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Kirchenrecht und Glaubenskrise

Bild: Google BooksGerade so, als ob sie das Ende des Pontifikats herannahen spürten, überschütten Papst Franziskus und seine Einflüsterer das staunende Kirchenvolk derzeit mit einer Fülle von Verordnungen und Rechtsänderungen. Sie sollen, obschon erkennbar mit heißer Nadel gestrickt, die von diesem Pontifikat mehr versprochenen als auch erreichten Neuerungen „unumkehrbar“ machen. Als ob nicht alles, was Franziskus „aus eigenem Antrieb“ und per Federstrich verfügt, nicht von einem seiner Nachfolger mit einem weiteren Federstrich rückgängig gemacht werden könnte, so wie er viele Anordnungen seiner Vorgänger Johannes Paul II. und Benedikt XVI. rückgängig oder wirkungslos gemacht hat. Besser zu sagen: machen wollte – denn längst fühlen sich weder die Masse der Gläubigen noch seine Mitapostel im Bischofsamt an das gebunden, was der Mann auf dem römischen Bischofsstuhl anordnet, wenn es ihnen nicht in den Kram passt.

Das hat nicht mit Franziskus angefangen. Schon Paul VI. mußte im Revolutionsjahr 1968 mit seiner unpopulären „Pillenenzyklika“ Humanae Vitae die Erfahrung machen, daß ihm nicht nur viele Nicht-mehr-so-ganz-Gläubige den Gehorsam versagten, sondern ganze Bischofskonferenzen – wie etwa die deutsche mit der Königsteiner Erklärung aus dem gleichen Jahr. Die Gelegenheiten, zu denen Johannes Paul II vor verschlossenen Bischofs-Ohren predigte, sind kaum zu zählen – genannt sei nur der Boykott einer Mehrheit von Bischöfen des uns besonders am Herzen liegenden Motu Proprio Ecclesia Dei von 1988, die geflissentliche Nichtbeachtung der Instruktion gegen liturgische Verstöße Redemptionis Sacramentum von 2004 und die offene Ablehnung des unter Beanspruchung der höchsten lehramtlichen Autorität erlassenen Dokumentes Ordinatio Sacerdotalis (1994) mit der Bekräftigung, die Kirche habe keine Vollmacht, Frauen die Priesterweihe zu erteilen.

Bei Benedikt XVI., der noch mehr als sein Vorgänger die Kirche weniger mit Gesetzen als mit seiner Lehre lenken wollte, verschob sich auch der Widerspruch entsprechend: die modernistischen Bischöfe und Professoren insbesondere in Europa wetteiferten miteinander darum, die Theologie des Papstes als veraltet abzuwerten und daher als bedeutungslos für die moderne Welt darzustellen. Und wo er ein Gesetz erließ, das den Herrschaften nicht passte – Beispiel Summorum Pontificum – ignorierten die Gegner das ebenso, wie sie das schon unter seinem Vorgänger eingeübt hatten. Zwei wesentliche Säulen des Papstametes - die der Gesetzgebung und die des Lehramtes – waren so schon vor dem Amtsantritt von Franziskus weitgehend weggebrochen. Weniger, weil die Päpste – sieht man einmal vom unglücklichen Komplex Liturgiereform ab – schlechte Gesetze erlassen und zweifelhafte Lehren verkündet hätten, sondern weil sie in vielen Fällen darauf verzichteten, geltendes Recht auch durchzusetzen.

id="system-readmore" />

Hier geht es weiterIm Pontifikat von Franziskus haben sich diese negativen Tendenzen deutlich verstärkt. Das Lehramt hat Franziskus praktisch suspendiert – wer bin ich, zu urteilen. Um so größeres Gewicht scheint er der Gesetzgebung beizumessen. In neun Regierungsjahren erließ er bis gestern 49 Motu Proprio – sein Vorgänger Johannes Paul II brachte es in 26 Jahren auf gerade einmal 31. Freigebig ändert er Paragraphen des Kirchenrechts und sogar den Katechismus. Dabei beziehen sich seine meisten gesetzgeberischen Akte auf den römischen Apparat, dessen umfassende Reform er vor der Wahl versprochen hatte – und wo man große Erfahrung darin, zwar Türschilder auszuwechseln, wenn neue Strukturen verordnet werden, ansonsten aber so zu verfahren, wie man das schon immer getan hat; im guten wie im schlechten.

