Neues Stadium der Kirchenkrise II
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- 18. November 2016
Die verheerende Entwicklung, die die Kirche im Pontifikat unter dem Leitspruch des „¡Hagan lío!“ nimmt, wird in Deutschland besonders deutlich. Das „Mutterland der Reformation“ ist in der Tat Heimatland einer besonderen Art von geistigem und geistlichem Hochmut, der mit dem Anspruch auftritt, alles zum Besseren zu wenden – um dann ein religiöses Trümmerfeld zu hinterlassen, wie man es derzeit im Mainstream der EKD in Vollendung bestaunen kann. Offensichtlich entspricht dieser Zustand aber genau dem, was eine Mehrheit der katholischen Bischöfe des Landes als erstrebenswert betrachtet – wie sonst wäre es zu erklären, daß unter Etiketten wie „Ökumene“ und „Überwindung der Spaltung“ ein Kurs propagiert wird, der auf nichts anderes hinausläuft als eine nachträgliche Übernahme der protestantischen Häresien samt ihren kirchenzerstörenden Folgen bis auf den heutigen Tag.
Prominenter Sprecher dieses Kurses ist seit Jahrzehnten Kardinal Lehmann, der Luther gerne zum gemeinsamen Kirchenlehrer erklärt sehen möchte. In Freiburg hat er dieser Tage eine Rede gehalten, die auf katholisch.de folgendermaßen zusammengefasst wird:
Kardinal Karl Lehmann hat die deutschen Bischöfe aufgerufen, die von Papst Franziskus eröffneten Freiheiten für die Kirchen vor Ort zu nutzen. "Franziskus will, dass wir neue Wege erkunden. Manchmal muss man nicht erst darauf warten, bis sich der ganze große Tanker bewegt". Er verwies auf Annäherungen zwischen evangelischer und katholischer Kirche und auf die Debatte um den Sakramentenausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen und um den Zölibat.
"Allen Konfessionen steht das Wasser bis zum Hals. Wir haben nicht ewig Zeit", sagte der Kardinal. Er fügte hinzu: "Was hindert uns eigentlich daran, verheiratete Ständige Diakone, die einen großartigen Dienst in der Kirche leisten, auch zu weihen, damit sie auch priesterliche Dienste übernehmen können?"
Das aktuelle Gedenken an 500 Jahre Reformation bezeichnete Lehmann als Chance für die Kirchen und die Ökumene. "Wir haben viel erreicht, in den Gemeinden vor Ort wird sehr viel Gemeinschaft gelebt. Was fehlt, ist eine Verständigung darüber, wie eine Kircheneinheit konkret aussehen soll."
In der Sache ist da wenig Neues – es ist das alte ceterum censeo derer, die die Restbestände der katholische Kirche zusammen mit denen der EKD in eine konfessionslose Staatskirche einbringen wollen. Höchstens der letzte Satz ist bemerkenswert, enthält er doch die Forderung nach der Entwicklung konkreter Formen für die Ausgestaltung einer solchen Staatskirche.
Bemerkenswert ist die Form der Argumentation, die da, wo Katholiken bedenkliche Unklarheiten in jüngsten vorgeblich lehramtlichen Äußerungen erkennen, lediglich „von Papst Franziskus eröffnete Freiheiten“ wahrnehmen will. Bemerkenswert und beunruhigend, da tatsächlich nicht auszuschließen ist, daß Franziskus und seine Kreise diese Unklarheiten tatsächlich bewußt erzeugen, um eine von ihnen gewollte Entwicklung voranzutreiben. Von daher ist es kaum möglich, die von Marx behauptete Übereinstimmung mit dem Willen des Papstes zurückzuweisen: Nichts genaues weiß man nicht – Zustand von Kirche und Papsttum 2016.
Pikant ist freilich der zeitliche Zusammenhang der Marx-Vorstöße mit einer Ansprache, die der Papst vor genau einem Jahr beim Ad-Limina-Besuch des deutschen Episkopats in Rom (nicht) gehalten hat. Immerhin ließ er das vermutlich von der Glaubenskongregation unter Kardinal Müller verfaßte Papier übergeben, und derzeit zumindest noch ist es auf der Website der deutschen Bischofskonferenz als „Ansprache S.H. Papst Franziskus“ abrufbar.
In diesem Text sind die großen Versäumnisse der deutschen Kirchenoberhäupter in den vergangenen Jahrzehnten fast vollständig aufgelistet. Gleichzeitig werden die erforderlichen Gegenmaßnahmen benannt, darunter eine „effektive Begleitung“ der theologischen Fakultäten, „um die kirchliche Tragweite ihrer Sendung im Auge zu behalten“, die Wiederbelebung des sakramentalen und liturgischen Lebens in den Gemeinden und der bedingungslose „Eintritt für das Leben“, das der Ungeborenen ebenso wie der Alten und Kranken.
Daß die deutschen Bischöfe solche Mahnungen aus Rom schlichtweg überhören, ist nichts neues. Neu ist, daß sie die aus Rom kommenden Widersprüche und Unklarheiten nicht nur als Entschuldigung dafür anführen können, nicht die überlieferte Lehre zu verteidigen, sondern auch als Ermutigung darstellen, ihren Kurs der Aufgabe der überlieferten Lehre und Disziplin zu intensivieren. Wenn sie diesen Kurs wie von Lehmann gefordert fortsetzen, wird es in wenigen Jahren eine katholische Kirche in Deutschland nur noch in Form verstreuter Gemeinden geben. Die vereinigte doppelt reformierte Staatskirche Lehmanns wird freilich als regierungsseitig ordentlich alimentierte NGO weiterbestehen.