Von Gottes- und Menschendiensten
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- 07. Mai 2012
Aus dem Vortrag von Prof. Michael Fiedrowicz
vor „Pro Missa Tridentina“
Am gestrigen 5. Mai, dem Festtag des hl. Papstes Pius V., fand in Paderborn die diesjährige Hauptversammlung der Laienvereinigung für den klassischen Ritus „Pro Missa Tridentina“ statt. Den Hauptvortrag hielt Prof. Michael Fiedrowicz von der theologischen Fakultät der Universität Trier. Wir bringen - ohne Quellenangaben und Anmerkungen - Auszüge daraus und werden auf die wesentlich umfangreichere vollständige Fassung hinweisen, sobald diese wie vorgesehen im PMT-Magazin erscheint. Ebenso werden wir Bilder von der Hauptversammlung und dem aus diesem Anlaß gefeierten Hochamt zeigen, sobald wir solche erhalten.
Als einen Ausgangspunkt seiner Ausführungen wählte der Redner die Orationen des Messformulars für die hl. Päpste von 1942 und des Heiligen Pius V. selbst, zu dem er freilich anzumerken hatte:
Papst Pius V. starb am 1. Mai 1572. Im Jahre 1672 wurde er seliggesprochen, 1712 erfolgte seine Heiligsprechung. Das Missale von 1962 gedenkt seiner mit einem Fest dritten Ranges. Es wäre allerdings eine grobe Verkennung liturgischer Rangstufen, wollte man hierin nur eine „drittklassige“ Verehrung sehen, die dem heiligen Papst in der alten Liturgie, die er maßgeblich prägte, zuteil wird. Drittklassige Verehrung im negativen Sinn ist hingegen das, was der Novus Ordo aus dem einstigen Fest gemacht hat, indem er diesem Heiligen nur eine memoria ad libitum zubilligte, einen Gedenktag, dessen Feier dem Belieben des Zelebranten anheimgestellt ist. Deutlicher konnten die hierfür verantwortlichen Reformer wohl kaum zum Ausdruck bringen, was sie von der mit dem Namen dieses Papstes verbundenen Liturgie hielten, wie sehr sie von dem Wunsch beseelt waren, Neues an die Stelle des Bisherigen zu setzen. Bekanntlich gibt es nichts Intoleranteres als an die Macht gekommene Revolutionäre.“
Nach dieser Einleitung fährt der Redner fort:
In einem Interview äußerte der renommierte Liturgiehistoriker und Benediktiner Alcuin Reid auf die Frage „Kontinuität oder Bruch?“, es gebe Anzeichen, „die darauf hindeuten, dass die für die Reform Verantwortlichen einen Bruch im Sinn hatten – sowohl in theologischer als auch in ritueller Hinsicht. Das, was durch die Tradition überliefert war, wollten sie nicht. Sie wollten das auch nicht weiterentwickeln. Sie wollten etwas Neues, das den ‚modernen Menschen‘ der sechziger Jahre widerspiegelte und was dieser ihrer Meinung nach brauchte.“ Der moderne Mensch der sechziger Jahre brauchte vermeintlich nicht mehr die von Papst Pius V. kodifizierte Liturgie, eine „anthropologische Wende“ war angesagt.
Braucht der moderne Mensch Anfang des dritten Jahrtausends jene Liturgie noch? Oder braucht er sie vielleicht gerade wieder? Braucht er sie möglicherweise dringender denn je, weil die anthropozentrische Wende der reformierten Liturgie – die Ausrichtung des Gottesdienstes primär auf den Menschen - nicht das ist, was er wirklich und im Innersten braucht?
Die Tagesoration bittet: „Gib, dass wir durch seinen Beistand beschirmt werden“ – fac nos ipsius defendi praesidiis. Wörtlicher noch müsste es heißen: lasse uns durch seinen Schutz, seine Hilfe, sein Geleit verteidigt sein. Inwiefern könnte Papst Pius V. nicht nur im allgemeinen himmlischer Fürsprecher der irdischen Kirche sein, insbesondere all derer, die sich pro missa tridentina engagieren, sondern gerade mit der von ihm kodifizierten Liturgie uns heute hilfreich verteidigen?
„Auch wir haben den Kult des Menschen“, beteuerte Papst Paul VI. 1965 in seiner Ansprache zur Eröffnung der letzten öffentlichen Sitzung des II. Vatikanum am 7. Dezember 1965. Er appellierte an die Ungläubigen mit den Worten: „Dieses Lob spendet wenigstens dem Konzil, ihr, die ihr in diesem unseren Zeitalter den Kult der Menschlichkeit pflegt und die Wahrheiten, die die Natur der Dinge übersteigen zurückweist: anerkennt zugleich unsere neuartige Bemühung um die Menschlichkeit: auch wir, ja wir mehr noch als die anderen, sind Verehrer des Menschen“ – Cultores hominis sumus.
