Drohen neue 'Liturgiekriege'?
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- 21. November 2017
Wann war wohl zum letzten Mal auf einer offiziellen Website des Deutschkatholizismus eine positive Erwähnung von Papst Pius XII. zu lesen? Gestern, auf katholisch.de, wo Redakteur Tobias Glenz im Gefolge des emeritierten Bonner Liturgologen Albert Gerhards den großen Papst der Kriegs- und Nachkriegskahre als Urheber der Liturgiereform in Anspruch nahm. Das ist ja noch nicht einmal völlig verfehlt: Pius XII hat in Mediator Dei versucht, eine Mitte zwischen dem Beharren der traditionellen Liturgiker auf der Tradition und dem zerstörerischen Eifer der „Erneuerer“ zu finden und es damit nicht vermocht, diesen rechtzeitig Einhalt zu gebieten. Und er hat den Liturgiemodernisierer Bugnini in ein Laufbahn gebracht, in der er dann später als Liturgiezertrümmerer überaus wirkungsvoll tätig war.
Aber Pius XII. hat auf der anderen Seite gerade in der von Albert Gerhard überaus einseitig interpretierten – um nicht zu sagen ‚verfälschten‘ – Enzyklika Mediator Dei die grundlegenden katholischen Lehren vom Wesen des Messopfers und der Stellung des Priester durchaus klar zum Ausdruck gebracht. Genau die Lehren, zu deren Überwindung der radikale Teil der Liturgiereformer angetreten war – der damit, wie die seitherige Entwicklung gezeigt hat, ja auch überaus erfolgreich war. Nichts von dem, was derzeit gefordert oder bereits praktiziert wird, von der Entsakralisierung des Gottesdienstes bis zur Bildersturm im „worship space“ - vom Monopol teilweise höchst zweifelhafter Übersetzungen volkssprachlicher Liturgietexte bis zur Einebnung des Amtspriestertums in ein allgemeines „Priestertum aller Getauften“ und der damit begründeten Frauenordination, kann sich auf diese Enzyklika berufen.
Wie es der Zufall will, ist der aus Anlaß des 70. Jahrestages von Mediator Dei veröffentlichte Artikel auf katholisch.de nicht die einzige Publikation von offiziöser Seite, die sich dieser Tage um einen Anschluß der nach dem Konzil neu geschaffenen „Pastoralliturgie“ an die Tradition bemüht. Wo Albert Gerhards die Ahnenlinie bis zu Pius XII. ziehen will, begnügt sich ein Artikel des Zentralorgans der Jesuiten La Civiltà Cattolica (hier eine englische Übersetzung) allerdings mit einem definitiv nachkonziliaren Bezugspunkt. Das ist der später zu einer „Instruktion“ umetikettierte (und nie in die Acta Apostolica aufgenommene) Brief Kardinal Lercaros „Comme le prévoit“ von 1969, in dem unter Berufung auf die Erkenntnisse eines evangelikalen amerikanischen Bibelübersetzers das Übersetzungsprinzip des „dynamischen Äquivalents“ empfohlen wurde.
Dieses Prinzip besagt, stark vereinfacht ausgedrückt, daß ein Übersetzer nicht versuchen solle, das was ein für allemal im Original festgehalten ist, möglichst getreu in eine andere Sprache zu übertragen, sondern Ausdrücke zu suchen und zu finden, die der aktuellen Lebenswelt des jeweiligen Lesers möglichst nahekommen. So richtig die Forderung ist, nicht rücksichtslos an den Verständnishorizonten der Leser (oder Beter) in einer anderen Sprache vorbei zu texten, so sehr leuchtet es ein, daß dieses Prinzip in der Verabsolutierung zu zahllosen Mißbräuchen und Relativierungen geradezu einlädt. Wie es seitdem ja auch an vielen Stellen zu beobachten ist.
Für Cesare Giraudo, der den Artikel in La Civilita geschrieben hat, bildet also dieses durchaus zweifelhafte Papier den absoluten Bezugspunkt für die – selbstverständlich - „Gestaltung“ von Liturgie in der Gegenwart. Die gesamte Entwicklung seit 1970, die nicht zuletzt durch Versuche der Liturgiekongregation und der Päpste Johannes Paul II und Benedikt XVI. zur Eindämmung liturgischer und übersetzerischer Fehlleistungen gekennzeichnet war, sind in seinen Augen Ausdruck einer Verschwörung, die segensreichen Wirkungen von „Comme le prévoit“ zunichte zu machen. Deshalb kommt ihnen auch keinerlei Legitimität zu, und daher hat es der Titan Franziskus unternommen, die Liturgie wieder zu ihren ursprünglichen Grundsätzen zurückzuführen - also denen von 1969. Alles, was seit dem zur Zügelung des Modernisierungs- und Zerstörungstaumels unternommen worden ist, war irrig und muß aufgehoben werden.
Die Ansage ist nicht mißzuverstehen: Die Liturgiekriege (als liturgy wars bezeichnet man im angelsächsischen Sprachraum die von hanebüchenen Mißbräuchen ausgelösten Auseinandersetzungen der 60er und 70er Jahre) gehen in die Zweite Runde.