Bereichsnavigation Themen:

„UN-Generalsekretär mit Brustkreuz“

Christus übergibt Petrus den Schlüssel, Fresco in der sixtinischen Kapelle von Pietro PeruginoDie Unruhe in der Kirche über Äußerungen von Franziskus, die jeden Zusammenhang mit der Lehre der Kirche vermissen lassen, nimmt zu. Gleichzeitig steigt auch die Zahl der Veröffentlichungen, die sich kritisch mit den „postkatholischen“ Ansätzen des Bischofs von Rom auseinandersetzen oder das zumindest versuchen. Viele pendeln ratlos zwischen den Extrempositionen hin und her: Die einen sehen in Franziskus einen Mann, der den hohen Ansprüchen seines Amtes nicht gewachsen ist und aufgrund persönlicher Schwächen eine ideale Marionette für Kräfte abgibt, die lieber im Dunkeln bleiben. Andere sehe in ihm den jesuitisch geschulten Meisterdenker, der selbst alle Fäden zieht und einen großen Plan verfolgt, dessen Einzelheiten er noch im dunkeln läßt.

In den vergangenen Tagen sind drei Texte erschienen, die geeignet sind, etwas Licht in das römische Dunkel zu bringen. Als erstes zu nennen ist ein Artikel von Alexander Kissler im Focus, der unter dem Titel „Darum schadet dieser Papst seiner Kirche“ den „redseligen Relativismus“ Franziskus' zum Thema macht.

Ausgangspunkt von Kisslers Überlegungen ist das jüngste Interview des Papste in La croix, in dem er unter – anderem - die anderthalbjahrtausende lange Feuer-und-Schwert-Geschichte des Islam dadurch zu relativieren versucht, daß er sagt man könne auch den Missionsauftrag Christi an seine Jünger so verstehen, als ob er „die gleiche Idee von Eroberung“ propagiere.

In seiner beeindruckender Aufzählung und Wertung weiterer päpstlicher Fehlleistungen der letzten Zeit neigt Kissler der Ansicht zu, der Mann könne nun einmal nicht anders, und zieht das Fazit:

Nicht dass jemand so redet, wie Franziskus redet, ist das Problem – sondern dass ein Papst so redet. Und dass damit ein Papst, dem nichts über den Glauben der Apostel gehen sollte, ununterscheidbar wird in der Riege der weltlichen Herren. Wenn der „Oberste Priester der Weltkirche“ ein in weiß gewandeter Dalai Lama sein will, ein Uno-Generalsekretär mit Brustkreuz, dann werden die essenziellen Aufgaben des Papstes zu Zufälligkeiten, zu Dreingaben, an denen je nach Situation festgehalten werden kann oder nicht: die Herde zu weiden, die Menschen zu Christus zu führen.

Der zweite Artikel, vom Umfang her fast nur ein Zwischenruf, ist von dem bekannten kritischen Historiker Roberto de Mattei. Er ist vorgestern im römischen „Il Tempo“ erschienen und hat „Die revolutionäre Sprache von Papst Franziskus“ zum Thema. Kernsätze nach der deutschen Übersetzung auf katholisches.info:

Der Bruch von Papst Franziskus mit der Vergangenheit vollzieht sich mehr auf sprachlicher als auf doktrineller Ebene. Die Sprache hat im Medienzeitalter jedoch eine größere Macht zur Veränderung als die Idee, die sie vertritt. (...)

Die Entscheidung für einen bestimmten „Sprachstil“, der durch Worte, Gesten und auch Auslassungen zum Ausdruck kommt, setzt eine bestimmte Denkweise voraus und vermittelt implizit eine neue Lehre. Der Anspruch aber, eine sprachliche Revolution durchzuführen, von der man leugnet, daß sie auch eine doktrinelle Revolution ist, führt zwangsläufig zur Verwirrung. Die Verwirrung, die Desorientierung und eine gewisse Schizophrenie scheinen aber die unverwechselbare Chiffre des derzeitigen Pontifikats zu sein.

