Dem Chaos widerstehen
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- 28. Oktober 2020
Wie sehr der Teufel die Liturgie haßt, glaube ich unter anderem daran zu erkennen, wie viel (durchaus nicht erfolglose) Mühe er sich gibt, das Interesse an Form und Inhalt der Liturgie in der Kirche auszulöschen. Ebenso groß, und oft nicht weniger erfolgreich, ist sein Bemühen, selbst kleine Lichter wie unsereinen, die an diesem Interesse festhalten wollen, mit allen Mitteln daran zu hindern, die Geheimnisse der Liturgie zu erkennen und ihr Lob zu verbreiten.
Geplant war – und ist weiterhin – an erster Stelle der Ordnung und ihren mal offensichtlichen und manchmal schwer erschließbaren Strukturen nachzugehen, die die überlieferte heilige Messe in ihrer heutigen Form prägen. Deshalb sollen auf Summorum-Pontificum auch all die anderen wichtigen Themen, die die Kirche derzeit beschäftigen, in die „Randspalte“ verwiesen werden, um besser zu unterscheiden, was aus unserer Perspektive Haupt- und was Nebensache ist. Das Chaos soll die Ordnung nicht überwuchern. Die letzten Monate waren diesem Vorhaben günstig: die sommerliche Schwüle, die es den Päpsten seit Jahrhunderten nahelegt, aus dem stickigen Rom in die ein wenig frischere Umgebung – z.B. nach Castel Gandolfo – zu fliehen, forderte von dem demonstrativ in Rom verweilenden Franziskus ihren Tribut. Vielleicht hat auch der Corona-Schock ein wenig mitgewirkt – jedenfalls wurde es deutlich ruhiger um den Pontifex, und mancher glaubte, beim „dictator pope“ bereits Anzeichen der Mäßigung, von Altersweisheit gar, zu erkennen.
Doch kaum ist es wieder etwas kühler, melden der unheimliche Virus und der noch unheimlichere Franziskus sich wieder zurück. Spätestens seit dem Start des vor keinem Klischee des Personenkultes zurückschreckenden Jubel-Videos (hier der Trailer) mit wie gewohnt (und gewollt) mißdeutbaren Aussagen zur staatlichen Anerkennung homosexueller Lebensgemeinschaften ist Feuer am Dach. Zu offenkundig ist der schreiende Widerspruch zur feststehenden Lehre der Kirche. Auch die päpstliche Weisswäscher-Garde ist deswegen in Verlegenheit, zumal der Papst wie schon früher in keiner Weise Bereitschaft erkennen läßt, das, was ihm von wohlwollender Seite als „mißverständlich“ oder „klärungsbedürftig“ vorgetragen wird, durch ein klärendes Wort aus der Welt zu schaffen.
Die Verzweiflung des glaubenstreuen Restes über dieses eines heiligen Vaters unwürdige frivole Spiel wird täglich spürbarer, und immer öfter führt sie zu Rufen, man müsse „doch irgend etwas machen“ können. Soweit das mit Erwartungen an Bischöfe oder Kardinäle verbunden ist, sollte man sich keine Hoffnungen machen: Die wenigen Angehörigen der Hierarchie, die sich überhaupt aus der Deckung wagen und nicht die modernistische Agenda ganz oder teilweise unterstützen, haben alles versucht, was im Rahmen des Rechtes möglich ist: Vom Gespräch unter vier Augen zum privaten oder auch offenen Brief bis zur Einreichung von Dubia oder der feierlichen Form einer (von viel zu wenig Hierarchen unterzeichneten) „Correctio fraternalis“. Das hat keine Wirkung gezeigt, konnte es wohl auch nicht – selbst ein von einer Mehrheit der Bischöfe getragener Widerspruch wäre rechtlich ohne Belang.
Nur der Herr der Kirche selbst kann einen in anerkannter Wahl bestimmten und weltweit akzeptierten Papst wirkungsvoll maßregeln oder abberufen, und solange das nicht geschieht, ist es wohl Sein Wille, daß wir als die von ihren irdischen Hirten in Stich gelassenen Schafe seiner Weide uns „irgendwie“ selbst durchschlagen. Wir haben den Katechismus von 1992 und seine ebenso feierlich approbierten und stellenweise klareren Vorgänger – daran können wir uns halten, und par ordre du mufti vorgenommene Änderungen im Textes bedeuten da, wo sie der Tradition widersprechen, noch lange keine Änderung der Lehre der Kirche. Wir werden lernen müssen, solche Spannungen auszuhalten, auch wenn es weh tut, den alten Vater so auf Abwege geraten und das Erbe verschleudern zu sehen. Das Tafelsilber mag er verspielen – die eigentlichen Schätze sind seinem Zugriff entzogen
Aus dem Alten Testament wissen wir oder können wir erschließen, wie der Herr sein Volk in einem Jahrhunderte langen und oft schmerzhaften Erziehungsprozess aus der Rohheit einer unter die Sünde gefallenen Welt bis zu der Höhe geführt und gedrängt hat, in der Maria mit ihrem „siehe ich bin die Magd des Herrn“ die Tür zu einer erlösten Welt aufgestoßen hat. Viele haben diese Tür mit Gottes Gnade und der Hilfe der Sakramente Seiner Kirche inzwischen glücklich durchschritten – die Welt als Ganzes liegt unter dem Regiment der Sünde wie eh und je. Nichts begründete die Erwartung, daß der Herr nun, wo er sich ein neues und erweitertes Volk erworben hat, den offensichtlich nach wie vor erforderlichen Erziehungsprozess eingestellt habe. Etwa in der Art, wie eine von der wahrhaft diabolischen Illusion ihrer eigenen Vortrefflichkeit betrunkene Gesellschaft, die seit Jahrzehnten ihre Jugend der Ent-Bildung und der Verwahrlosung überläßt – sofern sie es nicht vorzieht, sie unter Strömen von Blut auf den Altären des Neuen Baal-Mammon zu schlachten.
