Im Labyrinth der Lehrämter
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- 18. März 2016
Am 16. März hat die Zeitschrift Avvenire ein Interview veröffentlicht, das der Jesuit Jacques Servais bereits im vergangenen Oktober mit dem Papa emeritus Benedikt geführt hat. Der Umstand, daß in diesem Text im Zusammenhang mit der schon von Päpsten des vergangenen Jahrhunderts vorgenommenen Hervorhebung der göttlichen Barmherzigkeit kurz auch Papst Franziskus erwähnt wird, hat z.B. katholisch.de dazu geführt, das Interview Benedikts als „Große Rückenstärkung für seinen Vorgänger“ auszugeben – ohne das näher zu begründen oder auch nur mehr als Bruchstücke des Textes in Übersetzung zugänglich zu machen. Dieser Mühe haben sich statt dessen die Blogger vom Beiboot Petri unterzogen, deren Übersetzung allerdings an einigen Stellen unvollständig oder unzuverlässig erscheint. Trotzdem sei die Lektüre – vielleicht mit einem korrigierenden Seitenblick auf die von katholisches.info gebotenen Varianten einiger Passagen – zur Information empfohlen, zumal die im Osservatore Romano auf englisch gegebene Version ebenso wie die deutsche Zusammenfassung von Radio Vatican teilweise gekürzt sind und dafür auch Passagen enthalten, die wir in Avvenire nicht wiederfinden konnten. Dieser bedeutende Text ist also von seinem ersten Erscheinen an auch Ausdruck der neuen Unübersichtlichkeit und Ambivalenz, die das römische Lehramt seit Jahren kennzeichnet.
Nicht nur deshalb würde eine ausführliche Beschäftigung mit dem Inhalt des Interviews Raum und Kompetenz von summorum-pontificum überfordern. Wir wollen jedoch die Aufmerksamkeit auf einen Kernbereich der Aussagen von Papst Benedikt lenken, in dem er zum ersten mal einen direkten Zusammenhang zwischen Aussagen des 2. vatikanischen Konzils und der gegenwärtigen Glaubenskrise herstellt. Wohlgemerkt: Nicht zwischen „mißverstandener Implementierung“ sondern wegen etwas, das der Emeritus zunächst als „tiefgreifende Evolution des Dogmas“ bezeichnet.
Dabei geht es um das rechte Verständnis des Lehrsatzes „extra ecclesiam nulla salus“. Auf eine entsprechende Frage des Interviewers führt der Papa emeritus aus:
Es gibt keinen Zweifel, daß wir an diesem Punkt mit einer tiefgreifenden Weiterentwicklung des Dogmas konfrontiert sind. Während die Väter und Theologen des Mittelalters immer noch der Meinung sein konnten, daß die gesamte Menschheit katholisch werden müsse und daß es Heidentum nur noch an den Rändern gäbe, haben die Entdeckung der Neuen Welt und der Beginn der Modernen Zeit die Perspektiven verändert. In der zweiten Hälfte der vorigen Jahrhunderts entwickelte sich umfassen das Bewußtsein, daß Gott nicht alle Ungetauften verloren gehen lassen und daß auch ein rein natürliches Glück keine Antwort auf die Fragen der menschlichen Existenz sein könne.
Wenn es wahr ist, daß die großen Missionare des 16. Jahrhunderts immer noch davon überzeugt waren, daß die Nichtgetauften für immer verloren seien – und das war der Ansporn ihres missionarischen Eifers - so wurde diese Überzeugung nach dem Zweiten Vaticanischen Konzils endgültig (nicht „endlich“, wie das Beiboot übersetzt) verlassen.
Daraus entstand eine tiefe doppelte Krise. Einerseits scheint das zukünftigem missionarischem Engagement jede Motivation zu nehmen. Warum sollte man versuchen, die Menschen zu überzeugen, den Christlichen Glauben zu akzeptieren, wenn sie auch ohne gerettet werden können? Aber auch für die Christen entstand ein Problem: die verpflichtende Natur des Glaubens und die dem entsprechende Lebensführung wurden ungewiss und fragwürdig. Wenn man sich auch auf andere Weise retten kann, ist es letztendlich nicht klar, warum der Christ durch die Anforderungen des Christlichen Glaubens und seiner Moral gebunden sein sollte. Wenn Glaube und Erlösung nicht mehr voneinander abhängen, verliert der Glaube selbst seine Motivation.“
Dieser Beschreibung des Dilemmas, die in den vergangenen Jahrzehnten millionenfach bestätigt worden ist, ist nichts hinzuzufügen – außer unsererseits die Frage: Kann eine Konzilsaussage, die solche Konsequenzen hat, tatsächlich als „endgültig“ stehen bleiben? Zugespitzt: Kann ein Konzil „endgültig“ Lehren verkünden, die den Glauben in seinen Grundlagen selbst untergraben?
Um diese (im Interview so nicht ausgesprochene) Frage mehr zu umgehen als zu beantworten, geht Papst Benedikt knapp auf bisher versuchten Lösungsansätze ein. Die von Karl Rahner entwickelte Theorie vom „anonymen Christentum“ aller Gutwilligen erscheint ihm ebenso untauglich wie der offene Religionspluralismus und -relativismus, dem alle Wege als Wege zur Erlösung gelten. Stattdessen lenkt er den Blick auf Henri de Lubac und einige andere moderne Theologen, die ein über das bisherige Verständnis hinausgehendes Konzept von „Stellvertretung“ entwickelt haben. In der Fassung von Radio Vatican, die wir so in Avvenire nicht wiedergefunden haben:
„Christus war und ist für alle, und die Christen, die in dem außerordentlichen Bild des Paulus in dieser Welt seinen Leib bilden, haben Anteil an diesem Sein-für. Man ist also Christ sozusagen nicht für sich selbst, sondern mit Christus für die anderen.“ Das löse zwar das angesprochene Problem nicht zur Gänze, „aber mir scheint das die wirklich wesentliche Intuition zu sein, dass dadurch die Existenz des einzelnen Christen berührt wird“. Es sei „für die Menschheit wichtig“, dass das „Sein-für“ geglaubt und praktiziert, dass dafür auch gelitten werde. „Diese Wirklichkeiten dringen mit ihrem Licht ins Innere der Welt als solcher und erhalten sie. Ich glaube, dass es für uns in der gegenwärtigen Lage immer deutlicher und verständlicher wird, was der Herr zu Abraham sagt – dass nämlich schon zehn Gerechte genügt hätten, um eine Stadt überleben zu lassen... Es ist aber klar, dass wir über die ganze Frage noch weiter nachdenken müssen.“
Wenn das, gesprochen von einem der scharfsinnigsten Theologen der Gegenwart, die Summe des ist, was zum Verständnis einer der zentralen „Lehren“ des letzten Konzils gesagt werden kann - dann sei uns Gott gnädig.