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Der Vorrang gebührt Gott

Bild: dpa/picture alliance - Michael KappelerAus Anlaß der Vorstellung des 11. Bandes der Sämtlichen Schriften Joseph Ratzingers in russischer Sprache am 25. September im Moskauer Patriarchat hat auch das in dieser Ausgabe enthaltene Vorwort des ehemaligen Papstes neue Aufmerksamkeit gefunden. Neue Aufmerksamkeit deshalb, weil es bereits vor über zwei Jahren verfasst wurde und auch schon seit längerer Zeit im vollen Wortlaut bekannt ist. Hier noch einmal unsere Übersetzung aus dem Englischen, die wir zuerst im April dieses Jahres präsentiert hatten:

Nihil Operi Dei praeponitur“ - nichts soll dem Gottesdienst vorgezogen werden. Mit diesen Worten hat der hl. Benedikt in seiner Regel (43,3) dem Gottesdienst den absoluten Vorrang gegenüber allen anderen Pflichten des monastischen Lebens zugewiesen. Das ist selbst für das Klosterleben keine Selbstverständlichkeit, weil für die Mönche die Arbeit in der Landwirtschaft und in der Wissenschaft ebenfalls höchste Bedeutung hatte.

In der Landwirtschaft, aber auch im Handwerk und in der Ausbildung können zeitweise Notfälle auftreten, die wichtiger als die Liturgie erscheinen mögen. Demgegenüber weist Benedikt mt seiner Priorität für die Liturgie auf unmißverständliche Weise Gott die Priorität in unserem Leben zu. „Wenn die Zeit für das Offizium gekommen ist, sollen die Brüder, sobald sie das Glockenzeichen vernehmen, alles aus der Hand legen und mit der größten Eile herbeikommen“.

Im Bewußtsein der heutigen Menschen erscheinen die Göttlichen Angelegenheiten und damit auch die Liturgie nicht wirklich dringlich. Alles mögliche mag dringlich erscheinen, aber niemals die Angelegenheiten Gottes. Nun, man könnte mit einigem Recht einwenden, daß das monastische Leben sich in vielem vom Leben der Menschen in der Welt unterscheidet. Aber dennoch gilt die Priorität für Gott, die wir vergessen haben, für alle. Wenn Gott nicht mehr wichtig ist, dann verändern sich die Kriterien für das, was wichtig ist. Indem der Mensch Gott beiseite rückt, unterwirft er sich selbst Begrenzungen, die ihn zum Sklaven materieller Kräfte machen und so seiner Würde widersprechen.

In den Jahren nach dem 2. Vatikanischen Konzil kam mir die Priorität Gottes und der göttlichen Liturgie wieder neu zu Bewußtsein. Das falsche Verständnis von der Liturgiereform, das sich in der Katholischen Kirche weithin verbreitet hatte, ließ die Aspekte der Lehrvermittlung, der eigenen Tätigkeit und Kreativität immer stärker an die erste Stelle rücken. Das menschliche Handeln führte fast dazu, die Gegenwart Gottes zu vergessen. In dieser Situation wird immer deutlicher, daß die Existenz der Kirche auf der rechten Feier der Liturgie beruht und daß die Kirche in Gefahr gerät, wenn die Vorrangstellung Gottes in der Liturgie – und damit im Leben – nicht mehr sichtbar wird. Die tiefste Ursache der Krise, die die Kirche untergraben hat, besteht darin, daß die Vorrangstellung Gottes in der Liturgie unsichtbar geworden ist. Das alles hat mich dazu geführt, nicht dem Thema Liturgie noch stärker als in der Vergangenheit zuzuwenden weil ich erkannte, , daß eine wirkliche Erneuerung der Liturgie die unabdingbare Voraussetzung für eine Erneuerung der Kirche ist. Die in diesem 11. Band der „Sämtlichen Schriften“ gesammelten Studien beruhen auf dieser Überzeugung. Letzten Endes ist das Wesen der Liturgie im Osten und im Westen trotz aller Unterschiede ein und dasselbe. Und daher hoffe ich, daß dieses Buch auch den Christen Rußlands dabei behilflich ist, das große Geschenk der Heiligen Liturgie auf neue und bessere Weise zu verstehen.

Vatikanstadt, am Fest des hl. Benedikt, 11. Juli 2015.

Die englische Vorlage für unsere Übersetzung fanden wir auf Rorate Cæli, der offizielle italienische Text, der seinerseits wohl eine Übersetzung aus dem Deutschen darstellt, kann hier als PDF heruntergeladen werden.

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