Sich der gesellschaftlich korrekten Verwahrlosung zu entziehen und die Teilnahme an den Opfern für falsche Götter zu verweigern ist die aktuelle Herausforderung für die, die in der Kirche Christi bleiben und sich nicht dem vom Antichrist seit 1790 und früher gepredigten Kult der sich selbst vergöttlichenden Menschheit anschließen wollen. Die Mittel dazu liegen nicht zuletzt dank das so zwiespältigen technischen und wirtschaftlichen Fortschritts der vergangenen Jahrzehnte zumindest hier in Mitteleuropa in jedermanns Reichweite. Sich ihrer erfolgreich zu bedienen, verlangt allerdings tiefgehendes Umdenken auf vielen Gebieten und vor allem die Entwicklung eines erneuerten Sinnes von Gemeinschaftlichkeit – nicht in der Illusion einer globalen allgemeinen Menschheitsverbrüderung, sondern im alltäglichen Leben im Bewußtsein als Kinder des Gottes, der sich in seinem Sohn geoffenbart hat und in seinem Geist immer wieder neu offenbart.
Gemeinschaftlichkeit. Zwar können auch Einsiedler den Weg zu der mit Maria geöffneten Tür finden, aber für die meisten Menschen bilden Gemeinschaften, Familien oder Gemeinden die sicherere Umgebung. Und wo die verfaßte Kirche vor lauter Dialog auf Augenhöhe mit der Welt zunehmend bei der Bildung und Leitung von Gemeinden versagt, müssen die Gläubigen das eben selbst in die Hand nehmen. In den Priestergemeinschaften der Tradition, die diese Aufgabe freilich erst in Ansätzen begriffen haben, können sie dazu starke Helfer finden – Helfer, keine Kommandanten, die schon von sich aus wissen und sagen, wo‘s lang geht. Helfer und Hirten, die vor den leuchtend roten Früchten der Giftpflanzen warnen, die seit einigen tausend Jahren immer an den gleichen Stellen aufwuchern. Und getreue Verwalter der Sakramente, die dem neuen „pilgernden Gottesvolk“ noch weitaus stärkere Hilfe bieten als die Gebete und Opfer im Tempel von Jerusalem dem alten Gottesvolk – das immerhin Maria und die Apostel hervorgebracht hat.
Gemeinschaftlichkeit überwiegend in der Liturgie zu sehen und quasi dorthin abzuschieben war vielleicht einer der verhängnisvollsten Irrtümer der gutmeinenden Liturgiereformer des vergangenen Jahrhunderts. Aber Gemeinschaftlichkeit und Gemeinschaft sind vor allem Kategorien des alltäglichen Lebens – gerade auch in der Welt. Als vor nunmehr gut drei Jahren Rod Drehers Buch über die „Option Benedikt“ herauskam (hier unsere damaligen Besprechungen), sah es eine Zeitlang so aus, als ob die Einsicht in die Wichtigkeit von Gemeinschaftlichkeit, von Selbsttätigkeit und eigenständiger Organisation (nein, dabei ist nicht an Mitgliedsbücher zu denken) auch hierzulande zunehmen würde. Inzwischen scheinen die Impulse von damals weitgehend verpufft zu sein: Der atemberaubend durchgesetzte soziale und wirtschaftliche Wandel, immer aggressiver verordnete wahnhafte Ideologien, der in Verwesung übergehende Zerfall großer Teile der verfaßten Kirche und ihrer akademischen Ableger und dann in diesem Jahr neben der allgemeinen geistigen auch noch die physische Seuche haben das, was damals aufzukeimen schien, weitgehend erstickt.
Eine – im Licht der seitdem gemachten Erfahrungen notwendigerweise ebenso kritische wie selbstkritische – Neulektüre des Buches von der Option Benedikt könnte ein erster Schritt sein, die eigenen Gedanken wieder ein wenig zu ordnen und sich dem Getrieben-Werden zu entziehen.