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Ein taktischer Kompromiss?

Ein Zeitungsartikel von Kardinal Sarah (hier eine Zusammenfassung), der anzudeuten scheint, der Kardinal befürworte die Zusammenführung von überlieferter Liturgie und Novus Ordo zu einer neuen „Kompromißliturgie“, hat Unruhe ausgelöst. Das umso mehr, als entsprechende Überlegungen immer wieder auch von höchster Stelle geäußert worden sind, seit der Versuch Pauls VI., die Reformliturgie per Diktat in der ganzen Kirche durchzusetzen, mit der Gründung und Konsolidierung der Piusbruderschaft als gescheitert erkannt worden ist. Joseph Shaw, Vorsitzender der Latin Mass Society von England und Wales, hat dazu gestern einen Artikel veröffentlicht, der hier zunächst komplett wiedergegeben werden soll. Nicht nur wegen seines Inhalts, sondern auch wegen der Links auf weitere Artikel Shaws, in denen einzelne Punkte ausführlicher behandelt werden.

Es beginnt ein langes ZitatJoseph Shaw: Meine Antwort auf Kardinal Sarahs Vorschlag zur „Liturgischen Versöhnung“ 

Es scheint, daß selbst die traditionsfreundlichsten Prälaten der Kirche in Wirklichkeit wollen, daß die überlieferte Liturgie verschwindet. Cardinal Burke sagte 2011:

Ich denke, daß das, was Papst Benedikt im Sinn hat, ist, daß die „gegenseitige Bereicherung“ organisch eine neue Form des römischen Ritus hervorbringt – die „Reform der Reform“, wenn wir so sagen wollen – was ich sehr begrüßen würde und auf dessen Eintreten ich hoffe. (Quelle)

Cardinal Sarah hat jetzt das Gleiche gesagt:

Es ist von höchster Bedeutung, daß wir mit Hilfe des heiligen Geistes und durch Gebet und Studium herausfinden, wie wir zu einem gemeinsamen reformierten Ritus zurückkehren um das Ziel einer Versöhnung innerhalb der Kirche zu erreichen. (Quelle)

Kardinal Sarahs konkrete Vorschläge zielen auf ein Zwischenstadium, in der die beiden „Formen“ bereits ein Stück weit konvergieren. Ich bin darauf in einem Artikel für den Catholic Herald bereits näher eingegangen. Jedoch: Das Lektionar des Novus Ordo kann nicht einfach so in das Missale der überlieferten Liturgie übernommen werden, weil es eine Vorstellung von Liturgie verkörpert, die sich vollständig von der der überlieferten Liturgie unterscheidet – das ist der Grund dafür, daß damals alle Veränderungen gleichzeitig durchgeführt worden sind. Ein Kompromiss zwischen diesen beiden Vorstellungen von dem, was Liturgie ist und wie Liturgie wirken soll, führt nicht zu einer perfekten Synthese, sondern zu einem Kuddelmuddel.

Ich habe mich mit den Argumenten in Sachen Lektionar bereits hier ausführlich auseinandergesetzt und habe auch deutlich gemacht, warum eine „Reform der Reform“ bedeutet, sich zwischen zwei Stühle zu setzen.

Lassen wir einmal offen, inwieweit sich das Denken von Kardinal Burke seit 2011 weiterentwickelt hat, und stellen wir uns die Frage: Warum sollten er oder Kardinal Sarah die überlieferte Liturgie loswerden wollen?

Ein Grund dafür dürfte in der Vorstellung liegen, daß die Existenz zweier Formen des römischen Ritus per se ein Problem darstellt, und das unabhängig der Stärken oder Schwächen dieser Formen selbst. Ich nehme an, diese Vorstellung hat etwas mit einer gewissen konservativen Vorliebe für Zentralisierung und Einheitlichkeit zu tun, aber ich glaube kaum, daß die beiden Kardinäle das auch auf die östlichen Riten beziehen würden, auch im Westen nicht, und ich vermute, sie würden auch nicht wirklich wollen, daß die Dominikaner, Norbertiner oder Kartäuser bzw. die ehemaligen Anglikaner aufhören würden, nach ihren eigenen Riten und Gebräuchen zu zelebrieren. Selbst wenn das Argument von der „Uneinigkeit“ oberflächlich gesehen einiges für sich haben mag, glaube ich doch nicht, daß das wirklich Beweggrund ihres Denkens ist. Sicherlich wollen sie nicht dem Lob des 2. Vatikanums für Liturgische Vielfalt widersprechen. Über liturgischen Pluralismus habe ich bereits hier geschrieben.

Ich denke, ein stärkerer Beweggrund liegt darin, daß sie unzufrieden mit der „Ordentlichen Form“ sind. Insbesondere Kardinal Sarah hat immer wieder Punkte aufgegriffen, die bereits Kardinal Ratzinger in „Der Geist der Liturgie“ kritisiert hat, insbesondere, daß die Zelebration „zum Volk hin“ ein Fehler war und daß es in der reformierten Messe mehr Momente der Stille geben müsse. Das sind die Argumente der „Reform der Reform“, und sie haben als solche mit der Überlieferten Liturgie nichts zu tun. Sarah und andere scheinen nun zu glauben, daß die Existenz der überlieferten Liturgie einen zusätzlichen Grund für diese „Reform der Reform“ bietet. „Schaut“ – so könnte man das verstehen – „da gibt es eine Menge Katholiken, die nicht zum Novus Ordo gehen, weil dort zuviel geredet wird und weil der Priester die ganze Zeit zum Volk schaut. Lasst uns das ändern, und damit gewinnen wir sie wieder zurück“.