Ob dieses Vorgehen von Franziskus einem bestimmten Plan folgt, oder sich im spontanen Alltag des Pontifex einfach so ereignet, läßt de Mattei in seinem kurzen Zwischenruf offen. Und genau an dieser Stelle, der von de Mattei unbestimmt gelassenen „bestimmten Denkweise“, setzt der in Afghanistan wirkende Missionspriester Giovanni Scalese ein, dessen Aufriss der „Vier Hauptpunkte im Denken von Papst Franziskus“ Sandro Magister gestern in der englischen Ausgabe seines Blogs  veröffentlicht hat. Eine kurze Zusammenfassung, die aber die englische oder ialienische Version nicht ersetzen kann, gibt es ebenfalls auf katholisches.info.

Die vier Hauptpunkte – Franziskus selbst bezeichnet sie als „Prinzipien“, Scalese sieht darin eher „Postulate“ – werden von Franziskus in allen seinen bisherigen Veröffentlichungen ausführlich, wenn auch wenig systematisch angesprochen. Sie sind auch keine Neueingebung seit Besteigung des Stuhls Petri, sondern gehen zurück noch vor seine abgebrochene Dissertation in den 70er Jahren, in deren Entwürfen er sie erstmals eingehender dargestellt hat. Wesentliche Teile dieser Entwürfe hat er dann in Evangelii Gaudiums (222-225) ausführlich reproduziert.

Die vier Prinzipien des Jorge Bergoglio sind:

  • Zeit ist größer als Raum
  • Einheit setzt sich durch gegenüber Konflikt
  • Realitäten sind wichtiger als Ideen und
  • Das Ganze ist größer als der Teil.

Das klingt wie eine Ansammlung von Phrasen und mag letzten Endes auch nicht viel mehr sein. Bergoglio hat daraus jedoch in lockerer Anlehnung an die Hegelsche Dialektik eine Privatphilosophie gezimmert, von der er sich – so Scalese - sein ganzes Erwachsenenleben hindurch leiten ließ. Nur auf einen dieser Punkte, den ersten, der auch Franziskus der wichtigste zu sein scheint und sich gleichzeitig dem Verständnis am schwersten erschließt, soll hier in wenigen Sätzen eingegangen werden: Zeit ist größer als Raum.

„Zeit“ wird hier als dynamische Größe gesehen, „Raum“ als etwas statisches. Den Raum, auch im übertragen Sinne gemeint, zu kontrollieren und zu beherrschen, führt nach dieser Denkart nicht wirklich weiter, sondern bleibt – bestenfalls – beim Bestehenden stehen – bei hohem Aufwand für Besatzung und Befestigung, wenn man so will. Die fortschreitende Zeit, die Entwicklung zu beherrschen oder zumindest entscheidend („unumkehrbar“) zu beeinflussen, braucht es weitaus geringeren Kraftaufwand, aber die Auswirkungen sind – auf lange Sicht – größer und tiefergehend, selbst wenn die „Abdeckung“ des so unterworfenen Raumes nicht überall vollständig sein sollte.

Zusammen mit den drei anderen „Prinzipien“ deutet das auf ein Konzept, das starke Ähnlichkeiten zum historischen Materialismus aufweist. Es übt zweifellos große Anziehungskraft auf Menschen aus, die davon überzeugt sind, daß „der Mensch“ seine Geschichte und letztlich sich selbst macht. Und es bietet Ansätze dazu, das oft zufällig oder spontan und unkoordinierte Vorgehen von Franziskus rational zu deuten. Der Geist Gottes findet darin allerdings nur insoweit einen Platz, als dieser Geist als unmittelbarer Stichwortgeber des aktuellen Propheten in Anspruch genommen wird. Sein beständiges Wirken in der Kirche aller Zeiten muß demgegenüber zurücktreten.

Zusätzliche Informationen