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Der Anti-Modernisten-Eid von 1910

Bild: ArchivNatürlich beginnt der Zerfall der traditionellen Kirche nicht erst mit dem II. Vatikanum, sondern hat weiter in die Vergangenheit zurückreichende Wurzeln. Die große Revolution von 1793 läutete des Ende des seit über 1000 Jahren bestehenden und alles in allem nicht schlecht funktionierenden Bündnisses zwischen Thron und Altar ein. In der Folge verlor die Kirche in vielen Ländern Europas den größten Teil ihres materiellen Besitzes, der die Basis ihrer die gesamte Gesellschaft umfassenden karitativen und bildungsmäßigen Aktivitäten gewesen war. Die Industrialisierung und der dadurch hervorgerufene gesellschaftliche Wandel sowie wissenschaftlicher Fortschritt entwerteten - zumindest in den Augen großer und tonangebender Bevölkerungsteile - ihr spirituelles Kapital. Spätestens ab Mitte das Jahrhunderts (Stichwort 1848) blühten auf allen Feldern die „neuen Paradigmen“, deren Propagandisten sich daran machten, die bis dahin vom Glauben geprägte Gesellschaft einem umfassenden Säkularisierungsprozess zu unterziehen.

Man kann nicht sagen, daß die Kirche diese Entwicklung verschlafen hätte. Papst Pius IX. ließ 1864 als Zusammenstellung aus seinen bereits früher veröffentlichten Dokumente den Syllabus Errorum erstellen, der in 80 Thesen die damals populären Irrtümer des Zeitgeistes identifizierte und kritisierte. Nicht alles davon ist heute noch unverändert haltbar, aber im großen Ganzen hatten der Papst und seine Zuarbeiter die Situation zutreffend erfasst und in einer zunächst erfolgversprechend erscheinenden Weise darauf geantwortet. Die Verpflichtung zur Einholung eines Imprimaturs für geistliche und vor allem theologische Veröffentlichungen sowie die sorgfältige Pflege des bereits 1559 eingeführten Index librorum prohibitorum konnten und sollten zwar nach dem Verlust der weltlichen Machtstellung der Kirche die Veröffentlichung problematischer Werke nicht unterbinden – begrenzten aber ihre Verwendung in Unterricht und Studium Tatsächlich waren diese Instrumente selbst für diejenigen, die sich weder daran halten wollten noch mußten, insofern hilfreich, als z.B. im Zusammenhang mit einer Indizierung öffentliche Gutachten entstanden, die oft sehr präzise Auskunft darüber gaben, in welchen Punkten und wieweit die verbotenen Schriften der Lehre der Kirche widersprachen.

Hier geht es weiter Zumindest in der Theorie gab es also keine Grauzonen, deren anscheinend unaufhaltsame Ausbreitung in den letzten Jahrzehnten so wesentlich zur Vertiefung der Kirchenkrise beigetragen hat.

Dennoch war die Wirkung dieser Eindämmungsmaßnahmen begrenzt - besonders in den von starken laikalen und säkularistischen Strömungen beherrschten Ländern Mitteleuropas. Die nie völlig gelungene Klärung des Verhältnisses zwischen dem Postulat bürgerlicher Freiheit der Wissenschaft und den Anforderungen für die  Priesterausbildung an öffentlichen oder staatlichen Hochschulen führte dazu, daß glaubensferne bis glaubendsfeindliche Einstellungen weiterhin im Klerus aufgenommen und verbreitet wurden. Der „Anti-Modernisten-Eid“ war der Versuch Pius X., dieser Einsicht Rechnung zu tragen: Wenn man die glaubensfeindlichen Vorstellungen weder gesamtgesellschaftlich noch im Klerus unterbinden konnte, wollte man zumindest verhindern, daß ihre Träger und Propagandisten zu einflußreichen Positionen in der Kirche kommen könnten. Deshalb sollten neben den Klerikern auch alle Religions- und theologischen Hochschullehrer zu seiner Ablegung verpflichtet sein.

