Bereichsnavigation Themen:

Benedikt spricht

Bild: Vatican MediaIn einem 'offenen Brief', der heute von mehreren Medien veröffentlicht wurde, hat sich Josef Ratzinger/Papst Benedikt zur aktuellen Krise der Kirche geäußert. Dabei greift er weit über den aktuellen Anlaß der Abwehr von sexuellem Mißbrauch hinaus, indem er dessen Ursachen benennt: Eine Kirche, die es verlernt hat, von Gott als dem einzigen Ursprung und Ziel des Lebens zu sprechen, und eine Theologie, insbesondere Moraltheologie, die sich im Gefolge der „sexuellen Revoulution“ weitgehend von den Geboten Gottes emanzipiert hat und im Sumpf des Relativismus untergegangen ist. Das Irrlicht des „Klerikalismus“, den die Feinde der Kirche als Ursache des Mißbrauchs anführen, würdigt der Ex-Papst keines Wortes, und die Forderung, jetzt ganz neu anzufangen und eine neue Kirche zu schaffen, fertigt er mit einem kurzen Satz ab: „Nun, dieses Experiment ist bereits gemacht worden und bereits gescheitert.“ Insgesamt unterscheiden sich seine klaren Ausführungen überaus deutlich vom Stil seines Nachfolgers und dessen Hofschranzen, die sich einer bewußt unklaren und Zweifel provozierenden Redeweise bedienen, die Lehre und Tradition der Kirche auch da unterminiert, wo sie ihnen nicht direkt zu widersprechen scheinen.

Der lange Text (fast 20 Seiten Standard-Format) ist in drei Hauptabschnitte eingeteilt. Der erste Abschnitt zeichnet – mit Schwerpunkt auf Ratzingers in Deutschland erworbenen Erfahrungen – eine kurze Geschichte der „sexuellen Revolution“ und des bis zur bedingungslosen Kapitulation gehenden Versagens der Moraltheologie vor den damit verbundenen Herausforderungen. Ratzinger unterscheidet hier ganz klar zwischen einer naturrechtlich begründeten „vorkonziliaren“ Moraltheologie und dem in den 60er Jahren einsetzenden Verfall, dessen Zusammenhang mit dem Konzil er mit den schonenden Worten beschreibt: „Im Ringen des Konzils um ein neues Verstehen der Offenbarung wurde die naturrechtliche Option weitgehend abgelegt.“ Das ist jedenfalls kritischer als die früher von ihm vorgenommene Unterscheidung zwischen dem „guten“ Konzil in der Peterskirche und dem „verzerrten“ Konzil in Presse und Rezeption.

Ausdrücklich erwähnt Benedikt in diesem Zusammenhang die „Kölner Erklärung“ von 1989, die er als einen „Aufschrei gegen das kirchliche Lehramt“ bezeichnet. Mit Nachdruck unterstreich er die Bedeutung der Enzyklika Veritatis Splendor Johannes Pauls II. Von 1993, die dem moralischen Relativismus eine klare Absage erteilt, und führt im Anschluß daran aus: „Es gibt Werte, die nie um eines noch höheren Wertes wegen preisgegeben werden dürfen und die auch über dem Erhalt des physischen Lebens stehen. Es gibt das Martyrium. Gott ist mehr, auch als das physische Überleben.“ Nur von dieser Einsicht her ist christliches Leben möglich. Hier geht es weiter

Der zweite Abschnitt widmet sich Auswirkungen der – durch das Versagen der Moraltheologen auch in der Kirche virulent gewordenen - „sexuellen Revolution“ auf das Leben der Kirche. Ratzinger skizziert das Eindringen und die Zulassung eines sexualisierten und vielfach homosexuellen Lebensstils in die Priesterseminare und übt dabei heftige Kritik an der Praxis der Bischöfe: „Da nach dem II. Vaticanum auch die Kriterien für Auswahl und Ernennung der Bischöfe geändert worden waren, war auch das Verhältnis der Bischöfe zu ihren Seminaren sehr unterschiedlich. Als Kriterium für die Ernennung neuer Bischöfe wurde nun vor allen Dingen ihre "Konziliarität" angesehen, worunter freilich sehr Verschiedenes verstanden werden konnte. In der Tat wurde konziliare Gesinnung in vielen Teilen der Kirche als eine der bisherigen Tradition gegenüber kritische oder negative Haltung verstanden, die nun durch ein neues, radikal offenes Verhältnis zur Welt ersetzt werden sollte". 

