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Was ist eigentlich Indietrismus?

Bild: CBC-NewsNur für den Fall, daß Sie auf einer Insel der Seligen leben und noch nicht mitgekriegt haben, was Indietrismus ist: Das soll soviel wie Rückwärtsgewandheit oder Restaurationismus bedeuten. Mit diesem von ihm höchstselbst erfundenen Ausdruck bezeichnet unser hl. Stiefvater alle Katholiken, die an der Apostolischen Tradition und kirchlichen Überlieferung auch da festhalten, wo es ihm nicht in den jesuitischen Kram passt – und das ist ziemlich viel. Wenn Sie, lieber Leser, also nicht zum ersten Mal „Summorum Pontificum“ besuchen, sondern – alleine oder mit anderen, mehrmals oder gar gewohnheitsmäßig – dann müssen Sie nur in den Spiegel schauen und blicken in das Gesicht eines Indietristen. Dann gehören Sie nach Meinung von Franziskus zur größten Gefahr, die die „heutige Kirche“ bedroht: zu den finsteren Kräften, die „sich der Moderne widersetzen“. Oder in unserer Lesart: Sie sind einer von denen, die trotz aller Widrigkeiten den richtigen Kurs halten oder sich zumindest die größte Mühe geben.

Die „Moderne“ – wie auch immer Hegel oder Marx den Fortschritt im Detail gesehen haben mögen – als Orientierungspunkt oder Leitstern der Kirche und Widerstand dagegen als Hauptsünde – auf die Idee muß man erst einmal kommen. Das verwirft nicht nur die anderthalb Jahrtausende messende Tradition der römischen Liturgie, das stellt die ganze Lehre in Frage, die Christus seinen Aposteln anvertraut hat, und deren wesentlicher Inhalt immer darin bestanden hat, das „Gesetz nicht zu verwerfen, sondern es „zu erfüllen“ und dem „Fürsten dieser Welt“ – heute gerne als „Zeitgeist“ verharmlost – zu widersagen.

Hier geht es weiterUnd selbst bei Jesuitens müßte sich inzwischen herumgesprochen haben, daß „die Moderne“ der Welt nicht nur Penizillin und die Möglichkeit zur friedlichen Nutzung der atomaren Kräfte gebracht hat, sondern auch Doktrinen, die mit der vermeintlichen Abschaffung der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit und einem immer unverholeneren Hinsteuern auf den Nuklearkrieg den Fortbestand der Menschheit in Frage stellen. Und daß die Kirche Christi – nehmen wir einmal Afrika, von dem wir zuwenig wissen, aus unserer Betrachtung – auf allen Kontinenten in Stagnation, Niedergang und Absturz begriffen ist, seit sie auf dem gescheiterten Pastoralkonzil des vergangenen Jahrhunderts der Moderne mehr als nur ein paar Finger gereicht hat, kann auch nur noch der übersehen, der in blindem Progressivismus längst den Kontakt zur Realität verloren hat – zur natürlichen ebenso wie zur übernatürlichen.

Das angesprochene Phänomen im Zusammenhang mit dem aktuellen Pontifikat und anderen kirchlichen Tatbestände zu beschreiben, gilt in weiten Kreisen der Kirche – verständlicherweise – noch als ungehörig. Umso dankbarer sind wir daher Carl Trueman, der in einem höchst lesenswerten Beitrag auf „First Things“ einen wichtigen säkularen Teilaspekt dieser Enzwicklung analysiert hat: die Sucht, immer und überall von Gott oder der Natur gesetzte Grenzen zu überschreiten, in der wahnhaften Vorstellung, damit endlich das Versprechen der alten Schlange einulösen: „Ihr werdet sein wie Gott und erkennen (besser: bestimmen), was gut und was böse ist.“