So war es bei der ersten Auflösung der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, die von Franziskus im Januar 2019 verfügt wurde, nur um danach als Abteilung IV nach wie vor unter dem Dach der Glaubenskongregation mit den gleichen Mitarbeitern und in den gleichen Räumen weiter zu arbeiten. Ganz und gar nicht so war es dann bei der zweiten Auflösung der Kommission im Gefolge von Traditionis Custodes im vergangenen Sommer, als die disziplinäre Zuständigkeit über die Ex-Ecclesia-Dei-Gemeinschaften an die Ordenskongrgation überging. Deren Mitarbeiter transportierten die Akten von Ecclesia Dei übers Wochenende in die Räume ihres Dikasteriums, und die alten Ecclesia-Dei-Leute standen am Montag einigermaßen überrascht vor ausgeräumten Büros. Kein einziger von den alten Mitarbeiter wurde übernommen – ein für römische Verhältnisse durchaus seltener Fall, daß eine Umorganisation tatsächlich ernst gemeint war, und ein deutliches Zeichen für den Willen des Papstes, im Bereich „Alte Liturgie“ keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Immer deutlicher wird erkennbar, daß im Mittelpunkt dieses Pontifikats weniger der Aufbau von Neuem, als die Destruktion des Überkommenen steht.

Die neuesten Gesetzesänderungen bei der Organisation der Glaubenskongregation und der Rechtsstellung der Bischöfe im Kanonischen Recht – The Pillar gibt einen Überblick, CNA eine Kommentierung – scheinen den Bereich Lehre und Liturgie, zumindest auf den ersten Blick, nicht zu berühren. Beim zweiten Blick fallen zwei Neuregelungen ins Auge, die unseren Aufmerksamkeit wecken. Die für die Lehre zuständige Abteilung der Kongregation soll sich in Zukunft nicht nur um die Bewahrung und Vertiefung der Doktrin kümmern, sondern verstärkt auch Fragen behandeln, „die sich aus dem Fortschritt der Wissenschaften und der Entwicklung der Gesellschaft ergeben“ – das könnte problematisch werden, wenn man bedenkt, wie man z.B. in der deutschen Bischofskonferenz den „Fortschritt der Wissenschaften“ betrachtet und zunehmend als Korrektiv der vom Herrn den Aposteln übergebenen Lehre heranzieht. Tatsächlich ist auch die früher hoch bewertete Aufgabe der „Widerlegung falscher und gefährlicher Lehren“ im neuen Aufgabenkatalog nicht mehr enthalten, dagegen wird die Bedeutung des „Dialogs“ aufgewertet. Man kennt das Muster – und ist angesichts der Ergebnisse des bisherigen daran orientierten Verfahrens wohl zu Recht skeptisch.

In die gleiche Richtung gehen die Bedenken gegen eine Änderung im kanonischen Recht, die den Ortsbischöfen bzw. den Bischofskonferenzen mehr Kompetenzen zur Bestimmung von Lehrinhalten einräumt – bis hin zur Erarbeitung eigener Katechismen, die in Rom nur noch angezeigt, nicht aber genehmigt werden sollen. Geht man nach den auf dem deutschen Synodalen Weg aufgestellten Forderungen, die seit dem für die Modernisten überaus erfolgreichen Abschluß der zweiten Sitzungsperiode in einem wahren Trommelfeuer bischöflicher Wortmeldungen verstärkt werden, ist hier mit fast allem zu rechnen. Die absehbare „Föderalisierung“ der Kirche durch gestärkte Bischofskonferenzen ermöglicht es Rom unter Franziskus, weitgehende Veränderungen auf regionaler Ebene auch in Bereichen zuzulassen, die wie etwa die Aufhebung des Zölibats oder der „Zugang von Frauen zu allen Ämtern“ bisher von Franziskus eher abgelehnt wurden. Immer deutlicher zeichnet sich der Weg zu einer kirchlichen Organisation ab, in der alles möglich und alles erlaubt ist – außer dem Festhalten an dem, was zweitausend Jahre lang gültig war.

Das wird sich auch unter den Nachfolgern von Franziskus – sollten die es überhaupt wollen – nicht ohne weiteres ändern lassen. Nach 60 Jahren voller Fehlentwicklungen in der akademischen Theologie und administrativer Verwahrlosung insbesondere bei Bischofsernennungen wäre ein wirkliches Umsteuern nur mit äußerster Kraftentfaltung möglich – und das ist so schnell nicht zu erwarten. Auf die hier einmal vereinfachend als „Kräfte der Tradition“ zusammengefassten Gruppierungen kommen damit harte Zeiten mit schwer zu bewältigenden Herausforderungen zu. Andererseits wird ihre Aufgabe aber auch leichter, wenn die Konturen von Glaubensverlust und Apostasie schärfer hervortreten.

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