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Mit Rotstift im Evangelium

Bild:  Gemeinde St. Ludgerus Borken, http://www.st-ludgerus.de/?p=7951Die Überlegungen von Kardinal Sarah zu einer möglichen Zusammenführung der reformierten und der überlieferten Liturgie haben auch der Diskussion über die neue Leseordnung des Messbuchs von 1970 neuen Auftrieb gegeben. Obwohl ein mehrjähriger Lesezyklus in der Tradition der Kirche keinerlei Vorbild hat und obwohl eine vielzahl der neu aufgenommenen Lesungen aus dem alten Testament für normale Gläubige so unverständlich ist, als ob sie in Hebräisch vorgetragen würden, hält sich hartnäckig die Vorstellung, das neue Evangeliar sei, da umfangreicher, auch reichhaltiger. Das stimmt gleich in zweifacher Hinsicht nicht. Einmal, weil Masse noch nie als Ausweis von Qualität angesehen werden konnte, vor allem aber deshalb nicht, weil bei der Zusammenstellung der neuen Lesungen vielfach entscheidende Aussagen weggelassen worden sind. Teils durch direkte Streichungen im Text, teils dadurch, daß man sie „zwischen den Sonntagen“ im Ungesagten verschwinden ließ. Hazells Index Lectionum hat das bis ins I-tüpfelchen präzise nachgezeichnet - auf 220 Seiten. 

Die Sache selbst wurde aber bereits unmittelbar nach Inkraftsetzung des Schrumpf-Lektionars erkannt und kritisiert. Wir präsentieren dazu einen ursprünglich unter dem Titel „Bibel mit Rotstift“ erschienen Text des österreichischen Priesters, Professors und Publizisten Eduard Kamenicky aus dem Jahr 1971, dem die Entrüstung über diese für undenkbar gehaltene Manipulation deutlich anzumerken ist.

Es beginnt ein langes ZitatDas Ärgernis ist zu groß, als daß man darauf verzichten dürfte, es anzuprangern: das allsonntägliche Argernis der verstümmelten Schrift. Es scheint, als hätte nur dem Heiligen Geist, nicht aber den Reformgremien gefallen, was geschrieben steht. Man kann nicht ignorieren, daß es sich bei den zahllosen willkürlichen Textkontraktioneri, welche die neue Leseordnung befiehlt, um eine faktische Irreführung des hörenden Volkes handelt. Diesem werden ja keine Verszahlen genannt, noch sonst Verweise auf das Eliminierte geboten, sondern die frei aneinandergefügten Teile eben fürs Ganze vorgesetzt. Was hier nicht vorkommt, gehört nun einmal für das Volk nicht zu dem betreffenden Schrifttext. Die Sache ist also nichts weniger als harmlos. Ein Vergleich der gestrichenen Partien macht sehr bald klar, was hier vor sich geht: es ist Textfrisur in ihrer primitivsten Form, die sich verantwortliche Sachwalter der Liturgiegestaltung hier offiziell leisten: nämlich die mit dem Rotstift.

Wer wollte dem Plan seine Sympathie versagen, den Tisch des Wortes reicher zu decken, wie man das nennt, und eifriger zu schöpfen aus den Schätzen der Bibel? Doch weiß der Zeitgenosse, vielfach gewitzigt, daß eine Parole und das, was unter ihr betrieben wird, sehr leicht zweierlei sind. Die Chance, bei sich bietender Gelegenheit zu retouchieren, wie es dem eigenen Geschmack entspricht, ist gar verlockend. Was machte auch in einer Zeit, in der Intendanten Shakespeare und Schiller bis zur Unkenntlichkeit zusammenzustreichen belieben, ein Liturgieregisseur für eine Figur, der in archaischer Pietät noch zögern wollte, an das Gotteswort Hand anzulegen? Und offenbart hierin nicht erst Kühnheit das wahre Genie? So hat man wohl den Tisch des Wortes mit zahlreicheren Platten beschickt, den Christen dabei aber unmerklich auf Diät gesetzt. Mancher Eingriff läßt an eine Art Entwöhnungskur denken. Gewisse Speisen kommen nicht vor, charakteristische Ingredienzien der Schriftnahrung finden keine Verwendung mehr. So behagt beispielsweise alles Kultische offensichtlich nicht sehr dem Gaumen der liturgischen Speisemeister. Engel, Dämonen und drohende Strafen sind im Grunde verpönt und werden tunlichst gemieden. Die häufigste und eindringlichste Warnung des Neuen Testamentes, nämlich die vor Irrlehrern, ist sehr selten geworden. (Vermutlich mangelt ihr jegliche Aktualität.) Aber auch Züge handgreiflicher Geschichtlichkeit werden gerne getilgt. Seltsam, nicht wahr?

