Kahlschlag am Amazonas
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- 18. Juni 2019
Das Instrumentum Laboris für die Amazonas-Synode ist nun heraus und hat beträchtliche Aufregung ausgelöst – scheint es doch viele der progressistischen Forderungen zu erfüllen, von denen seit längerem die Rede ist. Wir werden seine inhaltlichen Schwerpunkte der Reihe nach abklopfen und beginnen mit dem Reizthema Nr. 1: Dem Zölibat. Zwar ist im Dokument nur vom Amazonasbecken und seiner (angeblich) ganz besonderen Notlage die Rede sowie davon, es gehe um Ausnahmeregeln für seltene Sonderfälle – aber wir wissen ja, wie solche „Ausnahmeregeln“ funktionieren: Nach spätestens einem Jahrzehnt ist das, was früher geboten war, eine seltene Ausnahme, und nach einem weiteren ist das ehedem einzig Gültige praktisch so gut wie abgeschafft oder gar verboten. Insoweit ist die Aufregung also verständlich – wirklich von der Sache her begründet ist sie weniger - zumindest was die Theologie und Ecclesiologie betrifft.
Es gibt bereits heute (und gab in sehr kleiner Zahl wohl immer) auch in der katholischen Kirche verheiratete Männer, die im Rahmen der Gesetze zu Priestern geweiht werden und ihr Amt tadellos versehen. Gegenwärtig ist der gesetzliche Rahmen allerdings recht eng gezogen: Nur verheiratete Männer, die vor ihrer Konversion ordinierte Geistliche einer Gemeinschaft aus der Reformation waren, können ein entsprechendes Gesuch einreichen. Das ist in der Tat eine klar umrissene Ausnahmeregelung – aber ihre Existenz beweist, daß die Kirchen Weihekandidaten vom Gebot der Ehelosigkeit dispensieren kann, wo sie das für sinnvoll und geboten hält. Die Dogmatik und der Kern der Lehre sind zunächst nicht berührt.
Mit dem „sinnvoll und geboten“ nähern wir uns allerdings der Sphäre der Kirchenpolitik, und da sehen die Dinge schon ganz anders aus.
Hier bedeutete jede „Liberalisierung“ zunächst einmal ein verheerendes Signal für das Einknicken vor den Forderungen der „sexuellen Revolution“ und anderer Zeitgeister. Die Aufhebung der Pflicht zum Zölibat hätte darüber hinaus auch unerwünschte „personalpolitische“ Auswirkungen. Sie würde zunächst einmal einer bedeutenden Zahl von Personen den Weg zum Priesteramt öffnen, die ausweislich ihrer bisherigen Lebensweise eben nicht zu einer „Ganzhingabe“ und vollen Identifikation mit Christus bereit waren. Was die Relativierung dieser Forderung im Zusammenhang mit der Öffnung der theologischen Lehrstühle für nicht geweihte Personen vielfach bedeutete, ist am Niedergang der katholischen Universitätstheologie zu beobachten. Einen weiteren Hinweis kann die „pastorale Praxis“ vieler heute als Seelsorger tätigen Gemeindereferent*innen geben.
Letzten Endes würde allerdings die Abschaffung des Zölibats, wie am Beispiel protestantischer Gemeinschaften zu sehen ist, weder die Gefahr des sexuellen Mißbrauchs noch den Seelsorgermangel verringern. Er würde nur zusätzliche Probleme bereiten: Was tun, wenn „Priesterehen“ scheitern? Könnten verheiratete Priester auch zu Bischöfen geweiht werden ? Das würde einen weiteren Abbruch von Gemeinsamkeit mit den Kirchen des Ostens bedeuten.
Und das wären nur die „großen“ Probleme, die aus einer Aufhebung der Zölibatspflicht resultieren würden. Für Pastoral und Gemeindepraxis noch einmal viel gravierender wären die – nennen wir es einmal „Alltagsprobleme“ – die dazu führen könnten, daß nur noch die Nachteile, aber nichts von den erwarteten und versprochenen Vorteilen der Maßnahme in der Realität ankämen. Die hierzulande propagierte Erwartung, verheiratete Priester könnten neuartige Formen des Zusammenwirkens von Priester und Gläubigen in der Gemeinde hervorbringen, ist wohl eher eine Illusion. Ester vom Beiboot Petri betrachtet das ganze aus einer unideologisch-praktischen Perspektive und kommt zu ernüchternden Befunden. Leseprobe:
Nun sollen aber, wenn ich das richtig kapiere, die Laien, das sind die, die sich noch nicht mal mehr, einfach weil es nicht geht, um die eigenen Leute kümmern können, aber dem Pfarrer die Arbeit machen, weil der Herr Pfarrer, sich ja nun um die eigenen Leute (Frau, Kinder) kümmern können soll. (…)
Interessant finde ich im Zusammenhang auch, dass das jahrzehntelange Trommelfeuer, bezüglich der ekklsiogenen Neurosen und all die Literatur darüber, wie es ist, sein Familienleben auf dem Präsentierteller der Gemeinde zu leben, irgendwie plötzlich nie geschrieben worden ist, sondern man davon ausgeht, dass das was für normale Menschen harte Aufgabe ist, nämlich das Familienleben zu leben, für die Priester reine Quelle der Freude, Kraft und Stärke ist.
Nein, mit der List, sich quasi als Beifahrer der Amazonassynode vom ungeliebten Zölibat zu befreien, wird die deutschkatholische Kirche dem Niedergang nicht wehren können. Der ist darin begründet, daß Klerus und Episkopat dem gesamtgesellschaftlich begründetenen Glaubensverlust, nicht entgegentreten, sondern ihn opportunistisch nachvollziehen. Teile der Organisationsstruktur, den Sozialkonzern und eine Menge Arbeitsplätze wird man mit Modernisierungen vom Typ Amazonas sogar erhalten können – eine Zeit lang. Aber wenn dann alle Kompromisse eingegangen und alle Unverfügbarkeiten aufgegeben sind, wird diese Gesellschaft kühl befinden, daß sie für den Rest von Kirche keinen Bedarf mehr hat – ihre Funktionäre können das besser. Spätestens dann wird es in der kirchlichen Landschaft Mitteleuropas ähnlich aussehen wie in der vom Kahlschlag verwüsteten Landschaft Amazoniens.