Geht Freiburg ins Schisma?
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- 07. Oktober 2013
Im Bistum Freiburg werden also künftig sog. „wiederverheiratete Geschiedene“ zum Tisch des Herrn treten und ihren neuen Bund in einer kirchlichen Zeremonie segnen lassen können. Das ist, wenn auch hinter viel Pastoralsprech und Wortnebel verborgen, der faktische Inhalt der nun vom „Seelsorgeamt Freiburg“ veröffentlichten Handreichung „Menschen begleiten – auch beim Scheitern von Ehen“. In einer Zeit, da der Bischofsstuhl von Freiburg vakant ist, unternimmt die Diözesanbürokratie damit einen Schritt, der das Potential hat, zur Initialzündung einer zweiten deutschen Reformation und der Bildung deutscher Nationalkirchen zu werden. Reaktionen aus der Weltkirche lassen erkennen, daß dieses Potential zwar teilweise erkannt wird – daß aber kaum Vorstellungen bestehen, wie dem zu begegnen wäre.
Der Freiburger Schritt hat enorme Konsequenzen kirchenrechtlicher und sakramententheologischer Art. Er bedeutet, sollte er nicht von einer höheren Autorität kassiert werden, ein Abrücken von der Einheit der Lehre und eine Neudefinition des Verhältnisses zwischen petrinischem Amt und Ortskirche. Er betrifft sowohl das Verständnis von Schuld, Sünde und Vergebung als auch von Eucharistie. Wir wollen uns hier zunächst nur mit dem letzteren befassen, weil da der Bezug zur Liturgie und ihren Veränderungen in den letzten Jahrzehnten offensichtlich ist.
Die liturgische Realität und Praxis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mag viele Schwächen gehabt haben, zwei Kernpunkte der Lehre der Kirche waren dennoch jedem Messbesucher bekannt und fanden im liturgischen Geschehen einen wiedererkennbaren Ausdruck: In der hl. Messe traten Priester und Kirche – damit auch jeder einzelne Gläubige – vor den Allmächtigen, leisteten Abbitte für ihre Sünden und feierten das über der Zeit stehende Erlösungsopfer Christi, um dessen Gnaden teilhaftig zu werden. In der mindestens einmal im Jahr stattfindenden hl. Kommunion öffnete jeder sein Herz für eine Vereinigung mit dem ganzen Christus, Sohn Gottes, und es war eine selbstverständliche Vorbedingung dafür, sich zuvor von allem loszusagen und zu reinigen, das den Geboten Gottes widersprach.
Um soviel zu wissen, brauchte es keinen Religionsunterricht, noch nicht einmal eine Schule, auch keine Lateinkenntnis und keinen Schott. Es reichte die ständige Unterweisung in der Lehre durch die Predigt und die Anschauung in der Liturgie. Das so erworbene Bewußtsein von der Realpräsenz mag theologisch nicht sehr ausgefeilt gewesen sein – aber es handlungsbestimmend.
Der Besuch einer ganz normalen sonntäglichen Eucharistiefeier im Deutschland des Jahres 2013 zeigt, daß davon nach einem halben Jahrhundert Liturgiereform praktisch nichts übrig geblieben ist. Dabei wollen wir den Punkt „Predigt" hier noch gnädig außer Acht lassen und uns auf die Liturgie beschränken: Ihre Texte werden zwar laut und in der Alltagssprache gesprochen – verständlicher scheinen sie dadurch jedoch nicht geworden zu sein. Interpretieren wir das Tun von Vorsteher und Versammlung nach dem Augenschein, so sind wir bei einer Art in Maßen frommer Zusammenkunft, die „irgendwie“ das weite Feld zwischen Gott und der Welt zum Gegenstand hat und bei der es insbesondere darauf ankommt, Gemeinschaft auszudrücken und zu empfinden. Höhepunkte dieses Gemeinschaftserlebnisses sind eine feierliche Brotweihe sowie ein rituelles Händereichen und der anschließende gemeinsame Gang zum Tisch des Herrn, durch den alle Eins werden, da sie doch Teil an dem einen Brote haben.
