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Religiös unmusikalisch?

Dafür, daß er sich als „religiös unmusikalischen Beobachter“ bezeichnet, wendet sich der Medienwissenschaftler Norbert Bolz erstaunlich oft Religionsthemen zu - und das mit einem Klarblick und einer Courage, um die ihn mancher hauptberufliche Religionsvertreter beneiden sollte. Am 15. Dezember hat der Südwestfunk einen Vortrag Bolz' ausgestrahlt, in dem er mit großer begrifflicher Präzision herausarbeitet, warum Religion nicht eines von vielen Elementen ist, die in ihrer Gesamtheit und in ihrem Zusammenspiel eine „pluralistische Gesellschaft“ ausmachen, sondern der grundsätzliche Gegenentwurf, das überlebensnotwendige Ganz Andere. Also nichts, das per „Aufklärung“ überwunden und abgetan werden müsste - eher schon andersrum. 

“Man denkt mit dem, was man glaubt“, hat Bolz beobachtert, um dann zuzuspitzen: 

„Es gibt also keinen großen Unterschied zwischen einem frommen Menschen und zum Beispiel einem Habermasianer. Nur dass der fromme Mensch weiß, dass er glaubt, während der Habermasianer glaubt, dass er weiß. Deshalb spricht auch nichts gegen Orthodoxie. Wer fromm ist, hat kein Interesse am Marktplatz der Ideen. Er hat die Wahrheit - und deshalb kein Interesse an einer anderen Wahrheit. Was nämlich eine Religion, die sich ernst nimmt, von einer bloßen Meinung unterscheidet, ist der Anspruch auf privilegierten Zugang zur Wahrheit. Nur tote Ideen existieren in der Form der friedlichen Koexistenz nebeneinander, sagt Robert Spaeman.“

Mit Unverständnis, wenn wir das richtig sehen, sogar mit Bedauern, konstatiert der Religionsbeobachter,  daß die Religionsvertreter des lieben lauen Friedens zuliebe davon heute wenig wissen wollen: 

Gegen diese Einsicht sperrt sich das moderne Christentum. Soweit sich die christlichen Kirchen auf das Konzept der Zivilreligion einlassen, beschreiben sie sich selbst funktionalistisch. Heilsversprechen gibt es dann nicht mehr. Als Zivilreligion hat das Christentum die großen Themen wie Kreuz, Erlösung und Gnade aufgegeben und durch einen diffusen Humanismus kompensiert. Wie andere westliche Institutionen gerät es damit in die Modernitätsfalle. Die christliche Zivilreligion leidet nämlich nicht daran, dass sie mit der Kulturentwicklung nicht mitkäme, sondern an ihrer eigenen Realitätsgerechtigkeit. Gerade weil sie so modern und „aufgeklärt“ ist, kann sie nicht mehr Heil versprechen und eine neue Welt prophezeien.“

Selten sah man das Wesen von Glaubensverlust, Verweltlichung und Selbstsäkularisierung präziser zusammengefasst. Der Vortrag ist beim SWR als Manuskript zu bekommen - die Lektüre wird dringend empfohlen.

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