Haben wir eine Atempause?
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- 30. März 2022
Dem ersten Anschein nach könnte man meinen, daß der unter der Fahne von Traditionis Custodes vorgetragene Angriff auf die überlieferte Liturgie zum Stehen gebracht worden sei. DieTatsache, daß unsere Aufmerksamkeit derzeit durch als wichtiger betrachtete Dinge in Anspruch genommen wird, verstärkt diesen Anschein noch. Ist mit dem päpstlichen Edikt, das der Petrusbruderschaft zumindest für den internen Gebrauch die Verwendung der vorreformatorischen Bücher zugesteht, die Gefahr für die altrituellen Gemeinschaften gebannt? Bedeutet die Tatsache, daß sehr viele – so weit wir sehen können, die große Mehrheit – der Bischöfe weltweit der überlieferten Liturgie auch nach Custodes Traditionis in etwa die gleichen Spielräume gewährt (oder auch verweigert!) haben wie zuvor, daß das Motu Proprio in der Wirkungslosigkeit verpufft?
Wir sollten uns nicht darauf verlassen. Die zahlreichen Gegner der überlieferten Liturgie sind nach wie vor aktiv, und sie finden auch in liturgisch weniger interessierten Kreisen der Kirche Unterstützung bei all denen, die behaupten, mit dem zweiten vatikanischen Konzil sei eine Art grundsätzliche Neuausrichtung der Kirche erfolgt, die alles, was vorher war, „inkompatibel“ gemacht hätte und daher strikt abzulehnen wäre. Wie tief der hier behauptete und aggressiv vorangetriebene Bruch geht, ist vielleicht am drastischsten beim deutschen „Synodalen Weg“ zu beobachten, der an dem Gebäude, das Christus als seine Kirche, sein Werkzeug und sein Angebot zur Vermittlung des Heils in der Welt gestiftet hat, buchstäblich keinen Stein auf dem anderen läßt.
Auf die „Toleranz“ derer, die diesen Umbau, diesen Abriß betreiben, sollte man sich nicht verlassen. Die erbarmungslose Majorisierung der Mitwirkenden des Synodalen Weges und die Reihe der „abgeschossenen“ glaubenstreuen Bischöfe wie Mixa oder Tebartz van Eltz und das Dauerfeuer gegen die Kardinäle Woelki und Müller zeigen, was davon zu halten ist. Wenn die eigentliche Führung der deutschkatholischen Kirche, nämlich die Interessenvertretung der Kirchenmitarbeiter, derzeit nicht aggresiver gegen die Anhänger der überlieferten Lehre und Liturgie vorgeht, liegt der Grund vor allem darin, daß sie diese Gemeinden nicht als Konkurrenten für ihren Platz an den Futtertrögen des kirchlichen Einkommens betrachten. Das könnte sich ändern. Nicht, weil die traditionsorientierten Gemeinden ihnen ihre Beute streitig machen wollten – sie haben Erfahrung darin, ohne Zugang zum institutionell abgesicherten Einkommen auszukommen. Und zur Not kann man sie auch mit Appellen zum Gehorsam und gegebenenfalls ein paar Disziplinarmaßnahmen ruhig halten; zumindest eine Zeit lang.
Die Gefahr für die zahllosen Inhaber von Sinekuren oder nie auf irgendeinen Erfolg überprüften „Projektstellen“ in Ordinariaten, Verbänden und Lehrstühlen – also die Haupttreiber des Synodalen Weges – liegt anderswo: Es ist nämlich noch lange nicht ausgemacht, ob der mit der Zielvorgabe einer Dauersynode vorangetriebene Umbau der kirchlichen Strukturen in Richtung eines von seinen Funktionären beherrschten Rätesystems und der dafür erforderliche Abbau der (noch bestehenden) sakramentalen und transzendenten Realitäten beim verbliebenen Rest des Kirchenvolkes so gefragt ist, wie die Umbauer das behaupten.