Es ist aus heutiger Perspektive müßig, darüber zu streiten, ob dieser Ansatz jemals wirklich Erfolg versprechen konnte. Hinsichtlich der theologischen Lehre kam es schon bald zu einer Reihe von „Klarstellungen“ und „Dispensen“, die die Pflicht zur Ablegung des Eides bzw. seine Reichweite begrenzten, und auch Bischofskandidaten scheinen ihn oft als reine Formsache angesehen haben. Der „Modernismus“ ging in den Untergrund und verbreitete sich dort umso leichter weiter, als er öffentlich als „besiegt“ erscheinen konnte. Spätestens während des Konzils der 60er Jahre und der dort ausgerufenen Dialogbegeisterung war er dann plötzlich wieder voll präsent, und die Abschaffung der Eidesleistung (und des Index, und des Imprimatur-Zwanges, und ...) durch Papst Paul VI. 1967 erschien als logische Konsequenz. Zwar wird Klerikern und Inhabern konkordatlich mitbestimmter theologischer Lehrstühle wohl immer noch die Ablegung eines Glaubensbekenntnisses abgefordert - aber das ist reine Formsache und bietet in der Praxis, wie im aktuellen Pontifikat zu besichtigen, Personen, die gegen klare Glaubenssätze verstoßen, kein Hindernis, zu höchsten kirchlichen Positionen aufzusteigen. 

Und trotzdem ist die Erinnerung an den Anti-Modernisten-Eid nicht nur eine nostalgische Reminiszenz an vergangene – oder wie die Modernisten sagen würden – „glücklich überwundene“ rigide und dialogferne Zeiten. Er zeigt, daß es durchaus möglich ist, gesellschaftlich bestrittene Positionen und Lehren der Kirche so klar zu formulieren, daß Mißverständnisse und Ausreden kaum möglich sind. Wenn dieser Versuch die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen konnte, dann nicht wegen mangelnder Klarheit seiner Inhalte, sondern mangelnder Entschiedenheit derer, die darüber zu wachen hatten, daß er nicht als bloße Formsache mißverstanden würde. Doch nun der Text von 1910:

Littera motu proprio "Sacrorum antistites", 1. Sept. 1910: Iusiurandum contra errores modernismi

Ich umfasse fest und nehme an alles und jedes Einzelne, was vom irrtumslosen Lehramt der Kirche bestimmt, aufgestellt und erklärt ist, besonders die Hauptstücke ihrer Lehre, die unmittelbar den Irrtümern der Gegenwart entgegen sind.

Erstens: Ich bekenne, dass Gott, der Ursprung und das Ende aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft durch das, was geschaffen ist, d.h. durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als Ursache mittels der Wirkung, mit Sicherheit erkannt und auch bewiesen werden kann.

Zweitens: Ich anerkenne die äußeren Beweismittel der Offenbarung, d.h. die Werke Gottes, in erster Linie die Wunder und Prophezeiungen, als ganz sichere Zeichen des göttlichen Ursprungs der christlichen Religion. Ich halte fest, dass sie dem Geist aller Zeiten und Menschen, auch der Gegenwart, auf das beste angepasst sind.

Drittens: Fest glaube ich, dass die Kirche, die Hüterin und Lehrerin des geoffenbarten Wortes, durch den wahren und geschichtlichen Christus selbst, während seines Lebens unter uns, unmittelbar oder direkt eingesetzt, und dass sie auf Petrus, den Fürsten der apostolischen Hierarchie, und auf seine steten Nachfolger gebaut wurde.

Viertens: Ohne Rückhalt nehme ich die Glaubenslehre an, die von den Aposteln durch die rechtgläubigen Väter stets in demselben Sinn und in derselben Bedeutung bis auf uns gekommen ist. Deshalb verwerfe ich ganz und gar die irrgläubige Erfindung der Entwicklung der Glaubenssätze, die von einem Sinn zu einem andern übergingen, der abweiche von dem Sinn, den die Kirche einst gemeint habe. Ebenso verwerfe ich jeden Irrtum, der das göttliche, der Braut Christi übergebene Vermächtnis, das von ihr treu bewahrt werden soll, durch eine Erfindung unseres Denkens oder durch eine Schöpfung des menschlichen Bewusstseins ersetzen will, das durch menschliches Bemühen langsam ausgebildet wurde und sich in Zukunft in unbegrenztem Fortschritt vollenden soll.

