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Kaiser ohne Kleider

Als Hilfskonstruktion zur Überwindung oder besser gesagt Entschärfung aktueller innerkirchlicher Widersprüche wird derzeit propagiert, die Entscheidung von Streitfragen – wie etwa der Zulassung wiederverheireteter Geschiedener zur Kommunion – von ihrem Bezug zur durch die Zeit und über die ganze Welt einheitlichen Lehre der Kirche zu lösen und „für die pastorale Praxis“ den Bischofskonferenzen je nach den regionalen Erfordernissen und der gerade bestehenden „Lebenswirklichkeit“ zu übertragen. Fr. Hunwicke von „Mutual Enrichment“ hat dazu in der vergangenen Woche eine lesenswerte Stellungnahme vorgelegt, deren Kernaussagen wir hier übersetzt wiedergeben:

Es beginnt ein langes ZitatIch habe für solche Pläne nicht die geringste Sympathie. Zum Teil beruht das auf pragmatischen und persönlichen Überlegungen. Wir haben in der Kirche von England gesehen, was passiert, wenn man es zuläßt daß „Regionale Autonomie“ sich unbekümmert über die Lehre, die Tradition, die Bibel... und selbst das Herrengebot zur Einheit hinwegsetzt. Das war eine durch und durch hässliche und erbärmliche Erfahrung. Jedem Versuch, irgend etwas dem auch nur entfernt Ähnliches für die katholische Kirche einzuführen, oder allem, was als ein erster Schritt zu irgend etwas entfernt Ähnlichem dienen könnte, sollten rechtgläubige Katholiken mit jedem denkbaren Mittel entgegentreten, das ihnen zur Verfügung steht. Als ehemaliger Anglikaner kann ich nur warnen: Jahrzehntelange interne Auseinandersetzungen über diese Frage sind genau das, was die Kirche nicht braucht. Während der längsten Zeit meines Priesterdienstes in der Kirche von England hing diese Problematik wie ein finsterer Schatten über meinem Kopf. Jeder Versuch von wem auch immer, der katholischen Kirche eine ähnliche Wunde zuzufügen, verdient, wie Kardinal Burke angedeutet hat, Widerstand in jeder nötigen Form und mit aller Kraft, die uns Gottes Gnade gewähren mag.

Aber die Hauptmotive meiner Besorgnis sind Gründe der Lehre und nicht nur praktisch Erwägungen.

Wie Papst Benedikt klar gemacht hat, hat die Universalkirche sowohl zeitliche wie ontologische Priorität gegenüber den Ortskirchen. Die Einrichtung von Regionalkörperschaften mit eigener Autorität hätte verderbliche und spaltende Auswirkungen auf die Universalkirche. Walter Kasper, der die entgegengesetzte Auffassung vertritt, nämlich daß die ontologische Priorität bei der Ortskirche liege, hat kein Geheimnis daraus gemacht, daß er darin die Rechtfertigung für unterschiedliche katholische Regionen sieht wie z.B. das fortschrittliche Deutschland oder das zurückgebliebene Afrika, in denen es dann auch verschiedene Disziplinen in Bereichen geben kann, in denen Disziplin und Lehre untrennbar miteinander zusammenhängen. Damit stehen wir wieder vor der Frage, der gegenüber sich S. Thomas Morus für das Martyrium entschied: Ob ein Teil der kämpfenden Kirche eher das Recht hätte, sich gegen die Gesamtkirche zu wenden, als London gegen das ganze Reich.

Zum zweiten beruht ein solcher Vorschlag auf ekklesiologischem Analphabetismus. Es gibt einen Leib Christi, eine katholische Kirche. Sie besteht in zwei Existenzweisen. Da ist die Gesamtkirche, die sich über die ganze Welt erstreckt. Und da sind die Partikularkirchen mit ihrem Bischof, den Priestern und Diakonen, den Gläubigen. Diese Unterscheidung geht auf den hl. Paulus zurück, der den Plural „ekklesiai“ zur Bezeichnung der Ortskirchen verwendet, aber von „Ekklesia“ im Singular spricht, um den dahinter stehenden universellen Leib Christi so zu bezeichnen, als wäre er in jeder Ortskirche gegenwärtig. Die beiden sind eines. Die Catholica besteht in der Ortskirche, und man kann an der Catholica nicht Teil haben, ohne Teil seiner Ortskirche zu sein. Der Leib Christi existiert in der Ortskirche.