Einen eignen Unterabschnitt widmet Ratzinger hier den Schwierigkeiten der Kurie, einen Weg zum Umgang mit dem zunächst in den USA aufgebrochenen Problem der Pädophilie zu finden – eine Problematik, mit der er als seinerzeitiger Präfekt der Glaubenskongregation an maßgeblicher Position befaßt war, da die an sich zuständige Kleruskongragation aufgrund von auf das Konzil zurückgeführten irrigen Positionen nicht dazu in der Lage war: „Als ‚konziliar‘ galt nur noch der sogenannte Garantismus. Das heißt, es mußten vor allen Dingen die Rechte der Angeklagten garantiert werden und dies bis zu einem Punkt hin, der faktisch überhaupt eine Verurteilung ausschloß.“ Aus dieser Erfahrung zieht er eine auch für die Gegenwart höchst bedeutsame Konsequenz: „Ein ausgewogenes Kirchenrecht, das dem Ganzen der Botschaft Jesu entspricht, muß also nicht nur garantistisch für den Angeklagten sein, dessen Achtung ein Rechtsgut ist. Es muß auch den Glauben schützen, der ebenfalls ein wichtiges Rechtsgut ist. … Wenn man heute diese in sich klare Auffassung vorträgt, trifft man im allgemeinen bei der Frage des Schutzes des Rechtsgutes Glaube auf taube Ohren.“

Den dritten Abschnitt widmet der ehemalige Papst der Frage: „Was müssen wir tun?“. Seine Antwort greift unmittelbar auf den traditionellen Katechismus und dessen Eingangsfrage „Wozu sind wir auf Erden?“ zurück. Gottes Liebe hat zwar der Welt den Weg zur Erlösung geöffnet, aber gehen muß jeder diesen Weg selbst: „Unser Nichterlöstsein beruht auf der Unfähigkeit, Gott zu lieben. Gott lieben zu lernen, ist also der Weg der Erlösung der Menschen.“ Dem folgt eine Grundkatechese in das Wesen des Christentums, wie sie in dieser Knappheit und Prägnanz wohl nur ein Ratzinger geben kann. Ausdrücklich erwähnt der Ex-Papst hier die zentrale Stellung der Feier der heiligen Eucharistie – und die große Besorgnis, die der heutige Umgang mit diesem Sakrament erwecken muß. Dabei spricht er nicht nur von der Zerstörung des Geheimnisses in der Liturgie, sondern benennt ausdrücklich auch die Verkennung des Wesens dieses Sakraments durch diejenigen, die darin nur noch eine „zeremonielle Geste“ sehen, zu der jedermann Zugang haben soll. Die Rückgewinnung des wahren Verständnisses der Eucharistie und ihrer Feier muß im Zentrum jeder Erneuerung stehen.

Ein weiterer Gedanke dieses dritten Teils ist die Kritik an der immer weiter um sich greifenden Tendenz, die Kirche nur noch als eine Art politischen Apparat zu begreifen. Erst diese Sichtweise schafft Raum für das ebenfalls politisch vorgetragene Verlangen, als Antwort auf den Skandal des sexuellen Mißbrauchs eine „neue Kirche“ zu schaffen. „Aber eine von uns selbst gemachte Kirche kann keine Hoffnung sein.“

In den letzten Absätzen des Textes stellt Joseph ‚Benedikt‘ Ratzinger die gegenwärtige Passion der Kirche mit Verweisen auf das Buch Hiob und die Offenbarung des hl. Johannes in eine kosmische Perspektive.

In der Apokalypse wird uns das Drama des Menschen in seiner ganzen Breite dargestellt. Dem Schöpfergott steht der Teufel gegenüber, der die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung schlechtredet. Der sagt nicht nur zu Gott, sondern vor allen Dingen zu den Menschen: Seht euch an, was dieser Gott gemacht hat. Angeblich eine gute Schöpfung. In Wirklichkeit ist sie in ihrer Ganzheit voller Elend und Ekel. Das Schlechtreden der Schöpfung ist in Wirklichkeit ein Schlechtreden Gottes. Es will beweisen, daß Gott selbst nicht gut ist und uns von ihm abbringen.

Die Aktualität dessen, was uns hier die Apokalypse sagt, ist offenkundig. Es geht heute in der Anklage gegen Gott vor allen Dingen darum, seine Kirche als ganze schlechtzumachen und uns so von ihr abzubringen. Die Idee einer von uns selbst besser gemachten Kirche ist in Wirklichkeit ein Vorschlag des Teufels, mit dem er uns vom lebendigen Gott abbringen will durch eine lügnerische Logik, auf die wir zu leicht hereinfallen.“

*

Den vollständigen Text der Intervention Benedikts bieten u.A. CNA Deutsch und kath.net.

Zusätzliche Informationen