Ein amazonischer Traum
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- 13. November 2019
Nachdem Lifesite-News in der letzten Woche eine inhaltlich zuverlässigere und vor allem vollständige Übersetzung des Schlußdokuments der Amazonas-Synode vorgelegt hat, können wir daran gehen, die von den Synodalen getroffenen Aussagen einer näheren Würdigung zu unterziehen. Das Dokument zerfällt – ganz grob gesprochen – in zwei Teile: Die ersten etwa 90 Kapitel zeichnen das Bild der Verfasser von der Lebenswelt der Amazonas-.Bewohner – vorwiegend soziologisch gesehen, aber auch in seinen spirituelllen Seiten. Bereits hier ist schwer zu unterscheiden, was Beschreibung der Wirklichkeit – immer so, wie die Verfasser sie sehen – ist, und was ihre Projektionen sind, die sie der gesellschaftlichen Realität von heute überlagern oder die sie sich für deren zukünftige Entwicklung ausgedacht haben. Dieser größere Teil enthält nicht weniger als einen Abriß der von den Autoren propagierten Theologie mit amazonischem Gesicht – deren Analyse wird uns vermutlich noch auf Jahre hinaus beschäftigen, zumal unübersehbar ist, daß viele darin ein Vorbild für die religiöse Entwicklung der ganzen Welt sehen. Hier hängt alles davon ab, wie weit und in welcher Form diese Überlegungen in das zu erwartende päpstliche Dokument über die Synode eingehen.
Das letzte Viertel des Textes – also die Abschnitte 90 – 120 enthalten in etwas konkreterer Form Aussagen darüber, wie sich die Autoren Organisation und Struktur ihrer Kirche der Zukunft vorstellen. Auch hier bleibt noch vieles im Ungefähren, aber immerhin wird erkennbar, daß diese Kirche in Überlagerung der bestehenden kirchlichen und staatlichen Strukturen eine eigene synodale Organisation (112) auf mehreren Ebenen, eine eigene Universität und eigene Studiengänge ( 114) sowie und einen (oder mehrere) eigene Riten und Rechtsformen (116,117) erhalten soll. Am konkretesten an dem hier gezeichneten Zukunftsbild sind die in den Abschnitten 93 - 111 vorgetragenen Überlegungen zu neuen kirchlichen Ämtern für Laien. Dabei lassen wir hier zunächst die des dort auch in der Übersetzung noch durchscheinenden schwülstigen Jargons der „Theologie mit amazonischem Gesicht“ außer acht und konzentrieren uns auf den Kern des Gesagten. Er besteht, kurz vorweggenommen darin, daß die Kirche der Zukunft nicht mehr als Einsetzung von Oben erscheint, sondern als Ausdruck der Selbstorganisation eines von weltlicher und religiöser Fremdbestimmung befreiten „Gottesvolkes“.
Ganz wichtig dabei ist die starke Aufwertung der Rolle der Laien. Der Bischof soll dort, wo keine Priester vorhanden sind, Gemeindemitglieder (selbstverständlich Männer und Frauen), die aus dem Leben am Ort hervorgegangen sind, mit den Aufgaben der Seelsorge und Gemeindeleitung (96) betrauen. Diese Positionen sollen zur Vermeidung von Vettern- und Günstlingswirtschaft rotierend besetzt werden.Zur Erhöhung ihrer Autorität sollen die Bischöfe die Laienpastoren gegenüber der Gemeinde, aber auch weltlichen Instanzen, durch einen „rituellen Akt“ beglaubigen. Die Letztverantwortlichkeit der Priester/Pfarrer für die Seelsorge wird zwar in einer salvatorischen Klausel beibehalten in Worten beibehalten, doch die Akzentverschiebung ist unübersehbar.
Zusätzlich zu den Gemeindeleiter/innen sollen indigene „Personen des geweihten Lebens“ eingesetzt oder anerkannt werden, die Inkulturation und Dialog zwischen amazonischen Spiritualitäten und Weltanschaungen ermöglichen. (97/98) Anscheinend ist damit gemeint, eine Art Gemeinschaft der geistigen Sprecher/Führer zu schaffen, die über die Grenzen von Orten und Völkerschaften hinausreicht.
Um die angestrebte entscheidende Verbesserung der Stellung der Frauen in kirchlichen Ämtern zu ermöglichen, soll das Motu Proprio Ministeria Quaedam Pauls VI. „einer Revision unterzogen werden, damit auch Frauen mit den Diensten des Lektors und des Acolythen sowie weiteren neu zu schaffenden Diensten beauftragt werden können. (102) Als ein solches zusätzliches Amt für Frauen regt das Schlußdokument die Schaffung des Dienstes einer Gemeindeleiterin an.
