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Die Klage der verwüsteten Kirche

Bild: Ilja Efimowitsch Repin, 1884-1930, Wikimedia,commonsDas Breviarium Romanum liest in der ersten Nokturn des Gründonnerstags - also zum Beginn der drei eigentlichen Passionstage - seit Alters her die Lamentationes Jeremiæ - eines Klageliedes auf die Zerstörung Jerusalems im 6. Jahrhundert v. Chr. Die Strophen des Liedes sind nach den ersten Buchstaben ihrer Anfangsworte nach dem hebräischen Alphabet geordnet. Die Kirche hat das von Jeremias beweinte Jerusalem stets als Bild und Gleichnis für den leidenden Christus und seine in ihm und mit ihm leidende Kirche verstanden. Das verleiht der Klage des Jeremias gerade heute ihre bestürzende Aktualität - eine Aktualität, die dadurch noch unterstrichen wird, daß dieses Klagelied in der modernen Liturgia Horarum bis auf einen fakultativ gestellten kleinen Rest an anderer Stelle gestrichen worden ist.

Aleph:
Ach, wie liegst Du einsam da, einst so volkreich,
Die Herrin der Völker ist gleichsam zur Witwe geworden,
die Fürstin vieler Lande zahlt nun Anderen Tribut.

Beth:
Betrübt weint sie die ganze Nacht hindurch,
die Tränen laufen ihr über die Wangen,
und keiner von denen, die ihr einst lieb waren, tröstet sie.
All ihre Freunde verachten sie
und sind ihr zu Feinden geworden.

Ghimel:
Gebunden und fortgeführt wird Juda wegen seiner Sünden,
in harter Knechtschaft wohnt es unter den Heidenvölkern
und findet keine Ruhe, all seine Verfolger
machen sich in seiner Bedrängung über es her.

Daleth:
Die Straßen nach Sion trauen,
denn keiner kommt mehr zu seinen Festen.
Seine Tore sind sämtlich niedergerissen,
Seine Priester klagen,
seine Jungfrauen sind weggeführt und verstummt,
Die ganze Stadt von bitterer Schmach niedergedrückt.

He:
Herr über sie sind nun ihre Gegner geworden,
Ihre Feinde haben sich gemästet,
denn der Herr hat über sie sein Urteil gesprochen
wegen ihrer vielen Sünden.
Ihre Kinder werden vor dem Verfolger in Gefangenschaft getrieben.

Vau:
Verloren hat die Tochter Sions all ihren Schmuck.
Ihre Fürsten sind wie Widder, die keine Weide finden,
und kraftlos fliehen vor dem Angesicht ihrer Verfolger.

Zain:
Jerusalem erinnert sich an die Tage
der Demütigung und der Vertreibung,
gedenkt all der Reichtümer, die sie in alten Tagen besaß,
als ihr Volk dem Feind in die Hände fiel und keiner half,
als die Feinde lachten und über ihren Sabbat spotteten.

Heth:
Sünden über Sünden hat Jerusalem auf sich geladen,
Daher ist sie ins Wanken geraten.
Alle, die sie einst verehrten, demütigen sie nun,
denn sie haben ihre Blöße gesehen -
und sie selbst wendet sich seufzend ab.

Teth:
Ihr Schmutz klebt ihr an den Füßen,
denn sie war nicht auf das Ende bedacht,
nun ist sie tief gestürzt, und keiner tröstet sie.
Sieh an meine Not, oh Herr,
Der Feind hat sich erhoben.

Jod:
Der Feind streckt seine Hände aus
nach all ihren Reichtümern,
sie muß mit ansehen, wie die Heiden
in ihr Heilgtum einbrechen,
die doch nach Deinem Gebot
nie in Deine Gemeinde eindringen sollten.

Caph:
All ihr Volk stöhnt und sucht nach Brot,
ihren höchsten Besitz geben sie her für Essen,
um das bloße Leben zu erhalten –
sieh Herr, und bedenke,
wie tief ich gesunken bin.

Lamed:
Ihr alle, die ihr vorübergeht am Wege:
Schauet hin, ob es einen Schmerz gibt,
der meinem Schmerz gleicht,
denn völlig zu Boden geschmettert hat mich der Herr
am Tag, da sein Zorn ergrimmte.

Mem:
Aus der Höhe schickte er mir Feuer in meine Gebeine
und hat mich gezüchtigt.
Er schlang ein Netz um meine Füße und stieß mich von sich.
Preisgegeben hat er mich und vernichtet,
so daß ich nun voll Trauer bin alle Tage.

Nun:
Er ist gewahr geworden meiner Missetaten -
Er hat sie zusammengebunden zu einem Joch,
das er auf meinen Nacken gelegt hat.
All meine Kraft ist nun von mir gewichen.
Der Herr hat mich in eine Hand gegeben,
aus der ich nicht mehr hoch kommen kann.

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