus dieser gesellschaftlichen Entwicklung neue moralische Maßstäbe auch für die Kirche abzuleiten. Als ob „Einvernehmlichkeit“ für die Sexualmoral der Kirche jemals ein Kriterium gewesen wäre. Ein logischer Endpunkt für Jahrzehnte fehlgeleiteter „Öffnung zur Welt“.

Der Verlust des Zentrums: Offenbar herrscht hier weitgehende Blindheit gegenüber der Tatsache, daß Unzucht jeder Art generell gegen Gottes Gebote verstößt und nicht nur unter dem Aspekt (vermeintlicher) Sozialverträglichkeit gesehen werden kann. Auch hier scheint sich die horizontale Dimension, die Verengung der Sicht auf die soziale Ebene gegenüber der Vertikalen, die stets die Übernatur und letztlich Gott selbst im Blick hat, durchzusetzen. Besonders deutlich wird das bei den in Rom zur Zurückdrängung der Mißstände diskutierten Maßnahmekatalogen, die sich so oder sehr ähnlich jedes Unternehmen und jede Behörde auch geben könnten: Transparenz, sauberer Umgang mit den Akten, Verwaltungsgerichtsbarkeit und nicht zuletzt großzügige Entschädigung der Opfer - das bleibt alles im horizontalen Bereich. Nur ganz selten öffnet sich ein Blick auf die übernatürlichen Bedingungen, etwa wenn Franziskus im Zusammenhang mit der Priesterausbildung (Punkt 4 der Prioritätenliste der Schlußansprache) unvermittelt anmerkt:

Den geeigneten Kandidaten muss ein ausgewogener Ausbildungsweg geboten werden, der auf Heiligkeit ausgerichtet ist und die Tugend der Keuschheit miteinschließt.

Doch das bleibt eine Ausnahme, und der von Franziskus zur Erklärung der Mißstände mehrfach bemühte Verweis auf den Satan und das „Geheimnis des Bösen“ ist nicht geeignet, dem entgegenzuwirken. Zumindest solange nicht, wie der Verweis auf den Teufel in einem Gestus des „da kann man halt nichts machen“ daherzukommen scheint und ohne den Hinweis auf die Mittel bleibt, die der Kirche zur Eindämmung des teuflischen Wirkens und zur Ausrichtung auf die Heiligkeit zu Gebote stehen. Näheres nachzulesen etwa beim hl. Pfarrer von Ars, der sich freilich im „zeitgemäßen“ Klerus als Vorbild keiner großen Beliebtheit erfreut.

Einen absurden Höhepunkt erreicht die Verengung des Blickfeldes auf die Horizontale in der von Franziskus u.W. hier erstmalig so vorgetragenen Wendung vom „heiligen Gottesvolk“ das nachgerade die Züge eines „Ersatzchristus“ anzunehmen scheint:

Das heilige und geduldige gläubige Volk Gottes, das der Heilige Geist trägt und lebendig macht, ist das beste Antlitz der prophetischen Kirche, die es versteht, beim täglichen Einsatz ihren Herrn in die Mitte zu stellen. Eben dieses heilige Volk Gottes wird uns vom Übel des Klerikalismus befreien, der den fruchtbaren Boden für all diese Gräuel bildet.

Als ob dieses „heilige Gottesvolk“ nicht auch selbst – teils aus eigener Schwäche, teils auch wegen Vernachlässigung durch die Hirten – längst zu großen Teilen von den Übeln befallen wäre, die hier hinter dem durch und durch irreführenden Wort vom Klerikalismus versteckt werden: Die Anerkennung der „Früchte“ der „sexuellen Revolution“ als neue gesellschaftliche Leitlinie. Doch es gibt nur den einen Erlöser – und der offenbart sich beim Blick aus der Horizontalen nach oben.

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Eine hervorragende Hintergrundanalyse zur aktuellen Auseinandersetzung um die Moraltheologie gibt A. Cagliarducci in Monday Vatican, deutsch beim Beiboot Petri. Wie so oft bei A.C. hervorragend in der Analyse, aber schwach bis Fehlanzeige in der Entwicklung einer klaren Position.

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