Für die vom Papst in Aussicht gestellte weitere bzw. erneute Prüfung des Diakonats und seiner Öffnung für Frauen schlägt die Synode vor, daß der Dienst des ständigen Diakonats ein breiteres Verständnis abbilden und auch die Förderung „integraler Ökologie, menschengerechter Entwicklung, Gemeindeseelsorge und Fürsorge für die Schwächsten und Verwundbarsten“ umfassen soll. Als weitere Schwerpunkte für die Tätigkeit dieser Art von Diakonen werden interkultureller Dialog und Inkulturation sowie Geschichte der Kirche des Amazonat. Mit Nachdruck weist das Dokument darauf hin, daß in der amazonischen Lebenswirklichkeit Frauen an vielen Stellen die Hauptverantortung tragen und hier entsprechen berücksichtigt werden sollen.
Woher die ständigen Diakone kommen sollen, wird nicht explizit gesagt – anzunehmen ist, daß sie aus dem Kreis der in den Gemeinden tätigen beauftragten Laien hervorgehen sollen. Jedenfalls soll für sie ist ein eigener Ausbildungsgang eingerichtet werden, der von Laien und „ordained ministers“ getragen wird. (106)
Der Ausbildungsprozess der ständigen Diakone soll auch deren Frauen/Ehepartner und Kinder umfassen. Die Stellung der „vor Ort“ tätigen Diakone gegenüber den theoretisch für die Gemeindeleitung verantwortlichen Priestern wird stark aufgeweretet, wenn es ausdrücklich heißt: Die Priester sollen beachten, daß die Diakone ihre Tätigkeit in der Gemeinde durch Einsetzung und unter der Autorität des Bischofs ausüben und sie verpflichtet sind, die ständigen Diakone zu unterstützen und sich mit ihnen abzustimmen. (105)
Für die eigentliche Priesterausbildung wird ein akademisches Curriculum vorgeschlagen, das zusätzlich zu den (ungenanten) Pflichtfächern folgende Schwerpunkte abdeckt:Integrale Ökologie, Öko-Theologie, Schöpfungstheologie, Indianische Theologien, ökologische Spiritualität, Amazonische Kirchengeschichte, Kulturanthropologie Amazoniens usw. die Ausbildung soll in der amazonischen Realität stasttfinden.
Hier wie auch an anderer Stelle bleiben die Vorstellungen, nach denen Personen in einzelne Funktionen eingesetzt werden, überaus unklar. Man geht jedoch vermutlich nicht fehl in der Annahme, daß an eine Art kontinuierliche Entwicklung gedacht ist, bei der Menschen aus der Basis der Gemeinden durch Übernahme/Zuweisung besonderer aufgaben allmählich „hervorgehen“ um schließlich als ständige Diakone und Priester (beides in der Perspektive w/m/d) zur Verwaltung und Spendung der Sakramente befähigt zu werden (110/111). Inwieweit diese aus dem Kreis der „viri probati“ hervorgehenden „Volkspriester“ die akademisch ausgebildeten „Kleruspriester“ ergänzen oder ersetzen sollen, bleibt ebenfalls unklar.
Die Forderung nach der Priesterweihe für Frauen ist im Dokument nicht explizit enthalten, läßt sich jedoch mit schwer abweisbarer Konsequenz aus dem Gesamtzusammenhang ableiten. Der Bezug auf Ministeria Quaedam, dem noch gesondert nachzugehen sein wird, gibt einen Hinweis darauf, welche Mechanismen hier eingesetzt werden können.
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Im 17. und 18. Jahrhundert unternahmen die Jesuitenmissionare den historisch einmaligen Versuch, für die indianische Bevölkerung Siedlungen auf der kombinierten Grundlage indianischer Lebensweisen und christlicher Lehren zu errichten. Diese sogenannten „Jesuitenreduktionen“ (Reduktion von span. reddución, Ansiedlung) bilden ein faszinierendes Beispiel einer in sich höchst widersprüchlichen Verbindung von echtem christlichem Missionsgeist, paternalistischem Eurozentrismus und romantischer Verklärung des „edlen Wilden“. Das Bild zeigt die Ruinen von San Ignacio Miní im heutigen Argentinien. Das letztliche Scheitern des Experiments reiht sich ein in die imposante Reihe von Fehlschlägen der Jesuitenmission auf der Grundlage eines verfehlten Inkulturationsbegriffes, die vom Amazonas bis Japan reicht.