Ein Paradestück solch tendenziöser Textverkürzung ist die zweite Lesung des sechsten Sonntags nach Ostern. Die üblicherweise fast kabbalistische Anleitung des Direktoriums zur zeitgemäßen Schriftkorrektur läßt solches bereits vermuten: Apk 22,12-14.16-17.20. Man stutzt und fragt: Was mag die unterdrückten Verse 15, 18 und 19 der Verlesung wohl unwürdig machen? Siehe da - Vers 15 ist eines der feierlichsten Anatheme der Heiligen Schrift, das „exo hoi kynes"! „Draußen (nämlich außerhalb der heiligen Stadt Gottes) müssen bleiben die Hunde und die Zauberer, die Unzüchtigen und die Mörder, die Götzendiener und alle, welche die Lüge lieben und üben." Welch herrlich kraftvolles Wort - und keineswegs strohern! Aber den frommen Gemütern im Reformkomitee klingt das zu rauh, zu wenig kommunikativ - oder am Ende gar zu schockierend? Mit welchem Recht wird dieses „exo" verschwiegen? Warum vertuscht man, daß es „Zauberei" in der Welt gibt, nämlich dunkle Praktiken mit dämonischem Beistand, die den Seelen das Gift mischen? Warum diese prüde Scheu, von den „pornoi" und ihrem Geschick zu reden, als ob das heute ein gar so unerklärbares Fremdwort wäre? Und gibt es vielleicht keinen einzigen mehr, der die Lüge liebte und übte? Wird hier nicht mit Schere und Kleister aus dem Gotteswort eine Botschaft gebastelt, wie sie den Ohren schmeichelt? Prurientes auribus. . . - Wem das nicht die Augen öffnet!

Aber die Bibel schlägt die, die so handeln, selber aufs Haupt. Und zwar unverzüglich. Denn wenige Zeilen weiter heißt es, Vers 18 und 19 - und man begreift sehr gut, daß nun auch sie dem Rotstift zum Opfer fallen -: .Ich bezeuge jedem, der die Worte der Weissagung dieses Buches hört: Wenn jemand zu ihnen etwas hinzufügt, so wird Gott auf ihn die Plagen legen, von denen in diesem Buche geschrieben steht. Und wenn jemand von den Worten dieses Buches der Weissagung etwas wegnimmt, so wird Gott ihm seinen Anteil am Baume des Lebens und an der heiligen Stadt wegnehmen, von denen in diesem Buche geschrieben steht." Das ist wohl deutlich genug. Die Sache ist ernst. Gott läßt seiner nicht spotten.

Es fällt nicht leicht, angesichts solch dreister und durchsichtiger Streiche an die bona fides all derer zu glauben, die sich einen so beherrschenden Einfluß in der Kirche zu sichern wußten, daß er zu jeder gewünschten Manipulation, selbst des Gotteswortes, auf dem gesamten, seufzenden Erdkreis hinreicht. Aber auch wenn ihnen die Ahnungslosigkeit von Blinden zugebilligt werden könnte, die weder sehen noch wissen, was sie tun, sind Recht und Pflicht des Christen zum unbeugsamen Widerstand gegen solches Treiben nicht zu bezweifeln. Niemand ruft deshalb Feuer der Vernichtung vom Himmel herab auf blinde oder verblendete Führer des Gottesvolkes; aber wir ersehnen einen Feuerregen pfingstlicher Erleuchtung im Geist über die, die heute mit der Peitsche des Unverstandes den mystischen Leib Christi geißeln.

Aus „Entscheidung", Blätter katholischen Glaubens, Nr. 211, Pfingsten 1971 Wien

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