Die letzte Träne
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- 18. Februar 2016
Dieser Tage hat Pfarrer Thomas Frings von der Heilig-Kreuz-Gemeinde in Münster mitgeteilt, daß er seinen Bischof gebeten hat, „als Pfarrer entpflichtet und als Priester beurlaubt“ zu werden. Er will sich ab Ostern in ein Kloster in den Niederlanden zurückziehen und in Ruhe über seine zukünftige Orientierung nachdenken. Nein – diesmal steckt soweit man weiß keine Frau dahinter, und es geht auch nicht um eine normale Midlife crisis oder ein berufliches Burn out, wie sie jeden treffen können. In einem langen Brief an seine Gemeinde äußert Frings seine tiefsitzenden Zweifel daran, daß die Kirche in ihrer gegenwärtigen Erscheinungsform ihrem eigenen Selbstverständnis gerecht werden oder die Erwartungen der Menschen erfüllen könnte. Der Brief ist ein erschütterndes Zeugnis gegen all die Schönredner und Berufsoptimisten, die unentwegt von starken Aufbrüchen und einem neuem Frühling im Gefolge „des Konzils“ fabulieren und daraus einen Pastoralplan nach dem anderen entwickeln.
Solange ich lebe, kenne ich nur eine schwindende Zahl bei den in der Kirche Aktiven und eine wachsende bei den Kirchenaustritten. Die Reaktionen auf dieses Phänomen sind bei Kirchenleitung, Gemeindeleitung und in den Gemeindegremien sehr ähnlich. Gemeinden, Seminare und Klöster werden geschlossen oder zusammengelegt, um dann meist das Bisherige weiterzumachen. Als ich 1980 mit dem Studium begann hieß es, die Nachwuchszahlen gehen bergauf. Das anschließende Sinken wurde mit der sinkenden Geburtenrate erklärt. Als der Rückgang erheblich unter den der Geburtenrate sackte, gab es den Trost, dass die Zahl der Priester im Verhältnis zu den Gottesdienstbesuchern höher sei als noch vor Jahren und weltweit sowieso. Der z.T. hohe Einsatz von Priestern der Weltkirche, ermöglicht durch die Kirchensteuer, überbrückte wiederum einige Jahre. Inzwischen steuern die Eintrittszahlen in den Seminaren mancherorts auf eine Null-Linie zu. Wir gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell der Vergangenheit. Auch ich habe dafür nicht die eine Lösung parat. Was erwarten wir von den Männern, die sich in dieser Situation auf den Weg machen, um Priester zu werden. Kann man dafür guten Gewissens noch werben?
Die Formulierung „Wir gestalten die Zukunft von Kirche in den Gemeinden immer noch nach dem Modell der Vergangenheit“ mag darauf hindeuten, daß Pfarrer Frings sicher nicht das ist, was man gemeinhin als „einen Freund der Tradition“ bezeichnen würde. Aber auch kein „Gegner“ Und dafür muß man dankbar sein, denn die von ihm aufgeworfenen Fragen betreffen die „Traditionalisten“ ebenso wie die bürokratisierte Lehmann-Kirche. Darauf wird noch zurückzukommen sein.
Ausgangspunkt der mit zahlreichen Einzelbeobachtungen aus der Praxis belegten kritischen Überlegungen Frings' ist die Feststellung, daß die Kirche in ihrer Aktivität, Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung immer mehr als soziales Dienstleistungsunernehmen erscheint:
Was sich unter dem Begriff ´Caritas´ herausgebildet hat, ließ der Kirche lange Zeit höchsten Respekt zukommen. Das soziale Engagement war eine gute Begründung für eine Kirchenmitgliedschaft. Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass die Menschen Caritas und Kirche kaum mehr zusammen sehen. Wofür steht Kirche dann noch bei diesen Menschen? Manche Begründung amtlicherseits zur Kirchenmitgliedschaft offenbart eine sehr praktische und finanzielle Sicht auf Kirche.
Frings beklagt zum einen die darmit einhergehende spirituelle Verarmung und das allgemeine Unverständnis für das Wesen der Sakramente. Zum anderen versucht er mit in der deutschen Kirche seltener Klarheit, zu den Ursachen der Entwicklung vorzustoßen.
Wir haben den Satz ´Die Menschen da abzuholen wo sie stehen´ gelernt umzusetzen. Jetzt müssten wir noch den Umstand akzeptieren, dass immer mehr Menschen gar nicht dahin wollen, wo wir sie hinführen möchten, nämlich zur Mitfeier dieser Sakramente.
Auch das ist in seinen Augen kein unerklärlichers Verhängnis, sondern Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung, die völlig anders verlaufen ist als von der Kirche erwartet – und, wie wir hinzufügen dürfen, von den Texteverfassern und Texteerklären des 2. Vatikanums zur Grundlage ihrer „Theologie der Verheutigung“ gemacht worden ist.
