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Vatikan II - ein großes „Umsonst“?

Bild: Domradio/KNAErzbischof Vigano ist wegen seiner Forderung, vom II. Vatikanum als Ganzem abzugehen, unter anderem von Sandro Magister heftig kritisiert worden: Damit bewege sich Vigano hart am Rande von Schisma und Häresie. Zum Beleg beruft Magister sich auf die Weihnachtsansprache von Papst Benedikt an die Kurie von 2005, in der er verlangt hatte, das Konzil, das von vielen in einer Hermeneutik des Bruches interpretiert werde, statt dessen in der Hermeneutik der Kontinuität zu lesen. Mit Nachdruck will Magister daher festhalten: Vorsicht - nicht das Konzil hat schlecht interpretiert sondern das Konzil als solches wurde en bloc schlecht interpretiert.

Je länger das Konzil und inzwischen auch die Rede Benedikts in der Zeit zurück liegen, desto künstlicher und für alle praktischen Zwecke irrelevant erscheint diese Unterscheidung. Hat sich nicht die „schlechte“ Interpretation im Episkopat und an den Fakultäten mit geringen Ausnahmen durchgesetzt und bestimmt für alle praktischen Zwecke Auftritt und Verkündigung der Kirche? Magisters „en bloc“ ist verräterisch. Ist die Beschwörung der Möglichkeit einer rechtgläubigen Interpretation des Konzils nicht nur ein Reflex aus dem berechtigten Verlangen, die Kirche vor dem Vorwurf historischer Irrtümer zu beschützen? Liegt nicht die Tatsache, daß dieses Konzil nicht fähig war, die Fragen der Zeit in einer heute praktisch relevanten und produktiven Weise zu beantworten, offen zu Tage?

Außerdem – und diese Anfrage kann man keinem der nachkonziliaren Päpste ersparen, auch Benedikt XVI. nicht – haben sie es nicht versäumt, der „schlechten Interpretation“ mit dem gebotenen Nachdruck entgegenzutreten? Zwar haben alle – tatsächlich beginnend mit Paul VI. – Dokumente veröffentlicht, die als Versuche gelesen werden können, Fehlinterpretationen des Konzils zurückzuweisen, aber Papier ist geduldig. In der Praxis – der gravierendste Punkt hier sind die Bischofs- und Kardinalsernennungen – haben sie es nicht geschafft, den Marsch durch die Institutionen derer aufzuhalten, die sich auf das vergangene Konzil berufen, um den Bruch mit der Konzilstradition der Kirche voranzutreiben. Ist es da nicht an der Zeit, ihnen durch ein offizielles Abrücken von diesem Konzil das Lieblungsinstrument bei ihrem Zerstörungswerk aus der Hand zu schlagen?

Peter Kwasniewski hat in dem Beitrag, der hier gestern veröffentlicht wurde, Wege skizziert, wie das zu bewerkstelligen wäre, ohne das II. Vatikanum – was überaus problematisch wäre – als irrend oder gar häretisch zu verurteilen. Seine Vorschläge laufen letztlich darauf hinaus, das II. Vatikanum nicht zu verurteilen und auch nicht „aufzuheben“, sondern es zu „historisieren“. Das beinhaltet auf der einen Seite die Anerkennung seiner Legitimität und auch des guten Willens der übergroßen Mehrheit der Konzilsväter, die „Kirche in der Welt von heute“(1965) auf ihrem Weg durch die Zeit voranzubringen. Es schließt aber auf der anderen Seite auch nicht aus, eine weitgehend Erfolglosigkeit ihrer Anstrengungen zu konstatieren und festzustellen, daß ihre damaligen Erklärungen heute, nach 70 Jahren revolutionärer Veränderungen, für die Welt und Gesellschaft in früheren Epochen Jahrhunderte gebraucht hätten, der Kirche nicht mehr den Weg weisen können. Von daher würde sich dann auch jeder Streit um die richtige Hermeneutik des Konzils erübrigen: Es ist vergangen und vorbei.

Eine solche gründliche Historisierung des II. Vatikanums könnte sich übrigens auf einen Vortrag des damaligen jungen Professors Joseph Ratzinger stützen, den dieser 1975 bereits tief desillusioniert, zum 10. Jahrestag des Konzils gehalten hat. Ausgehend von der Leerung der Priesterseminare und Klöster und einer spektakulär zurückgegangenen Gottesdienstteilnahme nach dem II. Vatikanum zeichnet er darin ein überaus kritisches – durchaus kritischer als Kwasniewski – Bild der Konziliengeschichte und kommt zu einem Fazit, das der Forderung nach „Historisierung“ im Sinne des „vergangen und vorbei“ sehr nahe zu kommen scheint: „Nicht alle gültigen Konzilien sind auch kirchengeschichtlich zu fruchtbaren Konzilien geworden, von manchen bleibt am Ende nur ein großes Umsonst.“

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Der (überarbeitete) Text dieses Vortrags von 1975 findet sich unter dem Titel „Zur Ortsbestimmung von Kirche und Theologie heute“ in Josef Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, Donauwörth 2005, S. 383 – 395. Eine Zusammenfassung zur Veröffentlichung hier in den nächsten Tagen ist in Vorbereitung.

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