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Wem gehört das Missale Pauls VI.?

Bild: RoratecaeliFür den Herbst steht die Heiligsprechung von Papst Paul VI. auf dem Programm , und da Heiligsprechungen oft auch politische oder kirchenpolitische Aspekte haben, sammeln Anhänger und Gegner des vor 40 Jahren Verstorbenen noch einmal Argumente und Anekdoten, um sie für ihre jeweilige Position nutzbar zu machen. In Italien ist in diesen Tagen eine relativ schmächtige „Kleine Geschichte Pauls VI.“ erschienen, der es unter anderem darum geht, den Papst der Liturgiereform von der Verantwortung für dieses so gründlich gescheiterte Unternehmen zu entlasten. Das Buch präsentiert dazu unter anderem eine Reihe von Anekdoten, nach denen Papst Paul nach Inkrafttreten der Reform mehrfach von deren praktischen Auswirkungen überrascht gewesen sei und sich sehr unzufrieden darüber geäußert habe. Hier eine Zusammenstellung.

Nun ist es bekannt, daß der von mehreren Päpsten der Reihe nach beauftragte und bestätigte Spiritus Rector des Reformwerks, Annibale Bugnini, auch äußerst unredliche Mittel einsetzte, um seinen Willen durchzusetzen. Louis Boyer, ursprünglich selbst starker Reformverfechter, verdanken wir die Information, daß Bugnini dem Papst Maßnahmen als „alternativlos“ darstellte, weil angeblich die Mehrheit der Reformkommission darauf bestehe – und umgekehrt die Kommissionsmitglieder dahingehend belog, der Papst habe dieses und jenes strikt gefordert. Durchaus möglich, daß Paul VI. sich auf diese Weise Dinge abringen ließ, die er später bedauerte. Das ändert aber nichts davon, daß er die Reformen insgesamt gut hieß, durch seine Unterschrift in Kraft setzte und anschließend mit beträchtlicher Härte gegen alle vorging, die weiterhin widersprachen. Wir haben darüber hier vor drei Jahren schon einmal ausführlich informiert.

Tatsächlich bieten die beiden in unserem damaligen Beitrag erwähnten und verlinkten Ansprachen des Papstes zum Inkrafttreten der Reform unwiderlegliche Zeugnisse dafür, daß der Papst schon bevor er den „Novus Ordo“ in Kraft setzte, wußte, welche schmerzlichen Opfer diese umstürzende Änderung für die Kirche bedeuten würde, und zumindest ahnte, zu welchen Zerstörungen das führen könnte.

Dazu ein etwas längeres Zitat aus der Ansprache vom 26. 11. 69:

(8) … Die Einführung der Umgangssprache wird sicher ein großes Opfer für diejenigen bedeuten, die die Schönheit, die Kraft und die ausdrucksstarke Sakralität des Latein kennen. Wir geben die Sprache der christlichen Jahrhunderte auf und treten wie weltliche Eindringlinge in den bisher der heiligen Sprache vorbehaltenen Bezirk ein. Wir werden einen großen Teil jenes großartigen und unvergleichlichen künstlerischen und spirituellen Gebildes, der Gregorianik, verlieren.

9. Das ist für uns in der Tat ein Grund des Bedauerns, ja sogar fast der Bestürzung. Was können wir an die Stelle jener Sprache der Engel setzen? Wir geben etwas auf, das unermeßlichen Wert besitzt. Was könnte noch kostbarer sein als diese erhabensten Werte unserer Kirche?

10. Die Antwort wird banal erscheinen, aber es ist eine gute Antwort, weil sie menschlich und weil sie apostolisch ist:

11. Das Verständnis des Gebetes ist mehr wert als die seidenen Gewänder, mit denen es königlich angetan ist. Die Teilnahme des Volkes hat den höheren Wert – insbesondere die Teilnahme moderner Menschen, die so großen Wert auf eine schlichte Sprache legen, die man leicht versteht und im alltäglichen Gespräch verwenden kann.

Dieser Abschnitt der Ansprache lässt wie unter der Lupe die Vorstellungen sichtbar werden, von denen sich die ganze Reform der 50er und 60er Jahre leiten ließ und die sich seitdem nicht nur als Illusionen, sondern auch als überaus schädlich erwiesen haben. Paul VI., der doch in seinen Enzykliken so klarsichtig und prinzipienfest war, hat diese Illusionen hinsichtlich der Liturgie voll geteilt. Das läßt sich auch nicht durch Anekdoten, seien sie gut recherchiert, oder nur gut erfunden, nicht aus der Welt schaffen. 50 Jahre später ergibt sich daraus heute eine weit über die Person des damaligen Papstes hinausreichende doppelte Fragestellung: Was hat diesen Vorstellungen damals solche Überzeugungskraft verliehen, daß sie sich – trotz durchaus vernehmbarer Gegenstimmen – (fast) in der ganzen Kirche als verbindlich durchsetzen ließen? Und wie kommt es, daß diese Verbindlichkeit auch heute noch so erbittert verteidigt wird, obwohl doch alle Hoffnungen und Erwartungen, auf die sie sich damals vielleicht stützen konnten, seitdem bitter enttäuscht worden sind?

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