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Theologen und Theologie ohne Gott

Bild: Wikimendia - gemeinfreiWir erinnern uns: als der Palast von Sa. Marta und viele Bischöfe – die deutschen waren dabei besonders lautstark – die homosexuellen und pädophilen Mißbräuche in der Kirche auf das Phänomen eines nicht näher beschriebenen „Klerikalismus“ zurückführen wollten, widersprach unüberhörbar Benedikt XVI. In seiner international, vor allem aber in Deutschland stark beachteten Stellungnahme erklärte der ehemalige Papst, daß die längst auch in die Kirche eingedrungene Gottlosigkeit der Gesellschaft in der 2. Hälfte des 20. Jh. die Hauptursache dafür sei, daß sexueller Mißbrauch ein solches nie vorher beobachtetes Ausmaß erreichen könnte. Als besondere Ursachen benannte Benedikt die in der 68er-Bewegung vorangetriebene und schließlich als gesellschaftliches Leitbild etablierte „sexuelle Revolution“, durch die auch in der Priesterschaft verfehlte Vorstellungen von „sexueller Freiheit und Selbstbestimmung“ Eingang gefunden hätten. Ausdrücklich erwähnte er auch die Tatsache, daß in verschiedenen Priesterseminaren quasi unter den Augen der Bischöfe „homosexuelle Clubs“ entstanden waren, die dort eine verderbliche Atmosphäre erzeugten.

Dieser mehrfache Tabubruch – negative Benennung der „sexuellen Revolution“ und der „68-er Bewegung“, ausdrückliche Erwähnung des homosexuellen Elements – löste bei denen, die ihr „Klerikalismus“-Framing gefährdet sahen, wütende Reaktionen aus. Besonders bei den nicht ohne Zutun der Bischöfe als Lebenszeitbeamte wohlversorgten Hochschullehrern, die sich seit Jahren als „Dekonstruktivisten“ der kirchlichen Lehre auf allen Gebieten betätigen. Der Freiburger Fundamental“theologe“ Striet nannte die Analyse Benedikts in einem Beitrag für katholisch.de geradeheraus „absurd“ und wiederholte noch einmal den ganzen Katalog der Vorwürfe gegen die authentische katholische Sexualmoral und kam zu dem – in seinen Augen für diese offenbar vernichtenden – Verdikt: „Ich bin mir relativ sicher, dass in den Human- und Sexualwissenschaften schon lange keine Texte mehr gelesen werden, die aus Rom kommen. Solche Aussagen würden auch schlicht als grotesk zurückgewiesen werden.“ Wir lesen das freilich als Selbstanzeige: Der Herr pfeift auf die Lehre der Kirche – und ist stolz darauf.

Die Historikerin Birgit Aschmann, die zwar nicht an einer theologischen Fakultät beschäftigt ist, aber seit Jahren dem sog. „Zentralkomitee“ der deutschen Katholiken angehört, veröffentlichte im Juli in den „Stimmen der Zeit“ des Herder-Verlages einen Artikel „Das wahre katholische Leiden an 1968“. (Der Text ist beim Verlag gegen Gebühr abrufbar) Darin versuchte sie, die Kritik Benedikts an „68“ mit einem in ihren Augen wohl geradezu idyllischen Gegenbild des damaligen Umbruchs zu widerlegen. „Mehrheitlich“, so meint sie, „wollten die Bundesbürger weder Revolution noch Gewalt. Stattdessen plädierten sie für die Auflösung von Autoritätsmodellen, setzten sich für demokratische Alltagsstrukturen ein und zeigten eine höhere Sensibilität für Geschlechtergerechtigkeit.“ Und dann kommt sie zu einer aparten Wendung: „Womöglich lag das eigentliche, langfristige Problem der Kirche (...) in einer lehramtlich extrem weltfremden, restriktiven Haltung, die nachgerade zwangsläufig Inkohärenzen und Widersprüche provozierte.“

Als prägnantesten Ausdruck dieser „weltfremden restriktiven Haltung“ benennt sie die Enzyklika „Humanae vitae“ und ihre Folgen. Die mit der Enzyklika bekräftigte Realitätsverweigerung habe – so vermutet die Autorin - den emotionalen Haushalt von Laien und dann auch von Priestern total ins Ungleichgewicht gebracht, „Die Frustration zum einen und die Sprachunfähigkeit zum anderen könnten die Hemmschwellen von Priestern gesenkt haben, sexuelle Kontakte zu anderen Männern, Frauen ‒ und auch Kindern zu suchen.“

Darauf muß man erst mal kommen.

Der ehemalige Papst hat nun in einer der Herder Korrespondenz zugeleiteten und soeben veröffentlichten Stellungnahme auf diese Art von „wissenschaftlicher“ Kritik an seiner Intervention geantwortet. Den Beitrag Aschmanns nennt er „ungenügend und typisch für das allgemeine Defizit in der Rezeption meines Textes“ und stellt fest, „dass auf den vier Seiten des Artikels von Frau Aschmann das Wort Gott nicht vorkommt, das ich zum Zentralpunkt der Frage gemacht habe“.

Nun ist Frau Aschmann freilich keine Theologin, sondern „nur“ Mitglied im Zentralkomitee – und in dem spielt der Glaube an Gott schon seit längerem keine wahrnehmbare Rolle. Doch das ist in Benedikts Augen typisch für viele Sprecher des offiziellen Katholizismus in Deutschland – auch die an theologischen Fakultäten: „Soweit ich sehen kann, erscheint in den meisten Reaktionen auf meinen Beitrag Gott überhaupt nicht, und damit wird genau das nicht besprochen, was ich als Kernpunkt der Frage herausstellen wollte. (... Das) zeigt für mich die Ernsthaftigkeit einer Situation auf, in der das Wort Gott in der Theologie sogar vielfach am Rand zu stehen scheint.“
Das ist ein strenges Verdikt – es läuft letzten Endes darauf hinaus, daß der Mann, der über zwei Jahrzehnte als Präfekt der Glaubenskongregation amtierte und dann bis zu seiner – uns nach wie vor unverständlichen – Abdankung selbst 8 Jahre lang den Stuhl Petri innehatte, die deutsche Universitätstheologie in großen Teilen der Gottlosigkeit beschuldigt.

Diese Beschuldigung hat bereits weitere wütende Gegenreaktionen hervorgerufen, auf die noch einzugehen sein wird.

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