Wir sind Teil einer gesellschaftlichen Entwicklung, auf die wir nur einen marginalen Einfluss haben. Und das wir durch Kindergärten als Lernorte des Glaubens oder kirchliche Schulen noch spürbaren Einfluss nehmen, daran habe ich den Glauben verloren. Trotz des Versprechens der Eltern hinsichtlich der Erziehung im Glauben, können die meisten Kinder bei der Kommunionvorbereitung weder Kreuzzeichen noch Vater Unser. Doch alle gehen jahrgangsweise zur Kommunion, mit der die meisten Familien weder vorher noch nachher etwas anfangen. Dies sind Realitäten, mit denen ich mich kaum mehr abfinden kann. Und ich habe mich 25 Jahre als Pfarrer wahrlich bemüht. (…)
Es ist auch nicht so, als ob ich wüsste, wie der Weg in die Zukunft für Kirche und Gemeinden auszusehen hat. Mein Leben als Priester habe ich als erfüllend erfahren und möchte weiter Priester bleiben. Dennoch erlebe ich es als Gemeindepfarrer vermehrt in einer Funktion des Bedienens von Traditionen und als Verfügungsmasse einer Kirche, die auf allen Ebenen mehr an ihrer Vergangenheit arbeitet als an ihrer Zukunft.
Demnach kann es nur heißen, dass ich bei mir etwas ändern muss. Ich möchte der Kirche und der Welt weiter als Priester dienen, dies aber an einem anderen Ort, im Wissen darum, was ich an Gutem aufgebe und dem Risiko, mich auf Unbekanntes einzulassen.
Der Blogger Markus Gehling, als Pastoralreferent mit den angesprochenen Entwicklungen bestens vertraut, geht in einem Beitrag auf seinem Blog Kreuzzeichen der bei Frings nur im Resultat angesprochenen gesellschaftlichen Entwicklung näher auf den Grund:
Keine Kirchenreform wird die Gesellschaft in Europa umkrempeln. Gerade las ich einen Text von Pastor Wilhelm Kolks über die Gemeinden in Ghana. Dort heißt es:
„Das einzige, was die Christen in Ghana nicht verstehen ist, wenn jemand nicht an Gott glaubt.“ Auf dieser Voraussetzung beruhte die mehr oder minder glorreiche und erfolgreiche Kirchengeschichte bis in unsere Zeit. Darauf baut auch die große Chance der Kirche in Afrika und Asien. Aber diese Voraussetzung schwindet in Europa mehr und mehr. Es gibt bei uns eine spürbare Gotteskrise. Zahlreichen Menschen fehlt nichts, wenn ihnen Gott fehlt. Doch damit fehlt uns der fruchtbare Boden, fehlen uns die Möglichkeiten, mit unserer Botschaft bei den Menschen anzuknüpfen. Alle Reformen, Millionen kreativer Ideen und menschennahe Gottesdienste haben es nicht vermocht, den schleichenden Auszug Gottes aus dem Leben der Menschen aufzuhalten. Auf die Verkündigung des Evangeliums erfolgt kein kraftvolles Echo mehr. (…) Ein weiteres großes Hindernis dürfte in der Tatsache liegen, dass unser „modernes“ Leben sehr stark auf Unabhängigkeit und Autonomie, auf Freiheit des Einzelnen setzt. Das wirkt dem kirchlichen Wunsch nach Gemeinschaftsbildung diametral entgegen. Die Verbundenheit in größere Gemeinschaften hinein schwindet und schwindet.
Dem ist nichts hinzuzufügen – außer vielleicht der Feststellung, daß diese historisch neuartige und einzigartige Fähigkeit, „ohne Gott zu leben“ und jeder bindenden Gemeinschaft auszuweichen, von einem ständig größer werdenden Teil der Gesellschaft als die größte Errungenschaft der Moderne überhaupt betrachtet und mit zunehmender Aggressivität als Ausweis der Teilnahmeberechtigung propagiert wird. Und selbstverständlich betrifft all das – wie von Fischer ebenso wie von Gehling ohne Jubel quasi nebenher festgestellt – in auch die Tradition in Liturgie und Lehre und ihre Vertreter, die ebenfalls keine Patentrezepte zu bieten haben.
Der letzte Anstoß für die Entscheidung von Frings, die Gemeindeseelsorge aufzugeben und sich zunächst in ein Kloster zurückzuziehen, die letzte kleine Träne, die das randvolle Fass zum Überlaufen brachte, war übrigens eine Episode im liturgischen Bereich: Bei einer Trauung verließ die Braut während der Zeremonie ihren Platz und stellte sich vor dem Altar auf, um „den schönsten Tag in ihrem Leben“ mit einem lauthals geschmetterten Liedchen der Schlagersängerin Helene Fischer zu krönen.
Hier noch einmal die Links zu den unbedingt vollständig lesenswerten Texten: Pfarrer Frings auf Facebook und Markus Gehling in Kreuzzeichen.