In anderen Worten: Die Sympathie für einige der Argumente, mit denen die Anhänger der überlieferten Liturgie den Wert dieser Form hervorheben, hat Kardinal Sarah auf den Gedanken gebracht, sich diese Bewegung der Tradition auf rein taktische Weise zu Nutze zu machen, um seinen Vorstellungen zur Weiterentwicklung der modernen Ritus mehr Gewicht zu verleihen. Vielleicht würde das anders aussehen, wenn die außerordentliche Form dabei wäre, sich in der ganzen Kirche durchzusetzen – doch damit das geschieht, benötigte man mindestens ein Jahrhundert.

Ich denke, man muß über diese Vorschläge (Kardinal Sarahs) nicht allzu beunruhigt sein. Sie verleihen der Diskussion über die Liturgie neuen Auftrieb, das ist positiv. Aber der Widerstand der Progressiven und – lassen sie uns ehrlich sein – auch der eher eine mittlere Position einnehmenden Priester und Gläubigen gegen eine „Reform der Reform“ läßt es undenkbar erscheinen, daß Sarahs Programm von Rom auf dem Verordnungswege durchgesetzt werden könnte. Selbst dann nicht, wenn er morgen Papst würde.

Dennoch sollten sich alle Unterstützer der liturgischen Tradition der Kirche aufgerufen fühlen, noch nachdrücklicher den Wert des überlieferten Lektionars und aller anderen bedrohten Elemente ihrer geliebten Messe darzulegen.

Soweit der Artikel von Joseph Shaw.

Ein paar eigene Gedanken sollen hier zumindest angedeutet werden. Es mag sein, daß Kardinal Sarahs Vorschlag in erster Linie taktisch gemeint ist, um Veränderungen im Novus Ordo in Gang zu bringen – etwa nach dem Kalkül: Beide Seiten müssen sich von einigen ihrer Lieblingsvorstellungen verabschieden. Das wird jedoch auf beiden Seiten nicht funktionieren, und das nicht nur aus praktischen Gründen. Joseph Shaw vermeidet es, den „Elefanten mitten im Zimmer“ anzusprechen: Die liturgische Spaltung ist nicht nur eine Sache der Formen. Für das von den Reformatoren seit über 500 Jahren propagierte neue Verständnis der Messe als Gemeindemahl sind die Wendung des „Vorstehers“ zur Gemeinde und die Übertragung des Altardienstes an möglichst viele Gemeindemitglieder unverzichtbare Elemente. Und umgekehrt kann die Tradition weder beim Heiligenkalender und der Neuordnung des Kirchenjahres noch beim Lektionar Formelkompromisse eingehen, ohne Elemente der Offenbarung zu verlieren. Gerade beim Lektionar, in dem ja nach Auftrag des Konzils „der Tisch des Wortes Gottes reichhalteiger gedeckt“ werden sollte, hat die Reform an zahlreichen Stellen wichtige, aber möglicherweise Anstoß erregende theologische Passagen unter den Tisch fallen lassen. Nicht ohne Folgen: Die konsequente Streichung der Aussage „Wer unwürdig dieses Brot isst und diesen Wein trinkt, der isst und trinkt sich das Gericht“ aus dem Lektionar führt geradewegs zur Aufweichung des Sakramentenverständnisses, wie wir sie gegenwärtig im Streit um den Kommunionempfang (bzw. Kommunionteilnahme – das sind zwei sehr verschiedene Konzepte) sog. „Wiederverheirateter Geschiedener“ im Gefolge von Amoris Laetitia erleben.

Es besteht kein Grund zu der Annahme, daß Kardinal Sarah sich darüber nicht vollständig im klaren wäre. Daher erscheint mir eine andere Deutung seines Vorschlags, die ebenfalls von taktischer Motivation ausgeht, wahrscheinlicher: Der Kardinal, der ohnehin in „seiner“ Dikasterie von Bergoglianern eingemauert ist und praktisch nichts mehr zu entscheiden hat, spürt nach der stillosen Abservierung von Glaubenspräfekt Müller noch stärker als zuvor den Druck der „Reformer“, die ihr revolutionäres Programm mit bergoglianischem Rückenwind durchsetzen wollen. Dennoch mag er gute Gründe dafür haben, solange wie möglich in seiner Stellung zu verharren – und sei es nur der, von dieser Position aus immer wieder mit Nachdruck auf die Fehlentwicklungen in Liturgie und Glaubensbewußtsein hinzuweisen. Wenn er das damit „absichert“ oder absichern zu können glaubt, daß er per unverbindlicher Presseäußerung einmal die Perspektive des Zentristen einnimmt, der beiden Seiten gut zuredet – bitte sehr.

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