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Ökumenische Öffnung I

Die sog. Katholische Nachrichtenagentur KNA verbreitete dieser Tage eine Meldung, daß die Piusbruderschaft „in Zusammenarbeit mit der ‚Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche' SELK“ Exerzitien in einem Haus der SELK veranstalte. Mehr Substanz als die Tatsache, daß die Veranstaltung in einem Haus der SELK stattfindet, hatte diese Blüte investigativen Journalismus nicht – aber es reichte der Agentur, die jeweils eine Seite wegen unterstellter Zusammenarbeit mit der anderen zu denunzieren und der Piusbruderschaft im gleichen Atemzug vorzuwerfen, sie lehne die als Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils erfolgte Ökumenische Öffnung ab.

Nun sind sowohl die SELK als auch die „Ökumenische Öffnung“ jeweils für sich ein weites Feld. Die Gemeinden der SELK sind generell ihren jeweiligen „reformierten“ oder „lutheranischen“ Traditionen mehr verbunden als dem „glaubt, was Euch gefällt“ der EKD. Wenn man genau hinschaut, kann man tatsächlich zwei (mehr oder weniger) Ökumenische Bewegungen in der europäischen Christenheit erkennen. Das eine ist der gewaltige Zug zur Käßmann/Lehmann-Union, dem sich nicht nur die Piusbruderschaft nach Kräften entgegenstemmt. Das andere ist eine Wiederbesinnung auf frühere Gemeinsamkeiten zwischen Gemeinschaften aus der Reform und Katholiken, die sich gegen den trügerisch als Ökumenismus ausgegebenen Säkularisierungskurs zur Wehr setzen und dabei auch zu unterschiedlichen Formen der Zusammenarbeit über konfessionelle Grenzlinien finden.

Diese Gemeinsamkeit kann so weit gehen, daß Gruppen von „Reformierten“ in die Einheit mit Rom zurückkehrt, ohne ihre besonderen Traditionen und echten historischen Errungenschaften aufgeben zu müssen – so geschehen bei den Anglikanern, denen Papst Benedict unter AnglicanorumCoetibus einen akzeptablen Weg aufgezeigt hat. Unter erheblichem Widerstand der großen Teile des Episkopats, das ‚Ökumene' sagt, wo es ‚Selbstsäkularisierung' meint.

Wer ein wenig in die Geschichte des deutschen Protestantismus zurückschaut, kann auch dort einen großen Fundus an Übereinstimmung mit dem katholischen Glauben vorfinden. Besonders für die Zeit vor den ersten „Frauenordinationen“ in den 40er Jahren waren die Gemeinsamkeiten vor allem in der Glaubenspraxis so stark, daß man sich heute verwundert fragen muß, warum in dieser Zeit die gegenseitigen Vorbehalte und Vorurteile gerade bei der Masse der Gläubigen so stark waren, wie sie im historischen Rückblick tatsächlich festgestellt werden müssen. Seitdem ist die Entwicklung von einer paradoxen Gegenläufigkeit geprägt: Während offizielle Verlautbarungen nicht nur in Deutschland die Ökumene hoch preisen und die Bedeutung dessen, „was uns noch trennt“ herunterspielen oder praktisch ganz leugnen, haben sich Lehre, Kirchendisziplin und Glaubenspraxis immer weiter auseinanderentwickelt. Auch die von Lehmann, Kasper und anderen seit vielen Jahren betriebene Aufholjagd konnte nicht verhindern, daß der Abstand immer noch zunimmt.

Daß die Entchristlichung des Protestantismus nicht von allen Gemeinden und Gemeinschaften, die aus der Reformation hervorgegangen sind, mitgetragen wird, ist unverkennbar. Daß daraus insbesondere zur Bewältigung des Alltags immer wieder die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Katholiken entsteht, die sich in ihrem Bereich dem Säkularisierungstrend entgegenstemmen, ist erfreulich. Verfechter eines Begriffs von Ökumene, die darin ein Mittel sehen, die Beteiligten zu diskreditieren, sprechen sich selbst das Urteil.


Unser Bild zeigt das Titelblatt des populären Andachtsbuchs von Benjamin Schmolck (erschienen 1720) mit seinen Buß-, Beicht- und Kommunionandachten zur Vorbereitung auf den Empfang des Abendmahls. Ein katholischer Priester, der das darin enthaltene Material zur Grundlage seiner Sonntagspredigt machen wollte, sähe sich zweifellos Anschuldigungen aus seinem Ordinariat ausgesetzt, Gedankengut der Piusbruderschaft zu verbreiten.

Anmerkung neben der Sache und trotzdem dazugehörig: Wikipedia weiß zum schlesischen Pastor, Dichter deutscher Sprache und Untertanen der österreichischen Krone Benjamin Schmolck mitzuteilen, der sei 1672 in Chrostnik, Polen geboren und 1737 im Polnischen Swidnica gestorben. Das sind dann die Heroen der aufgeklärten Wissenschaft, die Immanuel Kant für einen Russischen Philosophen halten.

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