Fünftens: Als ganz sicher halte ich fest und bekenne aufrichtig, dass der Glaube nicht ein blindes religiöses Gefühl ist, das aus dem Dunkel des Unterbewusstseins im Drang des Herzens und aus der Neigung des sittlich geformten Willens entspringt, sondern dass er eine wahre Zustimmung des Verstandes zu der von außen durch Hören empfangenen Wahrheit ist, durch die wir auf die Autorität Gottes des Allwahrhaftigen hin für wahr halten, was uns vom persönlichen Gott, unserm Schöpfer und Herrn, gesagt, bezeugt und geoffenbart worden ist.

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In schuldiger Ehrfurcht unterwerfe ich mich mit ganzem Herzen und schließe ich mich an allen Verurteilungen, Erklärungen, Vorschriften, wie sie im Rundschreiben "Pascendi" und im Entscheid "Lamentabili" enthalten sind, besonders, insoweit sie sich auf die sogenannte Geschichte der Glaubenssätze beziehen. Auch verwerfe ich den Irrtum derer, die behaupten, der von der Kirche vorgelegte Glaube könne der Geschichte widerstreiten und die katholischen Glaubenssätze könnten in dem Sinn, in dem sie jetzt verstanden werden, mit den Ursprüngen der christlichen Religion, wie sie wirklich waren, nicht in Einklang gebracht werden.

Ich verurteile und verwerfe auch die Auffassung derer, die sagen, ein gebildeter Christ führe ein Doppeldasein, das Dasein des Gläubigen und das Dasein des Geschichtsforschers, als ob es dem Geschichtsforscher erlaubt wäre, festzuhalten, was der Glaubenswahrheit des Gläubigen widerspricht, oder Voraussetzungen aufzustellen, aus denen sich ergibt, dass die Glaubenssätze falsch oder zweifelhaft sind, wenn man sie nur nicht direkt leugnet.

Ich verwerfe ebenso eine Weise, die Heilige Schrift zu beurteilen und zu erklären, die die Überlieferung der Kirche, die Entsprechung zum Glauben und die Normen des Apostolischen Stuhls außer acht lässt, die sich den Erfindungen der Rationalisten anschließt und die Kritik am Texte ebenso unerlaubt wie unvorsichtig als einzige und oberste Regel anerkennt. Auch die Auffassung derer verwerfe ich, die daran festhalten, ein Lehrer der theologischen Geschichtswissenschaften oder ein Schriftsteller auf diesem Gebiet müsse zuerst jede vorgefasste Meinung vom übernatürlichen Ursprung der katholischen Überlieferung oder von einer Verheißung der göttlichen Hilfe zur steten Bewahrung einer jeden geoffenbarten Wahrheit ablehnen. Die Schriften der einzelnen Väter müssten nach rein wissenschaftlichen Grundsätzen erklärt werden unter Ausschluss jeder Autorität und mit derselben Freiheit des Urteils, mit der man jedes außerkirchliche Denkmal der Geschichte erforscht.

Endlich bekenne ich ganz allgemein: Ich habe nichts zu schaffen mit dem Irrtum, der die Modernisten glauben lässt, die heilige Überlieferung enthalte nichts Göttliches, oder, was noch viel schlimmer ist, der sie zu einer pantheistischen Deutung der Überlieferung führt, so dass nichts mehr übrigbleibt als die nackte, einfache Tatsache, die in einer Linie steht mit den gewöhnlichen Geschehnissen der Geschichte, die Tatsache nämlich, dass Menschen durch ihre eigenen Bemühungen, durch ihre Sorgfalt und Einsicht die von Christus und seinen Aposteln begonnene Schule in den nachfolgenden Zeitabschnitten fortsetzten. So halte ich denn fest und bis zum letzten Hauch meines Lebens werde ich festhalten den Glauben der Väter an die sichere Gnadengabe der Wahrheit, die in der Nachfolge des bischöflichen Amtes seit den Aposteln ist, war und immer sein wird, so dass nicht das Glaubensgegenstand ist, was entsprechend der Kultur eines jeden Zeitabschnittes besser und passender scheinen könnte, sondern dass niemals in verschiedener Weise geglaubt, nie anders verstanden wurde die absolute, unabänderliche Wahrheit, die seit Anfang von den Aposteln gepredigt wurde.

Ich gelobe, dass ich das alles getreu, unversehrt und rein beobachten und unverletzt bewahren, dass ich in der Lehre oder in jeder Art von Wort und Schrift nie davon abweichen werde. So gelobe ich, so schwöre ich, so helfe mir Gott und dieses heilige Evangelium Gottes.

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