Trueman beginnt seine Überlegungen mit einem Rückgriff auf das berühmte „Gott ist tot – wir haben ihn ermordert“ von Friedrich Nietzsche. Und er deutet an, daß das, was bei Nietzsche noch ein Schreckensruf war, heute eher ein Jubelruf derer ist, die an der Spitze des Fortschritts (wie sie meinen) marschieren. Zur Illustration zieht er die aktuell im Europäischen „Parlament“ veranstaltete Ausstellung mit Bildern der LGBT-Ideologin Elisabeth Olson, die wie schon so viele vorher wieder einmal besser zu wissen glaubt, was Jesus heute predigen würde: Eben ihr LGBT-Evangelium. Dabei geht es ihm weniger um eine Auseinandersetzung mit der LGBT-Ideologie und Propaganda an sich – deren Ablehnung setzt er bei seinen Lesern voraus. Statt dessen konzentriert er sich darauf, die Armut und Kläglichkeit einer Zeitgeist-Unkultur herauszustellen, die glaubt, immer noch mit „Grenzüberschreitungen“ Aufsehen erregen zu können, wo doch alle Grenzen amtlicherseits längst zur Disposition gestellt worden sind – alljährlich freie Geschlechtswahl im Personalausweis inklusive.

Eine seiner Schlußfolgerungen: „(Der Kultursoziologe)Philip Rieff prägte den Begriff „Deathwork“, um sich auf jene Kunstwerke zu beziehen, die Krieg gegen eine Kultur führten, indem sie Redewendungen des Heiligen verwendeten, um das Heilige zu zerstören. Es ist verlockend, die EU der Förderung einer solchen Todesarbeit in dieser Ausstellung der sexuellen Fetische unserer heutigen Welt zu beschuldigen. Aber das würde sowohl dem Künstler als auch der Kunst schmeicheln. Dies ist kein Todeswerk, denn das, was es verspottet, ist bereits tot. Es ist vielmehr ein Sinnbild für das Vakuum, das die westliche Kultur ersetzt hat. Solche Kunst sagt nichts Neues, weil sie Teil einer Kultur ist, die nichts zu sagen hat. Alles, was sie tun kann, ist, die Bilder einer religiösen Vergangenheit wieder aufzuwärmen und sich einzubilden, daß sie damit eine unterdrückende Machtstruktur niederreißt.“

Dem kann mein weitgehend zustimmen – Papst Johannes Paul II. und der damalige Kardinal Ratzinger haben diese Analyse mit ihrem Begriff der Kultur des Todes (Evangelium Vitae von 1995) schon in vielem vorweggenommen. Doch die Diagnose: „Dies ist kein Todeswerk, denn das, was es verspottet, ist bereits tot“ erscheint etwas verfrüht, etwas zu absolut. Oder sollte doch die nach dem vergangenen Konzil von vielen ausgerufene (und mit der Wahl Bergoglios anscheinend bekräftigte) Fortschrittskirche den Glauben, den sie früher einmal bekannte, ebenfalls für tot und erledigt halten?

Autor Trueman hätte für seine Überlegungen übrigens nicht unbedingt auf das europäische Parlament zurückrgeifen müssen. Eine in der Tendenz ganz ähnliche Kunstausstellung – nur mit Gemälden statt Photos – hat ungegefähr gleichzeitig in der New Yorker Paulisten-Kirche stattgefunden – Gräuel des Zeitgeistes an heiliger Stätte und nicht nur im wahrhaftig toten Parlament zu Brüssel. Davon, daß der zuständige Bischof gegen das Treiben der auch sonst überaus progressiven Patres Widerspruch eingelegt hätte, ist nichts bekannt geworden. Erst der Aufschrei von Gläubigen, die es – vermutlich als indietristische Minderheit – auch in New York noch gibt, hat diesem Skandal ein Ende bereitet.

Der römische Skandal namens Paglia dauert indessen unvermindert an, und das überrascht uns kein bißchen. Man mag dem unter den Päpsten Benedikt  und Franziskus in höchste Kurienämter beförderten Erzbischof alles mögliche vorwerfen – aber der neuen Hauptsünde des Indietrismus, also des Festhaltens an, an dem, was immer galt und geglaubt worden ist, hat er sich bestimmt nicht schuldig gemacht.

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