Die Beschreibung mag etwas einseitig anmuten, aber in der Diagnose ist leicht Übereinstimmung zu erzielen: Die früher selbstverständliche „vertikale“ Orientierung ist fast vollständig hinter einer „horizontalen“ verschwunden – bis hin zu gar nicht so seltenen Extremfällen, in der die Gemeinde nur noch sich selbst feiert. Das Bewußtsein der Realpräsentz Christi im Sakrament des Altares ist ausweislich von Befragungen nur noch bei einer Minderheit der Gottesdienstteilnehmer vorhanden.
Und genau da sind wir an der Stelle, durch die der „Auschluß der wiederverheirateten Geschiedenen“ vom Tisch des Herrn zum alles bestimmenden „pastoralen Problem“ wird und das ganze Elend der mit der Liturgiereform einhergehenden (nicht unbedingt: ausgelösten) Fehlorientierungen zutage tritt. Wo die Kommunion in erster Linie Begegnung des Menschen mit seinem Erlöser und Gott ist, ist es unmittelbar einsichtig, daß eine solche Begegnung der rechten Disposition bedarf, soll sie nicht zum Verderben führen. Doch wo sich die horizontale Dimension in den Vordergrund drängt, während das Bewußtsein für das Sakrale schwindet, wirkt der (scheinbare) Ausschluß vom gemeinsamen Mahle als herzlose Kränkung, „Diskriminierung“ und letztlich als schreiende Ungerechtigkeit – denn Sünder sind wir doch schließlich alle, nicht? So ist es kein Wunder, daß das Sprachrohr des ins Schisma drängenden deutschen Reformkatholizismus das Thema unter dem Titel: „Mehr Rechte für Wiederverheiratete“ abhandelt: Wir klagen unsere Rechte ein – die Zeiten, in der wir demütig Gnade aus der Hand Gottes empfingen, sind vorbei.
In dieser Situation wirkt jeder Schritt, der zur Behebung dieser vermeintlichen Ungerechtigkeiten getan wird, verhängnisvoll, weil er das Wesen dessen, worum es in Wirklichkeit geht, weiter verschleiert. Um zwei Missverständnissen vorzubeugen: Ja, die Begegnung mit Christus in der Kommunion hat auch eine Bedeutung für die Gemeinschaft. Sie schafft Gemeinschaft – von Christus her und in dem Maß, wie Gemeinschaft mit ihm besteht. Und zweitens ist die „Verdunstung“ des Glaubens an die Realpräsenz natürlich nicht schlichtweg eine „Folge" der Liturgiereform. Glaube und Liturgie, Lex credendi und lex orandi stehen in einem engen Wechselverhältnis zueinander. Jeder Schritt zur Verweltlichung des einen zieht entsprechende Auswirkungen auf der anderen Seite nach sich, so entsteht eine verderbliche Abwärtsspirale, die sich mit dem allgemeinen Glaubensverlust und der allgegenwärtigen Säkularisierung immer schneller zu drehen scheint.
Die Liturgiereform – das kann 50 Jahre nach der hoffnungsfrohen Proklamation von „Sacrosanctum Concilium“ mit Entschiedenheit gesagt werden – hat nichts dazu beigetragen, dieser Abwärtsspirale Einhalt zu bieten. Vieles spricht dafür, daß sie in ihren praktischen Auswirkungen und ihren theoretischen Grundlagen diesen Niedergang massiv beschleunigt hat. Mit dem angekündigten Ausscheiden des Erzbistums Freiburg aus der im gemeinsamen Glauben begründeten Sakramentengemeinschaft der Kirche erreicht der Prozess ein neues Stadium.
Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774 - 1860) war als Kirchenpolitiker einer der profiliertesten Vertreter nationalkirchlicher Bestrebungen im frühen 19. Jahrhundert. Seine von der Politik betriebene Ernennung zunächst als Bischof des damals bedeutenden Bistums Konstanz als auch später des Erzbistums Freiburg scheiterte am Widerspruch des Papstes (Pius VII.). Dort bewahrt ihm die Diözese bis heute ein ehrendes Andenken. Bild: Wikimedia