Der vorausgegangene Kontext parallelisierte nun aber ausdrücklich cultus Dei („Verehrung Gottes“) und cultus hominis („Verehrung des Menschen“). Gewiss war damit zunächst gemeint, dass die Sorge der Kirche stets dem Menschen gelte. Eine Selbstverständlichkeit, die gerade in jenen Epochen der Kirchengeschichte am aufopferungsvollsten verwirklicht wurde, wo am wenigsten darüber geredet wurde. Die Formulierung und ausdrückliche Parallelisierung mit dem „Gotteskult“ hingegen erscheint fragwürdig und wurde entsprechend kritisiert: „Kult des Menschen“? Muss ein Papst so reden? Muss sich die Kirche in dieser Weise der ungläubigen Welt anempfehlen? Verrät sich in dieser Formulierung nicht die Mentalität der sechziger Jahre, die das Konzil prägte und auch die Liturgiereform imprägnierte?“
Auf Papst Pius V. jedenfalls kann sich diese Art des Reformierens keinesfalls berufen, hier sieht Fiedrowicz in der sogenannten „Erneuerten Liturgie“ eindeutig den Bruch vor der Kontinuität:
Ganz anders – nämlich theozentrisch – orientiert war das Reformwerk Pius‘ V. „Den göttlichen Kult“ wiederherzustellen“ sei seine Berufung gewesen, sagt die Tagesoration – divinum cultum reparare. Das Adjektiv „göttlich – divinus“ gewinnt für uns ungeahnte Aktualität. Es ist die ausgeprägte Theozentrik der klassischen Liturgie, die es heute wiederzugewinnen und neu zu entdecken gilt. Diese primäre Ausrichtung auf Gott manifestiert sich hier vor allem in der Zelebrationsrichtung versus altare, in der Sakralsprache, in der Kanonstille, in unzähligen Zeichen der Reverenz – Kniebeugen, Verneigungen, Verhüllungen, Kreuzzeichen -, in der ganzen Atmosphäre der Sakralität, die der klassische Ritus ausstrahlt.“
Von der Tagesoration aus schlägt der Redner in seinem weiteren Vortrag dann den Bogen zu den Orationen des Missales allgemein, die im Zuge der Reform der 60er Jahre durchgängig abgeschwächt, verkürzt oder ganz ersetzt worden sind. Sie bieten nicht länger wie noch in der Fassung Pius V. „eine Summa theologica in nuce, die den katholischen Glauben unverkürzt und prägnant zum Ausdruck bringt“, sondern neigen dazu, ein Spiegelbild von modernen Selbstverständlichkeiten abzugeben. In der Zuspitzung von Nicolas Gomez Davila:
Nachdem sie nicht erreichte, dass Menschen praktizieren, was sie lehrt, hat die gegenwärtige Kirche beschlossen, zu lehren, was sie praktizieren.“
Das Fazit aus dem hier zitierten und dem um ein Vielfaches umfangreicheren Teil, der hier nicht berücksichtigt werden konnte, liegt für Fiedrowicz auf der Hand:
Die Feier der Liturgie in ihrer überlieferten Form bildet daher ein ebenso notwendiges wie wirksames Gegengewicht gegenüber allen Verflachungen, Verkürzungen, Verwässerungen und Banalisierungen des Glaubens. Wenn bestimmte Aspekte des Glaubens aus der Liturgie völlig verschwinden oder darin stark abgeschwächt werden, drohen sie allmählich auch aus dem Glaubensbewusstsein der Priester und Gläubigen zu verschwinden. Die überlieferte Form der hl. Messe ist daher ein unerlässliches Korrektiv, das diesem Ausfall wichtiger Glaubenswahrheiten entgegenzuwirken vermag.
Den wertvollen Schatz der überlieferten Liturgie zu bewahren, gehört zur Bewahrung des Depositum fidei. Der Apostel Paulus mahnte seinen Schüler: „O Timotheus, bewahre das dir anvertraute (Glaubens-)Gut!“ (1 Tim 6,20). In zeitloser Aktualität deutete der frühchristliche Mönchspriester Vinzenz von Lérins (434) diese apostolische Weisung, wobei er das zu bewahrende Glaubensgut zugleich auch in kultischer Dimension verstand: „Wer ist heute jener Timotheus, wenn nicht zum einen generell die ganze Kirche und dann speziell der ganze Stand der Vorgesetzten, die das unversehrte Wissen der Gottesverehrung sowohl selbst besitzen als auch anderen mitteilen müssen?“ Die überlieferte Messe ist der in Jahrhunderten geformte Ausdruck und bewährte Garant dieses unversehrten Wissens der Gottesverehrung.“
Wir danken Prof. Fiedrowicz für die Erlaubnis, eine Auswahl aus seinem Vortrag vorzunehmen und zu veröffentlichen. Vor allem aber gebührt unsere Dankbarkeit Papst Benedikt XVI. der die hier angesprochenen Zusammenhänge durch die Rauchschwaden der vergangenen Jahrzehnte hindurch erkannt hat und begonnen hat, Freiräume zu schaffen, in denen die überlieferte Liturgie wieder zum Kraftzentrum der Kirche werden soll.