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Papst und Cancel-culture

Bild: The Spectator, Nov. 2015„The Tablet“ – eine der großen Selbstverständigungsplattformen des kirchlichen Modernismus – befasst sich in seiner jüngsten Ausgabe  mit der weiter anschwellenden Bewegung des Widerspruchs zu Traditionis Custodes und nimmt dabei insbesondere die von Joseph Shaw geäußerte Ansicht aufs Korn, die von Erzbischof Roche herausgegebenen Responsa seien schon alleine deshalb irrelevant, weil der Präfekt der Gottesdienstkongregation nicht kraft seines Amtes über die Kompetenz verfüge, einen päpstlichen Gesetzgebungsakt in dieser Weise verbindlich zu interpretieren.

So leid es uns tut: Wir müssen The Tablet in diesem Punkt weitgehend zustimmen. Und zwar nicht wegen feinsinniger Erwägungen zum kanonischen Recht – dazu wären wir ebenfalls inkompetent – sondern deshalb, weil der Wille des päpstlichen Gesetzgebers selbst in dieser Angelegenheit völlig unzweifelhaft ist. Papst Franziskus will, daß die überlieferte Liturgie vollständig aus dem Glaubensleben der römischen Kirche verschwindet, entweder, indem ihre bisherigen Anhänger sich nun zur angeblichen „Messe des Konzils" bekehren, oder indem sie die Einheit mit Rom verlassen.

Nach der traditionellen Verfaßtheit der katholischen Kirche ist der Wille des Papstes Gesetz. Wenn ihm oder seinen Untergebenen bei der Formulierung dieses Willens Fehler unterlaufen, sind diese – auf der formalen Ebene zumindest – leicht zu heilen: Entweder, indem der Papst die Gesetzeslage anpasst, oder indem er ein „fehlerhaftes“ Dokument dadurch sanktioniert, daß er danach verfährt (bzw. verfahren läßt) und es damit selbst es als seinem gesetzgeberischen Willen entsprechend anerkennt. Die unbequeme Konsequenz dieses Sachverhaltes ist die, daß die Auseinandersetzung mit TC nicht auf einer äußerlichen Ebene erfolgen kann; weder durch mehr oder weniger zutreffende Auslegung von Gesetzestexten, noch durch Versuche, aus zu anderer Gelegenheit getätigten päpstlichen Aussagen einen möglicherweise anderslaufenden Willen des Gesetzgebers zu erschließen. Franziskus redet und schreibt viel, so der Tag lang ist, die Zahl der in seinen Auslassungen enthaltenen Widersprüche ist Legion, und die Logiker wissen es schon seit Tausenden Jahren: Ex contradictio nihil sequitur. 

Hier geht es weiterDas macht sich dieses Pontifikat in dem Sinne zunutze, daß aus einem Widerspruch nicht nur „nichts“ folgt, sondern in postmoderner  Umkehrung auch „alles“: Ex contradictio, quodlibet sequitur.

Die Auseinandersetzung damit kann also letztlich nur auf der inhaltlichen Ebene erfolgen, indem sie sich um den Nachweis bemüht, daß der konkret geäußerte Wille des Nachfolgers Petri und Vicarius Christi dem Willen des göttlichen Stifters der Kirche selbst widerspricht. Das ist kein ganz leichtes Vorhaben, denn wie uns der jesuitische Generalissimus Artura Sosa völlig zutreffen belehrt hat, gab es zur Zeit Jesu noch keine Tonbandgeräte, deren Aufzeichnungen der Wille des Herrn in gerichtsfester Eindeutigkeit zu entnehmen wäre. Und eine Heerschar von Exegeten bemüht sich seit Jahrhunderten nicht ohne Erfolg, den Sinn dessen, was uns als das „Wort Gottes“ auch ohne Tonträger überliefert ist, zu verunklären, in Zweifel zu ziehen, den unterschiedlichsten Interessen dienstbar zu machen. Rettung und ein gewisses Maß an Sicherheit bietet hier alleine der Rückgriff auf die zweite Säule der Kirche, oben angesprochen unter dem Kürzel „Nachfolger Petri" und konkreter zu verstehen im Plural: als die Folge von um die 270 dieser Nachfolger, die sich zum allergrößten Teil – es gibt nur zwei oder drei „Ausreißer“ – als würdige und wahrhafter Nachfolger Petri und Überlieferer der Lehre des Herrn erwiesen haben. Und wem der der Plural der 270 Päpste zu unhandlich erscheint, der kann hier auch getrost den Begriff der „Tradition“ einsetzen. Der Tradition im Sinne des hl. Vinzenz von Lerins als das, was „überall, immer und von allen geglaubt" worden ist und nicht im Sinne der „lebendigen Tradition“ modernistischer Falschmünzer, die nicht nur das kirchliche Gesetz dem Willen eines Papstes unterworfen sehen, sondern auch den Inhalt der kirchlichen Lehre selbst von ihren Wurzeln lösen und ihrem eigenen Willen unterwerfen wollen.

All das war Gemeingut während einer fast zweitausend Jahre währenden Kirchengeschichte. Nicht wer die Tradition bewahren, sondern wer etwas (und sei es nur eine scheinbare Kleinigkeit) gegen das Herkommen ändern wollte, war rechenschaftspflichtig. Nicht beginnend, aber voll einsetzend mit der unseligen Liturgiereform Pauls VI. (der im Übrigen, wie festgehalten werden muß, die Lehre der Kirche energisch verteidigte und lediglich dem Irrtum unterlag, die liturgischen Formen seien gegenüber der Lehre nur äußerlich) hat sich in weiten Teilen der Kirche der zeitgeistige Flachsinn durchgesetzt, daß Tradition per se veraltet und dem Fortschritt zu einer besseren Zukunft des Menschengeschlechtes hinderlich sei. Mit Franziskus ist zum ersten Mal ein Mann auf den Stuhl Petri erhoben worden, der diese Ansicht auch hinsichtlich der kirchlichen Dinge teilt. Er selbst begreift sich wohl selbst nur noch sehr bedingt als Nachfolger Petri, sondern erscheint eher dem wahnhaften Anspruch verfallen „Seht, ich mache alles neu“. Daß er als Repräsentant der Cancel Culture par excellence in seiner Neujahrsansprache vor dem diplomatischen Corps die in weiten Teilen der Welt grassierende Cancel-Pandemie anprangerte, ist nur eine von den vielen Widersprüchlichkeiten, die sein Reden (und sein Tun!) entwerten. Wie keiner seiner Vorgänger und nur wenige der erklärten Feinde der Kirche untergräbt er, soweit das denn überhaupt menschenmöglich ist, die Fundamente, den Felsen, auf den der Herr Seine Kirche errichtet hat, um der gefallenen Menschheit den Weg zum ewigen Heil erneut zu öffnen.

Dem zu widerstehen, ist keine Sache spitzfindiger Exegese des kanonischen Rechts, sondern eine Gewissensverpflichtung, der sich keiner entziehen kann, der sich dem Willen des Stifters der Kirche verpflichtet sieht.

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