Werden die bei Kirchens gebotenen „Events“ und soziokulturellen Spielwiesen wirklich mit dem konkurrieren können, was eine seit Jahrzehnten an deren Perfektionierung arbeitende Industrie 24 Stunden am Tag auf allen Bildschirmen anbietet? Werden die immer spärlicher nachwachsenden Gottesdienstteilnehmer der jüngeren Generation wirklich in Begeisterungsschreie ausbrechen, wenn ihre Eltern demnächst von beauftragten Laien beerdigt und ihre Kinder von eben solchen getauft werden? Werden sie es wirklich zu schätzen wissen, wenn man ihnen statt der Sonntagsmesse eine von der Diakonin zelebrierten Wort-Gottes-Feier mit einer links-grünen Predigt anbietet, wie man sie andersow noch eingängiger zu hören und zu lesen bekommt?
Die Gefahr für die Reformer liegt darin, daß diejenigen, die wirklich ihrem Leben einen über dessen doch unvermeidliches Ende hinausreichenden Sinn verleihen wollen und von Sehnsucht nach der anderen Welt erfüllt sind, den Surrogatcharakter dieser neukirchlichen Einrichtungen durchschauen und sich auf dem reichlich besetzten Markt der Sinnstiftungsangebote nach konkurrierenden Bezugsquellen umsehen. Die „Gefahr“ – vom Apparat aus gesehen – daß einTeil davon bei Petrus oder bei Pius landen, ist durchaus real, und das könnte die Position dieses Apparates als privilegierte und finanziell bevorzugte Einrichtung staatlich lizensierter Sinnvermittlung in Frage stellen.
Dem gilt es also entgegenzuwirken. Die bevorzugt gegen Pius, oft aber auch gegen andere Kräfte der Tradition eingestzte „Rechtskeule“ ist ein gerne genommenes Mittel. Die ideologiegeleiteten Entstellungen der Liturgiegeschichte, denen Traditionis Custodes quasi lehramtlichen Rang verleihen will, bieten einen reichen Fundus an Maßnahmen, um Aktivitäten der Tradition einzuschränken, zu unterbinden, oder ganz aus der Kirche herauszudrängen. Man wird sich dessen im Bedarfsfall zu bedienen wissen.
Nun hilft es wenig, jetzt wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren und zu warten, welche Quälereien sich die Herrschaften als nächstes ausdenken, um uns daran zu hinern, den Glauben so zu leben und so zu verkünden, wie das seit unvordenklichen Zeiten überliefert ist. Produktiver ist es da, die Befürchtungen der Säkularisten ernst und als Anstoß zu nehmen, diese Tradition so lebendig werden zu lassen, daß sietatsächlich für Menschen attraktiv wird, die sich mit den amtlicherseits gebotenen Surrogaten nicht mehr zufriedenstellen lassen wollen. Neuevangelisierung also nicht als inhaltsloses Schlagwort vor sich herzutragen wie die Bischöfe, die jahraus jahrein ohne mit der Wimper zu zucken den Rückgang der Gottesdiensbesuche und des Sakramentenempfangs quittieren, sondern ernst damit zu machen: In der Predigt, in den Kommunikationsmitteln, im Gemeindeleben, in der Liturgie…
Das wird Kraftanstrengungen erfordern, die weit über die Entrüstungsbekundungen gegenüber häretisierenden Bischöfen hinausgehen. Das wird auch Selbstkritik erfordern – z.B. bei der Abwägung, ob Entrüstung immer so zielführend ist, wie sie der Entlastungsfunktion für den eigenen Gemütshaushalt entgegen kommt. Oder bei der Frage, ob wir die gerne beschworene, aber selten erfahrbar gemachte „Schönheit des Glaubens“ wirklich in der Weise vermitteln, wie das erforderlich wäre, um auch solche Menschen zu überzeugen, die noch nicht davon überzeugt sind. In vielen Bereichen hat sich eine Art Genügsamkeit ausgebreitet, die sich schon damit zufrieden gibt, wenn die eigene Sonntagsmesse im überlieferten Ritus nicht angetastet wird. Das könnte sich auf die Dauer als unzureichend erweisen
Die Zeit relativer (innerkirchlicher) Windstille, die uns nach der Promulgation von TC unerwartet vergönnt ist, sollten wir nutzen, um diese Probleme nicht nur zu bedenken, sondern auch im Leben der Gemeinden und der Gemeinschaften tatkräftig anzugehen.