Diese theologische Trivialität läßt jeden Versuch scheitern, den Sachverhalt zu verunklaren - außer wenn man ganz eindeutig davon ausgeht, daß jede Kooperation von Diözesen rein funktional und auf bestimmte Aufgaben hin gerichtet ist. Regionalkirchen eigenen Rechts („die französische Kirche“, „die afrikanische Kirche“...) bedeuten in meinen Augen eine unverständliche und unerträgliche Verwirrung der einfachen Lehre von Schrift und Tradition. Und sie sind subversiv sowohl gegenüber der einzigartigen Stellung des Ortsbischofs (mit seiner curia von Priestern und Diakonen) und der einzigartigen Stellung des Römischen Pontifex (mit seiner curia). Ich war sehr davon angetan, als Benedikt XVI. den Titel eines Patriarchen des Westens aufgab – das war wirklich ein Beitrag zu ekklesiologischer Klarheit.
Alles in allem heißt das, daß die Curioa Episcopalis und die Curia Romana jeweils volle theologische Gewandung tragen, während die Bischofskonferenzen mit ihrer Bürokratie, so bestimmend, mächtig und gut bezahlt sie auch daher kommen, theologisch gesehen als Kaiser gänzlich ohne Kleider dastehen.

Um ehrlich zu seine habe ich meine Zweifel, ob der heilige Vater sich der politischen Motive bewußt ist, die sich manchmal mit theologischen Diskursen verbinden. Kaum an die Macht gekommen, beeilte er sich, Lobgesänge auf Kardinal Kasper anzustimmen, und er hat dieses Lob seitdem mehrmals wiederholt. Aber in den Jahrzehnten vor der Wahl von Papst Benedikt hat es eine über viele Jahre in öffentlichen Zeitschriften geführte Auseinandersetzung zwischen Ratzinger, der die ontologische Priorität bei der Gesamtkirche sieht, und Kasper, der sie der Ortskirche zuschreibt, gegeben. Ratzinger argumentierte mit seiner gewohnheitsmäßigen schonenden, aber zwingenden Höflichkeit, Kasper in dem für ihn charakteristischen rowdyhaften Stil.

Ich hoffe, daß Kardinal Bergoglio dieser Hintergrund nicht bekannt war. Wenn er ihm bekannt gewesen wäre, hätte er bemerkenswert schlechten Stil gezeigt, so kurz nach seiner Wahl solch übertriebenenes und überflüssiges Lob über über einen Mann auszuschütten, der theologisch so etwas wie ein Dorn im Fleisch seines unmittelbaren Vorgängers gewesen war – den der neue Papst Franziskus doch stets zu respektieren behauptete.

Doch wichtiger als jedes Licht, das all das auf den Charakter Bergoglios werfen könnte, ist die Lehre. Die Rede von der „ontologischen Priorität“ kann leicht als unbedeutendes akademisches Geschwätz erscheinen – etwa so, wie viele Engel auf dem Kopf einer Stecknadel tanzen können. Aber die Frage der ontologischen Priorität der Universal- oder der Lokalkirche ist ganz und gar keine akademische und theoretische Haarspalterei. Dem würde auch Kasper, das muß man ihm zugestehen, zustimmen. Es ist eine ganz und gar praktische Frage.

Es geht um die theologische Grundlage, ob Deutschland oder sonstwer seinen eigenen Weg einschlagen und „seine eigenen Lösungen zur Bewältigung der Fragen und Probleme seiner eigenen Kultur finden“ kann. Es geht letztlich um die Frage, ob Christus König ist, oder ob jede Nation das Knie vor dem Götzen ihres eigenen nationalen Zeitgeistes beugen kann.

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